wäre dann die Freundschaft, Gräfin? Ich sagte fünfmal und irrte mich. Sechs- oder siebenmal mußte ich sagen, die Schalttage nicht gerechnet.«
Jeanne lachte.
Der Cardinal bemerkte, daß sie zum ersten Mal seinen Scherzen die Ehre erwies, und fühlte sich auch dadurch geschmeichelt.
»Werden Sie es verhindern, daß man spricht?« sagte sie. »Sie wissen wohl, daß dieß unmöglich ist.« – »Ja,« erwiderte er. – »Und wie?« – »Ah! das ist eine ganz einfache Sache; mit Recht oder mit Unrecht kennt mich das Volk von Paris.« – »Oh! gewiß, und zwar mit Recht, Monseigneur.« – »Aber Sie ist es so unglücklich nicht zu kennen.« – »Nun!« – »Stellen wir die Frage anders.« – »Stellen Sie sie, das heißt…« – »Wie Sie wollen. Wenn Sie zum Beispiel…« – »Vollenden Sie.« – »Wenn Sie ausgingen, statt daß Sie mich ausgehen machten.« – »Ich soll in Ihr Hotel gehen, Monseigneur?« – »Sie gingen wohl zu einem Minister.« – »Ein Minister ist kein Mann, Monseigneur.« – »Sie sind anbetungswürdig. Nun wohl! es handelt sich nicht um mein Hotel, ich habe ein Haus.« – »Ein kleines Haus5, drücken wir uns deutlich aus.« – »Nein, ein Haus, das Ihnen gehört.« – »Oh!« rief die Gräfin, »ein Haus, das mir gehört. Und wie dieß? Ich wußte nichts von diesem Haus.«
Der Cardinal, der sich wieder gesetzt hatte, stand auf.
»Morgen früh um zehn Uhr werden Sie die Adresse davon erhalten.«
Die Gräfin erröthete, der Cardinal nahm artig ihre Hand.
Und dießmal war der Kuß zugleich ehrerbietig, zärtlich und kühn.
Beide grüßten sich sodann mit dem Reste von lächelnder Ceremonie, welche eine nahe bevorstehende Vertraulichkeit bezeichnet.
»Leuchten Sie Monseigneur,« rief die Gräfin.
Die Alte kam und leuchtete.
Der Prälat ging hinaus.
»Mir scheint, ich habe da einen großen Schritt in der Welt vorwärts gemacht,« dachte Jeanne.
»Ah! ah!« dachte der Cardinal, während er in seinen Wagen stieg, »ich habe ein doppeltes Geschäft gemacht. Diese Frau besitzt zu viel Geist, um nicht die Königin einzunehmen, wie sie mich eingenommen hat.«
XVI.
Mesmer und Saint-Martin
Es gab eine Zeit, wo Paris ganz geschäftslos und voll Muße in Leidenschaft für Fragen glühte, welche in unsern Tagen das Monopol der Reichen sind, die man die Unnützen, und der Gelehrten, die man die Faullenzer nennt.
Im Jahre 1782, das heißt in der Zeit, zu der wir gelangt sind, war die Modefrage, die Frage, die obenauf schwamm, die in der Luft schwebte, die in allen ein wenig erhabenen Köpfen festhielt, wie die Dünste an den Bergen, der Mesmerismus, eine mystische Wissenschaft, schlecht definirt durch ihre Erfinder, die, da sie das Bedürfniß nicht fühlten, eine Entdeckung schon bei ihrer Geburt volksthümlich zu machen, diese den Namen eines Mannes, das heißt, einen aristokratischen Titel annehmen ließen, statt eines von den aus dem Griechischen geschöpften wissenschaftlichen Namen, mit deren Hilfe die schamhafte Bescheidenheit der modernen Gelehrten heut zu Tage jedes scientivische Element verallgemeinert.
Wozu sollte es in der That im Jahre 1784 nützen, eine Wissenschaft zu democratisiren? Das Volk, das seit mehr als anderthalb Jahrhunderten von denen, die es regierten, nicht zu Rathe gezogen worden war, zählte es für Etwas im Staat? nein: das Volk war die fruchtbare Erde, die da einbrachte, es war die reiche Ernte, die man schnitt, der Herr der Erde aber war der König, und die Schnitter waren der Adel.
Heute hat sich Alles geändert: Frankreich gleicht einer uralten Sanduhr; neunhundert Jahre hat sie die Stunde des Königthums angegeben; die mächtige Hand des Herrn hat sie umgedreht; Jahrhunderte hindurch wird sie die Aera des Volks bezeichnen.
Im Jahre 1784 war also der Name eines Mannes eine Empfehlung. Heute würde im Gegentheil der höhere Werth einem von Dingen herrührenden Manne zuerkannt werden.
Doch lassen wir heute, um den Blick auf gestern zu werfen. Was ist bei der Rechnung der Ewigkeit diese Entfernung von einem halben Jahrhundert? nicht einmal so groß wie die zwischen dem gestrigen Tage und dem morgigen bestehende.
Der Doctor Mesmer war in Paris, wie Marie Antoinette selbst, da sie den König um Erlaubniß bat, ihm einen Besuch zu machen, uns mitgetheilt hat. Man erlaube uns also, ein paar Worte über Doctor Mesmer zu sagen, dessen Name, heute nur noch im Gedächtniß einer kleinen Anzahl von Adepten, in der Zeit, die wir zu schildern versuchen, in Aller Mund war.
Der Doctor Mesmer hatte im Jahre 1777 aus Deutschland, diesem Land der nebeligen Träume, eine ganz von Wolken und Blitzen angeschwollene Wissenschaft gebracht. Beim Schimmer dieser Blitze sah der Gelehrte nichts, als die Wolken, die über seinem Kopfe ein düsteres Gewölbe bildeten; der große Haufen sah nur die Blitze.
Mesmer war in Deutschland zuerst mit einer These über den Einfluß der Planeten aufgetreten. Er hatte zu begründen gesucht, die Himmelskörper üben mittelst der Kraft, die ihre gegenseitige Anziehung hervorbringt, einen Einfluß auf die belebten Körper und besonders auf das Nervensystem durch die Vermittelung eines zarten Fluidums aus, welches das ganze Weltall erfülle. Diese erste Theorie war aber sehr abstract. Um sie zu begreifen, mußte man in die Wissenschaft eines Galilei und Newton eingeweiht sein. Es war eine Mischung von großen astronomischen Wahrheiten mit den astrologischen Träumereien, die, wie gesagt, nicht volksthümlich, sondern nur aristocratisch werden konnte. Denn hiezu hätte sich die Adelskörperschaft in eine gelehrte Gesellschaft verwandeln müssen. Mesmer gab daher dieses System auf, um sich in das der Magnete zu werfen.
Die Magnete wurden in jener Zeit stark studirt; ihre sympathetischen oder antipathetischen Eigenschaften verliehen den Mineralien ein Leben beinahe dem menschlichen ähnlich, indem sie ihnen die zwei großen Leidenschaften des menschlichen Lebens, die Liebe und den Haß, gaben. Demzufolge schrieb man den Magneten erstaunliche Kräfte, Heilung der Krankheiten zu. Mesmer verband die Wirksamkeit der Magnete mit seinem ersten System und versuchte zu sehen, was er aus dieser Zufügung ziehen könnte.
Zu seinem Unglück fand Mesmer, als er nach Wien kam, einen Nebenbuhler, der sich schon festgestellt hatte. Dieser Nebenbuhler hieß Hall und behauptete, Mesmer habe ihm sein Verfahren gestohlen. Sobald dieß Mesmer sah, erklärte er, als ein Mann von Phantasie, er gebe die Magnete als unnütz auf und werde nicht mehr mit dem mineralischen Magnetismus, sondern mit dem animalischen heilen.
Dieses Wort, als ein neues ausgesprochen, bezeichnete indessen keine neue Entdeckung; den Alten bekannt, bei den ägyptischen Einweihungen und dem griechischen Pythismus angewendet, hatte sich der Magnetismus im Mittelalter im Zustand der Überlieferung erhalten; einige gesammelte Fetzen von dieser Wissenschaft hatten die Hexenmeister des dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts gebildet; Viele, die man verbrannte, bekannten sich mitten in den Flammen zu der seltsamen Religion, deren Märtyrer sie waren.
Urbain Grandier war nichts Anderes als ein Magnetiseur.
Mesmer hörte von den Wundern dieser Wissenschaft sprechen.
Joseph Balsamo, der Held eines unserer Bücher, hatte eine Spur von seinem Durchzug in Deutschland und besonders in Straßburg zurückgelassen. Mesmer forschte nach dieser Wissenschaft, welche so zerstreut und flatternd war, wie jene Irrlichter, die des Nachts über die Teiche hinlaufen; er machte eine vollständige Theorie, ein gleichförmiges System daraus, dem er den Namen Mesmerismus gab.
Zu diesem Punkte gelangt, theilte Mesmer sein System der Academie der Wissenschaften von Paris, der königlichen Gesellschaft von London und der Academie von Berlin mit; die zwei ersten antworteten nicht einmal, die dritte sagte, er sei ein Narr.
Mesmer erinnerte sich des griechischen Philosophen, der die Bewegung leugnete und den sein Gegner dadurch, daß er ging, in Verwirrung brachte. Er kam nach Frankreich, nahm aus den Händen des Doctors Storck und des berühmten Augenarztes Wenzel ein Mädchen von siebenzehn Jahren, das mit einer Leberkrankheit und mit dem schwarzen Staar behaftet war, und nach einer Behandlung von drei Monaten war die Kranke geheilt, sah die