Knabe bricht zuerst das Stillschweigen, er wirst über seinen Kopf das Mußbrod, welches auf den Fuß des nur noch aus einer Matratze bestehenden Bettes fällt, und ruft seiner Mutter zu:
»Mama, ich will kein Brod und kein Muß mehr . . .pfui!«
»Was willst Du denn, Toussaint?«
»Ich will eine Stange rothen Gerstenzucker.«
»Hörst Du, Beausire?« fragt die Frau.
Dann, da sie sieht, daß Beausire, in seine Berechnungen versunken, nicht antwortet, wiederholt sie noch lauter:
»Hörst Du, was das arme Kind sagt?«
Dasselbe Stillschweigen.
Nun hebt sie ihren Fuß bis zur Höhe der Hand empor, nimmt ihren Pantoffel, schleudert ihn dem Rechner an den Kopf und ruft:
»He! Beausire!«
»Nun! was gibt es?« sagt dieser mit einem bemerkbaren Ausdruck schlechter Laune.
»Toussaint verlangt rothen Gerstenzucker, weil er kein Muß mehr will, der arme Knabe!«
»Er wird morgen bekommen.«
»Ich will heute, ich will diesen Abend, ich will aus der Stelle!« ruft das Kind mit einem weinerlichen Tone, der stürmisch zu werden droht.
»Toussaint, mein Freund spricht der Vater, »ich rathe Dir, uns Stillschweigen zu gewähren, oder Du hast es mit Papa zu thun.«
Das Kind stieß einen Schrei aus, welcher ihm mehr durch den Eigensinn, als durch die Angst entrissen wurde.
»Rühre doch den Kleinen ein wenig an, Trunkenbold, und Du wirst es mit mir zu thun haben!« versetzt die Mutter, indem sie gegen Beausire die weiße Hand ausstreckt, die bei der Sorgfalt, welche die Eigenthümerin aus die Form der Nägel verwendet hatte, im Nothfall ohne Klaue werden konnte.
»Ei! wer des Teufels will denn dieses Kind anrühren? Du weißt wohl, daß dies eine Redensart ist, Frau Oliva, und daß man, wenn man auch von Zeit zu Zeit der Mutter die Kleider ausklopst, doch immer das Wamms des Kindes respeclirt hat . . .Komm und küsse den armen Beausire, der in acht Tagen reich sein wird wie ein König; auf, komm, meine kleine Nicole!«
»Bist Du einmal reich wie ein König, mein Herzchen, so wird es noch Zeit sein, Dich zu umarmen, doch bis dahin, nein!«
»Ich sage Dir aber, daß es ist, als hätte ich hier eine Million; mache mir einen Vorschuß, das wird uns Glück bringen: der Bäcker gibt uns Credit.«
»Ein Mensch, der in Millionen wühlt und vom Bäcker Credit für einen vierpfündigen Laib Brod verlangt!«
»Ich will rothen Gerstenzucker!« rief das Kind mit einem Tone, der immer bedrohlicher wurde.
»Nun, Du Millionär, gib dem Kinde ein Stück Gerstenzucker.«
Beausire machte eine Bewegung, als wollte er mit der Hand in die Tasche greisen, doch diese Hand legte nicht die Hälfte des Weges zurück.
»Ei!« sagte er, »Du weißt wohl, daß ich Dir gestern mein letztes Vierundzwanzig-Sous-Stück gegeben habe.«
»Da Du Geld hast, Mutter,« rief de: Knabe, indem er sich gegen diejenige umwandte, welche der ehrenwerthe Herr von Beausire abwechselnd Oliva und Nicole genannt halte, »so gib mir einen Sou, daß ich rothen Gerstenzucker kaufen kann.«
»Hier hast Du zwei, böses Kind, und nimm Dich in Acht, daß Du nicht fällst, wenn Du die Treppe hinabgehst.«
»Ich danke, Mütterchen!« versetzte der Knabe, der die Hand ausstreckte und vor Freude hüpfte.
»Komm hierher, kleiner Bursche, ich will Dir Deinen Gürtel umschnallen und Deinen Hut aufsetzen, damit man nicht sagt, Herr von Beausire lasse sein Kind ganz zerlumpt aus der Straße gehen, was ihm gleichgültig ist, ihm, der kein Herz hat, worüber ich aber vor Scham sterben würde.«
Der Knabe hatte große Lust, was auch die Nachbarn über den muthmaßlichen Erben des Hauses Beausire sagen dürften, ohne Hut und Gürtel wegzulaufen, denn er hatte die Nützlichkeit dieser Gegenstände nur so lange anerkannt, als sie durch ihre Frische und ihren Glanz die Bewunderung der anderen Kinder erregten. Da aber Gürtel und Hut eine der Bedingungen der zwei Sous waren, so mußte sich der junge Schreihals, so widerspänstig er war, wohl fügen.
Er tröstete sich damit, daß er, ehe er wegging, sein Zwei-Sous-Stück seinem Vater unter die Nase hielt, – ein reizender Spaß, über den Herr von Beausire, in seinen Berechnungen versunken, nur einfach lächelte.
Dann hörte man seinen ängstlichen, obwohl durch die Naschhaftigkeit beschleunigten, Tritt aus der Treppe sich verlieren.
Die Frau, nachdem sie ihrem Kinde mit den Augen gefolgt war, bis sich die Thüre wieder hinter ihm zugethan hatte, lenkte ihren Blick vom Sohne aus den Vater zurück und sagte nach einem kurzen Stillschweigen:
»Ah! Herr von Beausire, Ihr Verstand wird uns, doch aus der elenden Lage, in der wir uns befinden, reißen müssen, sonst müßte ich zu dem meinigen Zuflucht nehmen.«
Und sie sprach diese letzten Worte, indem sie sich zierte wie eine Frau, der ihr Spiegel am Morgen gesagt hätte: »Sei ruhig, mit diesem Gesichte stirbt man nicht Hungers!«
»Du siebst ja, meine kleine Nicole, daß ich mich hiermit beschäftige,« erwiederte Herr von Beausire.
»Ja, indem Du Karten umschlägst und Cartons durchstichst.«
»Ich sage Dir aber, daß ich sie gefunden habe!«
»Was?«
»Meine Martingale.«
»Gut, das fängt wieder an! Herr von Beausire, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich in meinem Gedächtnisse unter meinen alten Bekannten suchen werde, ob nicht einer darunter ist, der die Macht hätte, Sie als Narren nach Charenton bringen zu lassen.«
»Ich sage Dir, daß sie unfehlbar ist!«
»Ah! wäre Herr von Richelieu nicht todt!« murmelte die junge Frau.
»Was sprichst Du?«
»Wäre der Herr Cardinal von Rohan nicht zu Grunde gerichtet!«
»Wie?«
»Wäre Frau von La Mothe nicht aus der Flucht!«
»Was beliebt?«
»Man würde die Mittel finden und wäre nicht genöthigt, das Elend eines solchen alten Strolchs zu theilen.«
Und mit der Geberde einer Königin bezeichnete Mademoiselle Nicole Legay, genannt Madame Oliva, verächtlich Beausire.
»Ich sage Dir aber,« wiederholte dieser mit dem Tone der Ueberzeugung, »morgen werden wir reich sein!«
»Millionen?«
»Millionen!«
»Herr von Beausire, zeigen Sie mir die ersten zehn Louis d’or von Ihren Millionen, und ich werde das Uebrige glauben.«
»Du wirst sie heute Abend sehen, diese ersten zehn Louis d’or.«
»Und Du willst sie mir geben?« fragte lebhaft Nicole.
»Das heißt, ich werde Dir fünf davon geben, um ein seidenes Kleid für Dich und ein Sammetröckchen für den Kleinen zu kaufen; mit den fünf anderen . . .«
»Nun, mit den fünf anderen?«
»Bringe ich Dir die versprochene Million.«
»Du willst abermals spielen, Unglücklicher?«
»Wenn ich Dir sage, daß ich die unfehlbare Martingale gesunden habe.«
»Ja, die Schwester von der, mit welcher Du die sechzigtausend Livres, die Dir von Deinem Geschäfte mit Portugal blieben, verbraucht hast.«
»Ein schlecht erworbenes Geld bringt keinen Vortheil,« erwiederte Beausire sentenziös, »und es war immer meine Idee, die Art, wie uns jenes Geld zugekommen, habe uns Unglück gebracht.«
»Es scheint also, dieses fällt Dir durch die Erbschaft zu. Du hattest einen Oheim, der in America oder in Indien gestorben