umher- standen; uralte Fichtenbäume, dunkele Eichen mit moosgelben Stämmen, prachtvolle Eschen streckten hier und dort ihre Gipfel hoch empor; das dichte Grün der üppig wuchernden Flieder- und Akazienbüsche reichte bis an die Seiten beider Häuschen und ließ blos die Vorderseiten derselben frei, von welchen sich mit Ziegelerde bestreute, fest gestampfte Wege den Abhang hinabschlängelten. Bunte Enten, weiße und graue Gänse schwammen in getrennten Zügen auf dem glatten Spiegel des Teiches, der in Folge zahlreicher Quellen, die aus dem Grunde einer jähen und steinigen Schlucht an seinem Saume hervorsprudelten, niemals sumpfig wurde. Die Lage des Landsitzes war gut gewählt: freundlich, einsam und bequem.
Das eine der beiden Häuschen bewohnte Michail Nikolaitsch selbst; in dem anderen lebte seine Mutter, eine gebrechliche siebzigjährige Frau. Auf dem Damme angekommen, wußte Astachow nicht, nach welchem der Häuser er seinen Weg nehmen sollte. Er blickte um sich – auf einem halbverfaulten, gespaltenen Baumstumpfe stand barfuß ein Knabe vom Hofgesinde und angelte. Astachow rief ihn an.
– Zu wem wollen Sie denn, zur alten Frau oder zum jungen Herrn? fragte der Knabe, ohne das Schwimmholz seiner Angel aus dem Auge zu lassen.
– Zu welcher alten Frau? entgegnete Astachow, – ich will zu Michail Nikolaitsch.
– Ah! zum jungen Herrn? Nu, dann fahren Sie rechts! Und der Knabe zog aus dem spiegelglatten Wasser eine mittelgroße, silberhelle Karausche an der Angel heraus. Astachow schlug den Weg nach rechts ein.
Michail Nikolaitsch spielte gerade mit »Klappseele« Dame, als ihm Astachows Ankunft gemeldet wurde. Er war sehr erfreut, sprang von seinem Sessel auf, lief in das Vorzimmer hinaus und umarmte und küßte drei Mal den Gast.
– Sie treffen mich, Wladimir Sergeïtsch begann der redselige Alte, mit meinem unzertrennlichen Freunde, Iwan Iljitsch, der, beiläufig gesagt, von Ihrer Liebenswürdigkeit ganz bezaubert ist. (Iwan Iljitsch warf schweigend einen Blick in die Ecke.) Er war so freundlich, bei mir zu bleiben und Dame mit mir zu spielen, meine Hausgenossen sind alle in den Garten gegangen, ich werde aber sogleich nach ihnen schicken . . .
– Stören Sie dieselben nicht! fiel Astachow ein . . .
– Was da, stören, das fehlte noch! He, Wanka, lauf’ rasch nach dem Fräulein . . . sage, es wäre Besuch gekommen! Nun, wie gefällt Ihnen unsere Gegend? Gar nicht übel, nicht war? Kaburdin hat sie in Versen besungen. »Ipatowka, Asyl der Wonne,« so fängt das Gedicht an, und auch das Uebrige ist schön, ich habe es aber nicht ganz behalten. Der Garten ist groß, das ist fatal, schwer im Stande zu erhalten. Und die beiden Häuser, die einander so ähnlich sind, wie Sie vielleicht zu bemerken beliebt haben, sind von zwei Brüdern erbaut, meinem Vater Nikolai und meinem Onkel Sergei; auch den Garten haben sie angelegt, wahre Busenfreunde waren die Beiden . . . Danton – und . . . da haben wir’s! Ganz vergessen wie der Andere hieß . . .
– Pythion, bemerkte Iwan Iljitsch.
– Ist’s auch wahr? nun, gleichviel. (Der Alte war zu Hause ungezwungener in seiner Ausdrucksweise, als wenn er irgendwo zu Gaste war.) Es ist Ihnen, Wladimir Sergeïtsch, wahrscheinlich bekannt, daß ich Wittwer bin, meine Frau verloren habe. Meine ältesten Kinder befinden sich in Kronsanstalten; hier bei mir habe ich nur die beiden jüngsten und meine Schwägerin, die Schwester meiner seligen Frau. Sie werden sie sogleich sehen. Das ist aber schön, ich vergesse ganz, Sie zu bewirthen. Iwan Iljitsch, mein Bester, sorgen Sie doch für den Imbiß . . . was für ein Schnäpschen ziehen Sie vor?
– Vor dem Essen trinke ich Nichts.
– Was Sie sagen, wäre es möglich! Uebrigens, wie es Ihnen beliebt. Jeder nach seinem Geschmack. Hier bei uns werden keine Umstände gemacht. Wir leben hier, darf ich wohl sagen, nicht gerade in einer Wildniß, aber in einem stillen Hafen, ja, wirklich, ein stiller Hafen ist es, ein abgelegener Winkel! Warum nehmen Sie aber nicht Platz?
Astachow setzte sich, ohne den Hut aus der Hand zu legen.
– Erlauben Sie, daß ich es Ihnen leicht mache, sagte Ipatow; indem er ihm behutsam den Hut abnahm. Er stellte denselben in eine Ecke, kehrte zurück, blickte seinem Gaste freundlich in die Augen und unschlüssig, was er ihm wohl Verbindliches sagen sollte, richtete er in dem herzlichsten Tone die Frage an ihn, ob er gern Dame spiele.
– Ich spiele alle Spiele schlecht, erwiderte Astachow.
– Und daran thuen Sie wohl, entgegnete Ipatow, – das Damenspiel ist aber eigentlich kein Spiel, vielmehr eine Erholung, ein Zeitvertreib; nicht so, Iwan Iljitsch?
Iwan Ilitsch sah Ipatow mit gleichgültigem Blicke an, als dächte er bei sich: »weiß der Teufel, was es ist – Spiel oder Zeitvertreib,« und eine Weile darauf sagte er:
– Nun ja, das Damenspiel – jawohl.
– Das Schachspiel aber, das ist ein anderes Ding, « sagt man, fuhr Ipatow fort, – das soll ein überaus schwieriges Spiel sein Ich denke indessen . . . aber, da kommen die Meinigen schon! unterbrach er seine Rede mit einem Blicke nach der halboffenstehenden Glasthür, die in den Garten führte.
Astachow erhob sich, wandte sich um und wurde zuerst zwei kleine Mädchen von ungefähr zehn Jahren in rosafarbenen Zitzkleidchen und breiten Hüten gewahr, die behend die Stufen der Terrasse heraufliefen; bald nach ihnen zeigte sich ein junges dunkel gekleidetes Mädchen von etwa zwanzig Jahren, von hohem Wachse und voller, schlanker Gestalt. Sie traten alle in’s Zimmer, die kleinen Mädchen machten vor dem Gaste einen zierlichen Knicks.
– Hier, sagte der Wirth, empfehle ich Ihnen meine Töchter.
Die da heißt Katia, diese hier Nastja, und das da ist meine Schwägerin, Maria Pawlowna, von welcher ich mit Ihnen gesprochen habe; empfehle sie Ihrer Gewogenheit.
Astachow grüßte Maria Pawlowna; sie erwiderte seinen Gruß mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes. Maria Pawlowna hielt ein großes aufgeschlagenes Messer in der Hand; ihr dichtes braunes Haar war etwas in Unordnung gerathen, ein grünes Blättchen hatte sich in dasselbe verirrt, die Flechte kam unter dem Kamme hervor, das bräunliche Gesicht war geröthet und die rothen Lippen geöffnet; das Kleid schien zerdrückt. Ihr Athem war rasch, die Augen glänzten; man sah, daß sie im Garten gearbeitet hatte. Sie verließ sogleich wieder das Zimmer und die kleinen Mädchen liefen ihr nach.
– Die Toilette muß ja erst in Ordnung gebracht werden, bemerkte der Alte, zu Astachow gewandt, – ohne die geht es doch nicht.
Astachow lächelte dazu und wurde nachdenkend. Marja’s Erscheinung hatte ihn überrascht. Schon lange war ihm eine solche echt russische, ländliche Schönheit nicht zu Gesicht gekommen. Sie kehrte bald zurück, setzte sich auf den Divan und verharrte unbeweglich. Sie hatte das Haar geordnet, ihr Kleid jedoch nicht gewechselt und nicht einmal Manchetten angelegt. Ihre Züge drückten nicht sowohl Stolz, als Strenge, ja beinahe Härte aus. Ihre Stirn war breit und niedrig, die Nase kurz und gerade; ihre Lippen kräuselten sich zu einem leisen, trägen Lächeln, während sie die geraden Brauen verächtlich zusammenzog. Ihre großen, dunklen Augen hielt sie fast immer gesenkt. Ich weiß, schien ihr ganzes unfreundliches Gesicht zu sagen, ich weiß, daß Ihr Alle mich angafft; nun, gafft nur, ich bin Eurer doch überdrüssig. Und wenn sie ihre Augen erhob, lag in ihrem Blicke etwas Wildes, Stumpfsinniges und doch etwas Schönes und Edles, das an den Blick des Rehes erinnerte. Sie war vortrefflich gebaut. Ein klassischer Poet hätte sie mit Ceres oder Juno verglichen.
– Was habt Ihr im Garten gemacht? fragte Ipatow, um sie in’s Gespräch zu ziehen.
– Wir haben die trockenen Aeste abgeschnitten und Blumenbeete gegraben, gab sie mit etwas gedämpfter, aber angenehmer, wohltönender Stimme zur Antwort.
– So, und Ihr seid wohl recht müde?
– Die Kinder sind es, ich nicht.
– Weiß schon, entgegnete lächelnd der Alte, – Du bist eine echte Bobelina!2 Seid Ihr auch bei der Großmutter gewesen?
– Ja, sie schläft.
– Sie sind eine Freundin von Blumen? fragte sie Astachow.
– Ja, ich liebe die Blumen.
– Warum setzest