erkannt zu werden.
Wir haben gesagt, bei welcher Beschäftigung wir die arme Frau sahen. Der Verkauf des ärmlichen Nachlasses war auf den folgenden Tag angesetzt.
Ein Mann, der nicht viel besser gekleidet war als sie, betrachtete sie mitleidig.
»Ei! das trifft sich ja gut,« sagte der Wirth; »der Zufall führt Ihnen die beiden größten Merkwürdigkeiten unserer Stadt vor die Augen.«
»Wer ist dieser Mann?«
»Eugen Hermant de Dorval, der Diogenes von Châlons.«
»Aber ohne die Tonne, man scheint sie ihm bei der letzten Weinlese genommen zu haben.«
»Rathen Sie, was er ist.«
»Er sieht aus wie ein Lumpensammler.«
»Er war es vormals.«
»Und was ist er jetzt?«
»Ein Poet.«
»Er hat nicht recht gethan, sein erstes Geschäft aufzugeben, es muß ihm mehr eingetragen haben als das zweite.«
»Soll ich ihn rufen?«
»Warum das?«
»Er ist ein Original und eines aufmerksamen Studiums wohl werth-«
»Gut, so rufen Sie ihn.«
Der Wirth hatte Recht. Er war ein sonderbarer Kauz, ein eigenthümliches Product unserer socialen Gährung. In der Armuth geboren, konnte er im Alter von fünfzehn Jahren weder lesen noch schreiben; von seinem Vater, einem alten braven Soldaten aus dem Kaiserreich. hatte er nichts geerbt als den leeren Tornister, den er zuerst als Lumpenkorb und später als Portefeuille benutzte.
Er hieß Eugen Hermant. Eines Tages sah er die Dorval spielen. Dieser Anblick begeisterte ihn und er kam auf den Gedanken, Verse zu machen. Er versuchte es, ohne die einfachsten Grundbegriffe der Poesie zu kennen.
In seinem ersten Versuch, den er nicht einmal aufzeichnen konnte, waren einige Gedanken, wenig Reime und viele Verstöße gegen den Versbau. Die Person, welcher er seine Verse hersagte, machte ihn auf die Mängel derselben aufmerksam. Der junge Hermant sah nun ein, daß die Feder nicht so leicht zu führen sey wie der Haken des Lumpensammlers. Mit einer Willenskraft, welche schon ein gewisser Grad von Genie ist, lernte er lesen und schreiben und studirte die Regeln des Versbaues. Seinen zweiten poetischen Versuch, der schon besser gelungen war, unterzeichnete er »Hermant de Dorval.« Er meinte, da er von seinem ersten Pathen den Namen Eugen erhalten, so könne er, nachdem er, durch das Wasser der Hypogrene geweiht, den Namen seiner zweiten Pathin Dorval wohl annehmen. Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden.
Seit jener Zeit unterzeichnet dieser Diogenes, welcher es dem athenischen an Cynismus und Unsauberkeit gleichthut, seine Verse immer »Hermant de Dorval« und er ist auf diesen Namen, den er mit der Feder erobert, eben so stolz, wie die Marschälle von Frankreich auf ihren mit dem Degen eroberten Namen waren.
Er hat recht: Kellermann und Mortier haben, um Marschälle von Frankreich und Herzoge von Valmy und Treviso zu werden, keiner so großen Geduld und Ausdauer bedurft, wie der arme Waisenknabe, um lesen und schreiben zu lernen und ein Poet zu werden.
II
Der Leser wird sich erinnern, daß ich die Reise nach Varennes nicht unternommen hatte, um Madame Lingot oder den Diogenes von Châlons zu sehen. Ich war gekommen, um den Ort zu sehen, wo die Pferde, welche den Wagen Ludwigs XVI. zogen, zweimal stürzten und sich dergestalt in die Stränge verwickelten, daß man sie losmachen und wieder anspannen mußte, wodurch mehr als eine Stunde Zeit verloren ging.
Von einem sehr gefälligen, geistreichen alten Herrn begleitet, begab ich mich in das Posthaus. Man hatte mir versichert, die Post sey immer in diesem Hause gewesen und hier habe daher Ludwig XVI. am 21. Juni um halb fünf Uhr Nachmittags die Pferde gewechselt.
Der jetzige Posthalter Duquet, welcher zu jung ist, um sich auf seine eigenen Erinnerungen zu verlassen, war so gefällig unter seinen Papieren sorgfältige Nachsuchungen anzustellen. Er entdeckte die Ursache dieses Irrthums in dem Titel; Messageries Royales, welchen man den jetzt von ihm bewohnten Gebäuden beilegt. Diese sind nicht mehr das Bureau der Messageries, sondern das Posthaus.
Die Post von 1791 befand sich am Ende der Straße St. Jacques, in dem Hause, welches gegenwärtig von einem Herrn Perrier bewohnt wird. Der Postmeister hieß Viet.
»Wenn wir unerkannt nach Châlons kommen,« hatte der König gesagt, »so sind wir gerettet.«
Man war unerkannt nach Châlons gekommen.
Wir wollen sehen, wie man bis dahin gekommen war. Dieser Abschnitt der französischen Geschichte hat mich immer so lebhaft beschäftigt, daß ich alle mit der Flucht nach Varennes verbundenen Umstände erforscht zu haben glaubte.
Wer war der erste Rathgeber zu dieser verhängnißvollen Flucht gewesen? Das Bild Carls I.
Wer dieses herrliche Bild gesehen hat, ist gewiß gedankenvoll vor demselben stehen geblieben. Da steht er, der stolze Stuart, nachsinnend, die rechte Hand auf den Stock gestützt, die linke an dem Degengefäß; er steht da mit seynem langen Haar, im Kampfe gegen die geschorenen Köpfe, die Rundköpfe, die Puritaner; hinter ihm steht sein Pferd, von dem Pagen Barry gehalten; vor ihm breitet sich das Meer aus, welches sich verschworen zu haben scheint gegen den »König der vier Meere,« wie sich seine Vorgänger, die Könige der rothen und weißen Rose, nannten.
Dies ist alles was man auf dem Bilde sieht. Aber hinter dem halb abgewendeten Könige, hinter dem ungeduldig mit dem Huf scharrenden Pferde, hinter dem sorglosen Pagen, der weder die Besorgnisse des Königs noch den Instinct des Thieres hat – hinter dieser Gruppe ahnt man das düstere Fenster von Whitehall, das schwarzbehängte Blutgerüst, den verlarvten Scharfrichter.
Dieses Bild hat auf das Geschick Frankreichs einen unheilvollen Einfluß gehabt. Wir wollen die Geschichte dieses Meisterwerkes mit wenigen Worten erzählen.
Es war in England, wo man den Werth dieses Kunstwerkes nicht kannte. Ein Mann, der sich für einen französischen Kaufmann ausgab, kam einst zu dem Besitzer des Bildes und bot ihm tausend Louisdor dafür. Das glänzende Gold verlockte den Engländer und das Gemälde wurde das Eigenthum des Kaufmanns.
Der Kaufmann war ein Emissär des Herzogs von Richelieu. Was in aller Welt wollte der Herzog von Richelieu mit diesem Bilde machen? Es war eine Verschwörung gegen das Parlament im Zuge: man wollte einen alten König bewegen, sein Parlament zu cassiren, und um dem Könige einige Willenskraft wieder zu geben, mußte man ihn zu verjüngen suchen. Der König war Ludwig XV.
Der Herzog von Richelieu erfand Madame Dubarry, eine junge hübsche Intrigantin, welche gerade unbedeutend genug war, um keinen persönlichen Einfluß zu bekommen, und geistreich genug, um fremden Einfluß zu unterstützen.
Richelieu und Aiguillon erwiesen der kleinen Grisette anfangs die Ehre, ihr den Hof zu machen, dann vermälte man sie mit einem armen Edelmann, der ihr seinen Namen lieh, und endlich schmuggelte man sie in den Palast Ludwigs XV. ein.
Die Dame entsprach den Erwartungen. Ludwig IV. fand Gefallen an der vertraulichen Keckheit, mit welcher die Favoritin sprach, ihre feurigen Küsse wirkten elektrisch auf den abgelebten Greis, und endlich hielt man ihn für fähig, eine Staatsumwälzung auszuhalten.
Zu jener Zeit kaufte Richelieu das Gemälde von Van Dyk und gab es der Favoritin unter dem Vorwande, jener Page, welcher das Pferd Carl’s I. hielt und Barth hieß, sey ein Ahnherr ihres Gemahls.
Dieses Porträt Carl’s l. wurde im Schlosse zu Versailles an einen Ort gehängt, wo Ludwig XV. es immer vor Augen haben konnte, nemlich in das Boudoir der Favoritin, ihrem Sofa gegenüber. Das Gemälde nahm die ganze Wand der niedrigen Dachstube ein.
Dieses herrliche Bild, welches man nicht nur als Kunstwerk, sondern als eine Erinnerung an die Unbeständigkeit des Schicksals hätte achten sollen, war sieben oder acht Jahre Zeuge der frechen Coketterien dieser Buhlerin, welche, wie Lamartine so schön sagt, den Thron durch ihr Gelächter und das Blutgerüst durch ihre Thränen entweihte.
Angesichts dieses Bildes, sagt Michelet, pflegte sie den König beim Kopf zu nehmen und auf Carl l. zu deuten.
»Siehst