Adam Karrillon

Windschiefe Gestalten


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für ungut, es wär zum ersten Male,« dachte der im Leinenkittel und riß die Augen auf. Und was sah er vor sich? Die schwarze Nase und das gutmütige Gesicht eines ausgewachsenen Wolfshundes.

      »Wenn du noch einen Bruder hast, der dir ähnlich und nicht bucklig ist, so könnten wir zu dritt gegen Frankfurt fahren,« sagte Maurus zu dem Tier, setzte sich auf und sah sich neugierig in der Gegend um. Von links her kam ein Ding herangeschwenkt, das dem Steuerrad eines Schiffes ähnelte, aber aufrecht stand und wie eine alte Baßgeige schnurrte und zirpte.

      »Ein Scherenschleifer und der Hund werden zu dem Gelurch gehören,« schloß Maurus und machte sich auf die Beine, um den fahrenden Musikanten mit seinem Instrument zu erwarten. »Wohin des Wegs?« rief er dem zu, der hinterm Rade ging, und erhielt die Antwort: »Zum Kreuzberg nauf, zu den Braunkutten. Dem heiligen Franziskus verdankt es unsereiner, wenn er noch nicht verhungert ist. Wir Scherenschleifer wären reiche Leute, und keine Läuse gäbe es mehr auf der Welt, wenn jedermann sich nach des Mönches Vorschrift scheren lassen wollte.«

      »Was fingen aber dann die Kammfabrikanten an, wenn es nur Kahlköpfe gäbe?« bemerkte Maurus.

      »Da habt nun Ihr wieder recht,« entgegnete der Scherenschleifer. »Ein jeder will leben. Der Musikant lebt vom Sonntag, und vom Werktag der Knecht. Nun, und Ihr, Ihr da mit Eurem Buckel in dem neuen Kittel da drinnen, von was lebt denn Ihr, und wie kommt Ihr mit Euern schmalen Schuhen unter diese plattfüßigen Fulder da herein? Sucht Ihr etwa nach einer Schenkamme? Dann seid Ihr auf guter Fährte. Diese Tierchen gedeihen hier wie die Blattläuse an dem Rosenstiel.«

      Maurus hatte seine schwere Mühe, bis er dem Scherenschleifer klar gemacht hatte, daß er wirklich nur auf der Suche nach Hunden sei. Der Mann mißtraute seinem feinen Gesicht und seinen schmalen Füßen und vermutete, daß irgendein Spion in dem Kittel verborgen sein möchte. Endlich aber stellte er sich bekehrt und hatte nun nichts dagegen, daß der Fremde neben ihm herschritt auf seinem Wege nach dem Kloster hinauf. »Bruder Gallus«, sagte er so verloren vor sich hin, »hat im vorigen Jahre den Wurf einer Wolfshündin leben lassen. Es waren ihrer drei mit spitzen Schnauzen. Der da vorne, der da hinter den Kühen herjagt, ist einer davon. Er ist gelehrig, wie nur ein Mensch. Die andern zwei sind es desgleichen. Man könnte Schulmeister aus den Kerlen machen. Seht zu, daß Ihr die Viecher erwerben könnt. Wenn Ihr dem Bruder ein Paket Offenbacher Schnupftabak und dem hölzernen Franziskus in seiner Nische überm Tor eine dicke Kerze widmen wollt, glaub ich, daß das Geschäft zustande kommt. Aber was seh ich denn? Da kommen sie ja schon den Berg herunter, die besagten Hundsknochen. Paßt auf, sie sind wie Zollwächter und werden ihren Bruder beschnüffeln, daß er keine weltlichen Irrlehren in das Kloster hineinschmuggelt.«

      Maurus besah sich die munteren Tiere. Sie gefielen ihm gut, und mit dem Bruder Gallus war er noch am gleichen Abend hinterm Bierkrug handelseinig geworden. Nun hätte er bereits am nächsten Morgen wieder den Kreuzberg verlassen können. Er tat es aber nicht. Er wollte warten, bis sein Elternhaus wieder gästefrei geworden war. Wie hätte auch seine Mutter das Herzeleid überstehen wollen, sich neben dem Beuniformten als Gebärerin des Blaukittels bekennen zu müssen. Maurus war Gedankenleser. Gewiß, gewiß, der Bucklige trug mehr auf dem Rücken als die Geraden, aber auch im Kopf und im Herzen trug er mehr. Er ließ noch eine Woche verstreichen, ehe er heimging.

      Die Hunde verstanden es bald, sich im Hause Sterzelweg beliebt zu machen. Sie vertrugen sich mit der Katze und fraßen Freitags kein Fleisch, vielleicht weil sie vom Kloster her die Kirchengebote zu achten gelernt hatten, vielleicht aber auch, weil sie keines bekamen. Die Frau Kommerzienrat war, wie schon früher bemerkt, eine fromme Dame, die dem Himmel weit entgegenkam, damit er auch ihr begegne und dem Sohn Marcellus noch manchen Sieg auf der Rennbahn beschere.

      Leider blieben die sportlichen Erfolge aus. Man wußte nicht recht, was daran schuld war. Seine Hochwohlgeboren, der Herr Leutnant, hatten sich doch genügend kasteiet und Karlsbader Wasser getrunken. Ihm fehlte es auch nicht an Mut, um über Barrieren und Gräben zu setzen. Er knauserte auch nicht. Man hatte dem »Soliman« und dem »Omar« französischen Champagner in die Gurgel gegossen. Umsonst, sie blieben um Nasenlänge hinter ihren Konkurrenten zurück. Frau Sterzelweg hatte ein Waisenkind über die Taufe gehoben und eine Konfirmandin bekleidet. Auch das hatte den Himmel nicht gerührt.

      Da erbarmte sich ein Jude und schob den Karren aus dem Sumpfe der Ungewißheit heraus. Er hatte des Leutnants Rennstall gemustert, den Tieren die Glieder und die Zähne besehen, das Pedigree geprüft, und er vermißte den Einschlag von arabischem Blut. Beim Fürsten Bleß von Herostall stand eine Stute, ja wenn man die erwerben könnte! Sie sei vom Herrgott selber extra zwischen die Beine des Herrn Leutnant geschaffen, nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu mager, nicht zu fett. Kurzum, sie paßte zu ihm wieʼs Monokel in sein Auge, wie sein Hintern in eine Reithose, wie sein Säbel in eine Scheide. Aber freilich, freilich, das Pferd war schwerlich loszueisen. Der Fürst hatte selber seine Freude daran, und er brauchte kein Geld. Mit einem Schandgebot durfte man da schon gar nicht kommen, wenn, man nicht auf das Pflaster des Hofes fliegen wollte, und dann erst recht nicht, wenn gar noch ruchbar werden sollte, daß das Tier unter seinem Stande an einen Bürgerlichen verschachert werden sollte.

      Keine Frage, Elkan Samuelsohn bedurfte vieler diplomatischer Fähigkeiten, wenn die schwierige Aufgabe gelöst werden sollte. Vorläufig trat er sich die Absätze krumm zwischen der Kaserne und dem fürstlichen Marstall, belauerte seine Volksgenossen, daß kein anderer ihm ins Gehege schlich, schlief nur wenig mehr und machte des Fürsten Stute schlecht, so oft er nur mit einem Tierarzt ins Gerede kam.

      Beim Leutnant Sterzelweg freilich sprach er anders, und anders auch bei dessen Mutter, die er eines Tages mit seinem Besuche beehrte. Der guten Frau wußte er einzureden, daß es weit über die Landesgrenze hinaus einen gewaltigen Eindruck auf die Volksseele machen müsse, wenn es hieße: »Des erlauchten Fürsten Stute ist in den Besitz des Leutnant Sterzelweg übergegangen!« Klang das nicht schon beinahe geradeso, als wenn einer sagte: »Die Prinzessin so und so ist mit Marcellus verlobt?«

      In den Ohren der Frau Kommerzienrat zweifellos. Sursum corda war die Devise ihrer Heiratsgedanken. Warum auch nicht? War ihr Ältester nicht geformt, um das Auge einer Prinzessin zu bestechen? Das Abschießen des Wildes ist eine Kleinigkeit. Das Anschleichen Hauptsache. Man braucht Strauch und Busch zur Deckung. Auch ein Jude konnte zum Schild werden, hinter dem man seine Absichten und seine Waffen verbarg. Marcellus hatte die Kinderschuhe abgelegt, und seine Stirne drohte, ihm über den Kopf zu wachsen. Es war Zeit, daß man ihm half, sich eine Frau zu suchen. Die Frau Kommerzienrat erkannte diese ihre Mutterpflicht gar wohl, und sie klopfte des öfteren bei dem Gatten auf den Busch, in der Absicht, den Hasen eines geeigneten Vorschlages herauszutreiben. Umsonst stellte er ihren begeisterten Reden sein stummes Achselzucken entgegen. Warʼs da ein Wunder, wenn die Mutter sich mit dem Juden verband, um Schwiegermutter zu werden? Elkan wurde der Träger, auf dem eine glorreiche Idee aufgebaut wurde.

      Man markierte einmal den Großartigen. Zeigte den Leuten, daß das Geld keine Rolle spiele und kam zu einer Schwiegertochter wie Eulenspiegel zum Schinken, als er die Wurst darnach geworfen hatte.

      Daß der Jude ins Haus kam, war nicht zu umgehen. Er kam, obwohl er den bösen Blicken des Maurus begegnen mußte und dem scharfen Knurren seiner Hunde. Auch Bleibtreu, der schweigsame Prokurist, spuckte verdrießlich vor sich hin, und der Kommerzienrat kaute verlegen an seinem rechten Schnurrbartende, wenn er durch die Scheibe seines Bureaufensters den Rockelores des Hebräers an der Hausecke flattern sah. – Nein, dieser Roßtäuscher war, von Frau Sterzelweg abgesehen, keinem im Hause eine erfreuliche Erscheinung, und doch war er da und setzte durch, was er sich vorgenommen hatte.

      Eines Tages war dem Kommerzienrat die Ehre zuteil geworden, daß seine Gattin ihn in ihr Zimmer bestellte. Er traf sie da mit dem Juden zusammen. Der letztere malte mit dem Bleistift eine Zahl in sein Notizbuch und hielt sie der Frau Sterzelweg unter die Augen. »Unter dem wirdʼs nicht abgehen,« flüsterte er und fuhr, während ihm der Speichel über den Mundwinkel lief, in besänftigendem Tone fort: »Aber bedenken Sie nur, ein Viertel dieser Summe kann schon eingebracht werden durch einen einzigen Sieg auf der Rennbahn.«

      Ins Gesicht der Mutter Sterzelweg kehrte etwas von dem Blut zurück, das beim Anblick der Zahl aus ihm gewichen war, während der Kommerzienrat bleich und starr blieb wie eine Osterkerze. Im Zimmer herrschte