rief Taverney, »der Teufel soll mich holen, wenn dieser Mensch kein Zauberer ist.«
»Ho! ho!« versetzte der Marschall, »sprich nicht so leichthin vom Teufel.«
»Schrecklich! schrecklich!« murmelte Taverney.
Und er wandte sich, um Cagliostro zum letzten Mal um Discretion anzuflehen. Doch dieser war verschwunden.
»Gehen wir in den Salon, Taverney,« sagte der Marschall; »man würde den Caffee ohne uns nehmen, oder wir würden den Caffee kalt bekommen, was noch schlimmer wäre.«
Und er lief in den Salon.
Doch der Salon war verschlossen; nicht Einer von den Gästen hatte den Muth gehabt, dem Urheber so düsterer Weissagungen noch einmal in's Gesicht zu schauen.
Die Kerzen brannten auf den Candelabern; der Caffee rauchte in der Kanne; das Feuer knisterte im Kamin.
Alles vergeblich.
»Meiner Treue, mein alter Freund, es scheint, wir werden den Caffee unter vier Augen nehmen. Was Teufels, wohin bist Du denn gekommen?« sagte Richelieu.
Und er schaute nach allen Seiten, aber der kleine Greis hatte sich, wie die Andern, aus dem Staube gemacht.
»Gleichviel,« sagte der Marschall, spöttisch lächelnd wie Voltaire, indem er seine trockenen, weißen, ganz mit Ringen beladenen Hände an einander rieb, »ich werde der einzige von allen meinen Tischgenossen sein, der in seinem Bette stirbt. He! he! in meinem Bett. Graf von Cagliostro, ich bin kein Ungläubiger. Nicht wahr, in meinem Bett werbe ich sterben, in meinem Bett, und zwar so spät als möglich? Holla! mein Kammerdiener und meine Tropfen!«
Der Kammerdiener trat mit einem Fläschchen in der Hand ein, und der Marschall und er gingen in's Schlafzimmer.
I.
Zwei unbekannte Frauen
Den Winter von 1784, dieses Ungeheuer, das ein Sechstel von Frankreich verschlang, konnten wir, obgleich er vor den Fenstern stürmte, beim Herrn Herzog von Richelieu in dem so warmen und mit Wohlgerüchen geschwängerten Speisesaal, wo wir waren, nicht sehen.
Etwas Rauhreif an den Scheiben ist der Luxus der Natur dem Luxus der Menschen beigefügt. Der Winter hat seine Diamanten, seinen Puder und seine Silberstickereien für den Reichen, der unter seinem Pelzwerk vergraben oder in seinem Wagen verwahrt, oder in den Watten und Sammten einer geheizten Wohnung eingemummt ist. Jeder Frost ist ein Gepränge, jedes Unwetter eine Decorationsveränderung, die der Reiche durch seine Fensterscheiben von dem großen und ewigen Maschinisten, den man Gott nennt, ausführen sieht.
In der That, wer warm hat, kann die schwarzen Bäume bewundern und einen Reiz in den düstern Perspectiven der vom Winter einbalsamirten Ebenen finden.
Derjenige, welcher die süßen Wohlgerüche des Mittagsmahles, das seiner harrt, zu seinem Gehirn emporsteigen fühlt, kann von Zeit zu Zeit durch ein halbgeöffnetes Fenster den scharfen Duft des Nordostwinds und den eisigen Dunst des Schnees einschlürfen.
Derjenige endlich, welcher nach einem Tag ohne Leiden, wenn Millionen von seinen Mitbürgern gelitten haben, unter Eiderdunen, in seinen Leintüchern, in einem warmen Bett sich ausstreckt, der kann, wie jener Egoist des Lucretius, den Voltaire verherrlicht, finden, Alles sei gut in dieser besten der möglichen Welten.
Derjenige aber, welcher friert, sieht Nichts mehr von all' diesen Herrlichkeiten der Natur, die ebenso reich sind in ihrem Weißen, als in ihrem grünen Mantel.
Derjenige, welcher Hunger hat, sucht die Erde und flieht den Himmel: den Himmel ohne Sonne und folglich ohne Lächeln für den Unglücklichen.
In der Epoche nun, zu der wir gelangt sind, nämlich gegen die Mitte des Monats April, seufzten dreimalhunderttausend Unglückliche, vor Kälte und Hunger sterbend, in Paris allein, wo man unter dem Vorwand, keine Stadt enthalte mehr Reiche, nicht die geringsten Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, um es zu verhindern, daß die Armen durch die Kälte und die Noth umkamen.
Seit vier Monaten trieb ein eherner Himmel die Unglücklichen der Dörfer in die Städte, wie gewöhnlich der Winter die Wölfe aus den Wäldern in die Dörfer treibt.
Kein Brod, kein Holz mehr.
Kein Brod mehr für die Menschen, welche die Kälte auszustehen hatten, kein Holz mehr, um Brod zu backen.
Alle Vorräthe, die eingebracht worden waren, hatte Paris in einem Monat aufgezehrt; der Prevot der Handelsleute, ein unvorsichtiger und unfähiger Mann, verstand es nicht einmal, nach Paris, das seiner Fürsorge anvertraut war, zweimalhunderttausend in einem Umkreise von zehn Meilen um die Hauptstadt verfügbare Klafter Holz hereinzuschaffen.
Als Entschuldigung nannte er, wenn es gefror, das Eis, das die Pferde am Gehen verhindere; wenn es aufthaute, die Unzulänglichkeit der Wagen und Pferde. Ludwig XVI., stets gut, stets menschenfreundlich, stets zuerst berührt von den physischen Bedürfnissen des Volkes, dessen sociale Bedürfnisse ihm eher entgingen, fing damit an, daß er zweimalhunderttausend Livres zum Miethen von Wagen und Pferden anwies; dann nahm er die einen und die andern zwangsweise in Requisition.
Der Verbrauch fuhr indessen fort, das Ankommende wegzuraffen. Man mußte die Käufer taxiren. Niemand war berechtigt, vom allgemeinen Holzhof Anfangs mehr als eine Fuhre, dann mehr als eine halbe Fuhre wegzunehmen. Man sah nun den Schweif der Käufer vor dem Thor der Holzhöfe sich verlängern, wie er sich später vor den Thüren der Bäcker verlängern sollte.
Der König verausgabte all sein Geld in Almosen. Er erhob drei Millionen von den Einnahmen des Octroi, und verwendete diese drei Millionen auf die Erleichterung der Unglücklichen, wobei er erklärte, jeder Drang müsse weichen und schweigen vor dem Drang der Kälte und des Hungers.
Die Königin gab ihrerseits fünfhundert Louisd'or von ihren Ersparnissen. Man verwandelte die Klöster, die Hospitäler, die öffentlichen Gebäude in Zufluchtsorte, und jeder Thorweg öffnete sich auf den Befehl seiner Gebieter, nach dem Beispiel der königlichen Schlösser, um in die Höfe der Hotels den Armen, die sich um ein großes Feuer kauerten, Zugang zu gewähren.
Man hoffte so das gute Thauwetter zu erreichen.
Doch der Himmel war unbeugsam! Jeden Abend breitete sich ein kupferrother Schleier über dem Firmament aus; die Sterne glänzten trocken und kalt, wie das Feuer einer Pechpfanne bei einer Beerdigung, und das nächtliche Gefrieren verdichtete abermals den bleichen Schnee, den die Mittagssonne ein wenig flüssig gemacht hatte, in einen Diamantsee.
Am Tag häuften Tausende von Arbeitern mit Hacke und Schaufel den Schnee und das Eis längs den Häusern auf, so daß ein doppelter, dichter, feuchter Wall die Hälfte der größtentheils schon zu engen Straßen versperrte. Gewichtige Wagen mit glitschenden Rädern, wankende, jeden Augenblick niederstürzende Pferde, zogen diese eisigen Mauern für den Vorübergehenden weg, welcher der dreifachen Gefahr des Fallens, des Zusammenstoßens und des Einstürzens ausgesetzt war.
Bald wurden die Schnee- und Eishaufen so groß, daß die Buden dadurch maskirt, die Durchgänge verstopft waren, und daß man darauf verzichten mußte, das Eis wegzunehmen, da die Kräfte und Mittel der Fuhren nicht mehr genügten.
Das ohnmächtige Paris erklärte sich für besiegt und ließ den Winter gewähren. So vergingen December, Januar, Februar und März; zuweilen verwandelte ein Thauwetter von zwei bis drei Tagen ganz Paris, dem es an Gossen und Abhängen gebrach, in einen Ocean.
In solchen Augenblicken konnte man sich nur schwimmend durch gewisse Straßen durcharbeiten. Pferde kamen vom Wege ab und ertranken. Die Carrossen wagten sich nicht mehr hinein; sie hätten sich in Schiffe verwandelt.
Seinem Character getreu, machte Paris Lieder auf den Tod durch das Thauwetter, wie es Lieder über den Hungertod gemacht hatte. Man ging in Procession nach den Hallen, um die Fischweiber ihre Waaren verkaufen und ihren Kunden mit ungeheuren ledernen Stiefeln nachlaufen zu sehen, wobei sie Hosen in den Stiefeln und die Röcke bis zum Gürtel aufgeschlagen hatten; Alles lachend, gesticulirend und einander in dem Sumpf, den sie bewohnten, mit Koth bespritzend; da aber das Thauwetter ephemer war, da das Eis undurchsichtiger und hartnäckiger folgte, da die Seen vom vorhergehenden Tag am andern Tag schlüpfriger Crystall