Acht, Herr Bemrode, nehmen Sie sich in Acht; ich habe bemerkt, daß Alles das, was Sie mit Ihrem Herzen machten, vortrefflich war, während Alles das, was Sie mit Ihrem Kopfe machen, schlecht ausschlägt . . . Nun denn! ich fürchte etwas, nämlich, daß Sie diese Predigt da wieder bei Weitem mehr mit Ihrem Kopfe, als mit Ihrem Herzen gemacht haben . . .
Ich war genöthigt, in meinem Innern einzugestehen, daß etwas Wahres in dem lag, was mein Wirth da sagte; aber meine Predigt war gemacht, ich fand sie nach meinem Geschmacke, und ich beschloß, sie so zu halten wie sie war.
Ich konnte, wie das erste Mal, zu Fuß nach Ashbourn gehen; – eine Strecke von sieben Meilen ist nicht sehr entsetzlich für dreiundzwanzigjährige Beine; – aber ich war jetzt so sicher, zu meiner Pfarre ernannt zu werden, daß ich nicht zögerte, mir den Luxus einer Carriole zu gewähren. Wäre außerdem dieser wie ein Bettler oder ein Landstreicher zu Fuß ankommende Pastor nicht sehr armselig in den Augen meiner zukünftigen Gemeinde, während diese aus der Stadt kommende Carriole ein gutes Ansehen hatte, und bei dem Candidaten einen gewissen Wohlstand andeutete. Nun aber liegt es leider, wie man weiß, in den Gewohnheiten der Menschen, besonders dem etwas anzubieten, der Nichts nöthig hat: da man also glauben würde, daß ich meine Pfarrstelle nicht nöthig hätte, so würde man sie mir ohne allen Zweifel anbieten.
Demzufolge ließ ich einen Miethkutscher kommen, der mir ein Pferd, einen Korbwagen und einen Kutscher für die Summe von fünf Schillingen gab.
Für diese Summe sollte er mich noch zurückfahren, wenn ich am folgenden Tage zurückkehrte; aber die Summe sollte sich auf sieben Schillinge belaufen, wenn meine Rückkehr erst am Montage stattfände.
Um elf Uhr Morgens machten wir uns auf den Weg. Mein Wirth, der Kupferschmied, stand unter seiner Thür; er wünschte mir glückliche Reise, aber er enthielt sich, mir einen glücklichen Erfolg zu wünschen, dann sah ich ihn ein letztes Mal den Kopf schütteln und in seinen Laden zurückkehren.
Diese Beharrlichkeit der Meinung bei einem Manne, dessen gesunden Verstand ich kannte, fing an, mich zu erschüttern. Ich nahm meine Predigt aus der Tasche, befahl meinem Kutscher, den Sommerweg der Straße einzuschlagen, um seiner Carriole und mir so viel Stöße als möglich zu ersparen, und begann mein Meisterstück wieder durchzulesen.
Ich muß sagen, daß, je weiter ich auf meiner Reise kam, und je mehr ich mich in meine Predigt vertiefte, desto mehr war ich genöthigt, mir selbst zugestehen, daß ich mich ein wenig sehr von einer Laune des Witzes hatte fortreißen lassen, die mich wohl zu dem Paradoxen hätte führen können; aber da der paradoxe, obgleich unbestreitbar falsche Witz, wenn er gut behandelt ist, einer der glänzendsten Witze ist, und es außer Zweifel war, daß meine Predigt in dem Stoffe und in der Form wundervoll ausgearbeitet war, so fuhr ich fort, mir zu sagen, daß sie durch den Glanz, mit dem sie bekleidet war, verblenden würde, wenn sie nicht rührte.
Nach Verlauf von drei Stunden des Fahrens fing ich an, jene Zeichen zu erkennen, welche die Annäherung eines Dorfes andeuten. Von Zeit zu Zeit erhoben sich an dem Rande des Weges, wie über ein Armeecorps wachende Vorposten aufgestellt, kleine weiße Häuser zwischen zwei Gärten; – vorn, ein Garten für die Blumen, ein ganz blendender und ganz von Nelken, Rosen und Jasmin duftender Garten; hinten ein Garten für die Früchte, an deren Bäumen die neuen Früchte anfingen, sich zu bilden, welche der folgende Monat vergolden und reifen sollte; vor den Thüren dieser Häuser, – zwischen Hühnern, die ihre Küchlein führten, Hunden, die im Schatten umherlagen, und Katzen, die in der Sonne blinzelten – wälzten sich rosige, blonde und halb nackte schöne Kinder. Das ganze reizende Schauspiel der lachenden und fruchtbaren Natur öffnete mein Herz sanften und zärtlichen Gefühlen. Ich ertheilte im Vorüberfahren und im Geiste aus dem Innern der Carriole meinen Segen diesen Häusern, diesen Blumen, diesen Früchten, diesen Hühnern, diesen Hunden, diesen Katzen, diesen Kindern, dieser ganzen beseelten und lebendigen Natur, die nach sechstausend Jahren des Bestehens frisch und jung war, wie als ob der Schöpfer sie am Tage vorher aus seinen Händen hätte fallen lassen. Ich sagte mir: »O mein Gott! Du allein weißt in diesem Augenblicke, und ich werde es bald mit Dir wissen, wie viele glückliche oder unglückliche Wesen diese bescheidenen Hütten enthalten, die in Mitte von Blumen blühen, die in Mitte von Früchten wachsen; ich werde es wie Du wissen, denn wenn Du ihr Gott bist, so werde ich ihr Pastor sein, das heißt der von der Vorsehung zwischen sie und Dich, o mein Gott, gestellte Vermittler! Dann verspreche ich Dir, Herr, alle meine Sorgfalt, alle meinen Eifer, alle meinen Verstand darauf zu verwenden, den Einen zu zeigen, wie man das Glück verdient, den Andern, wie man den Schmerz erträgt. Hier, mein Gott? – wenn Deine Weisheit zuläßt, daß ich zu diesem heiligen Amte berufen werde, – hier werde ich die Hände mit den Händen und die Herzen mit den Herzen verbinden; hier werde ich die kleinen Kinder in dem Augenblicke empfangen, wo sie nackend und indem sie ihren ersten Schmerzesschrei ausstoßen, in das Leben eintreten; hier werde ich sie aus dem Schooße ihrer irdischen Mutter in den Schooß der Kirche, ihrer himmlischen Mutter, übergehen lassen; hier werde ich die Jugend unterrichten und sie lehren, Dich zu preisen, mein Gott! Hier werde ich dem Alter die Augen schließen und es lehren, Dich für das Gute wie für das Böse, für das Vergnügen wie für den Schmerz zu segnen!«
Und indem ich das sagte, wurde mein Herz von einer so außerordentlichen Rührung beklommen, daß Thränen aus meinen Augen flossen, und daß ich, indem ich die Arme gen Himmel erhob, meine Predigt aus meinen Händen fallen ließ.
– Nehmen Sie sich in Acht, mein Herr, sagte der Kutscher zu mir, Sie verlieren Ihr Heft Papier.
Diese Worte riefen mich wieder zu dem Irdischen zurück, ohne mich indessen gänzlich aus meinem Entzücken zu erwecken; ich raffte meine Predigt wieder auf, und warf die Augen auf die ersten Zeilen . . .
O, mein lieber Petrus! wie ich, bevor ich auf die Hälfte der ersten Seite gekommen, der Meinung meines Wirthes, des Kupferschmieds war! Diese süßen Thränen, welche ich vergoß, fühlte ich in dem Maße in meinen Augen versiegen, als ich meine Prosa las; diese Begeisterung, welche mir das Herz klopfen ließ, fühlte ich in dem Maße in meiner Brust erlöschen, als ich in meiner Predigt weiter kam. Ich sah endlich diesen Text als das, was er war, das heißt, ein wahres Wortspiel; diese Form erschien mir in ihrer wahren Ansicht, das heißt falsch, schwülstig, erbärmlich! Ich versuchte weiterzugehen, es war mir unmöglich. Ich fragte mich, wie man dieser reichen Natur und dieser blühenden Menschheit gegenüber, Wirkung in Zusammensetzungen von Worten oder Spielen der Gedanken und des Witzes suchen könnte. Ich erröthete selbst über diese Treibhausberedtsamkeit, verglichen mit den einfachen, aber reinen Gedanken, welche mir die Gegenstände so eben eingeflößt, die ich vor Augen hatte. Ich rief aus: »O Ihr, die Ihr von mir das Wort des Herzens erwartet, beruhigt Euch, meine Brüder! ich werde Euch nicht das Gift des Verstandes bringen! Und wenn ich, morgen Euch gegenüber angekommen, Euch nur die Worte sagen sollte: »O meine Brüder! lobet den Herrn und liebt Euch unter einander!« nein, ich werde Euch nicht diese lügnerische und alberne Predigt halten, die mein Wirth, der Kupferschmied, dieser Arme an Geist, der so reich an Herz ist, so richtiger Weise verachtet hat.
Und da wir gerade in diesem Augenblicke die ersten Häuser des Dorfes erreichten, so zerriß ich meine Predigt, und indem ich die Stücke aus der Carriole warf, so fand ich ein Vergnügen daran zu sehen, wie der Wind sie verwehte und in die Vergessenheit fortführte.
IX.
Wie Witwe
Die Carriole hielt vor der Thür der Madame Snart. Bei dem Rollen der Räder erschien meine ehemalige Protectorin auf der Schwelle; sie war schwarz gekleidet, und ihre gerötheten Augen und ihre durchfurchten Wangen bezeugten das Vorüberkommen von Thränen, wie auf der Oberfläche der Erde nach einem Gewitter die ausgehöhlte Schlucht das Vorüberkommen eines Waldstromes anzeigt.
Und dennoch fühlte man unter diesem entstellten Gesichte ein ruhiges Herz und ein reines Gewissen. Sie lächelte mir traurig zu, und indem sie mich willkommen hieß, sagte sie zu mir:
– Herr Bemrode, ich erwartete Sie. Ich weiß, was Sie herführt, und wünsche, daß dieses Haus, in welchem ich Sie vor drei Monaten empfangen habe, und in welchem ich Sie heute empfange, das Ihrige wird.
Dieser Wunsch war mit so vieler Einfachheit und einer so sympathetischen Stimme ausgesprochen, daß kein Zweifel über seine Aufrichtigkeit