jetzt noch?
– Immer, so lange ich lebe.
– Der Unterschied zwischen uns beiden ist mir klar. Sie lieben Niemanden, nicht einmal sich selbst. Ich liebe zwar auch Niemanden, aber ich liebe mich selbst. Sie sind Misanthrop und ich bin Egoist, bin daher glücklicher als Sie; aber da Sie noch jung sind, können Sie einst eben so glücklich werden, als ich. Warum ärgern Sie sich über den Conducteur? müssen Sie vielleicht irgend wo eilig eintreffen?
– Nein; ich würde nirgends etwas besseres vorfinden, auch weiß ich nicht einmal, wohin ich reise.
– Haben Sie Familie?
– Nein.
– Heirathen Sie.
– Um Geschöpfe zu erzeugen, die einst leiden werden, wie Hamlet sagt. Das ist unnütz, außerdem habe ich auch kein Vermögen und keine Stellung in der Welt.
– Was gedenken Sie zu beginnen?
– Bei Gott, das weiß ich nicht! Vielleicht wird das Schicksal müde, mich zu verfolgen, wenn ich ihm eine Gleichgültigkeit entgegenstelle, wie Sie sie besitzen.
In diesem Augenblicke hielt der Wagen an. Der Conducteur öffnete die Thür des Wagens und kündigte den Reisenden an, daß sie aussteigen und zu Mittag essen könnten.
Tristan und Van-Dick lenkten ihre Schritte der table d’hôte zu und setzten sich hinter die leeren Teller. Der Conducteur nahm am Ende des Tisches Platz, wo ihm die Schüsseln zur Seite standen. Kaum hatte er so rasch seine Suppe, ein Gemüse und seinen Braten gegessen, als nur ein Mensch im Stande ist, zu essen, als er auch schon ausrief:
– Beeilen Sie sich, meine Herrn, beeilen Sie sich!
– Haben Sie dergleichen schon erlebt? fragte Van-Dick unsern Tristan.
– Nein, noch nie.
– Dieser Mensch ist noch stärker, als ich.
– Beneiden Sie ihn?
– Nein, das wäre zu anstrengend; ich bewundere ihn.
– Wie finden Sie das Essen?
– Schlecht.
– Und doch essen Sie?
– Ich habe meinen Grund.
– Welchen?
– Das Bedürfniß, mich zu gewöhnen. Morgen wird mir das Frühstück weniger schlecht erscheinen, das Mittagsessen vielleicht gut und komme ich nach Hause, finde ich dort meine Lebensmittel excellent.
– Sie sind ein großer Philosoph.
– Ich weiß es. Als der Conducteur seine Mahlzeit völlig beendet, ließ er die Reisenden in den Wagen steigen. Herr Van-Dick nahm seine beiden Plätze wieder ein, zog langsam eine Pfeife hervor, lud sie mit Tabak, schlug Feuer, blies es an, legte es auf die Pfeife und begann zu rauchen.
– Geniert Sie der Tabakrauch? fragte er Tristan, als das Feuer sich dem Tabak mittheilte.
Hierauf legte er sich mit einer unbeschreiblichen Behaglichkeit in die Ecke des Wagens und athmete wollüstig den Rauch, den er aus seiner Pfeife blies. Mit wahrer Bewunderung betrachtete Tristan diesen Mann. Der Tag näherte sich dem Abend, die Sonne begann sich zu röthen, ein durchsichtiger Nebel lagerte sich wie ein Bote der Nacht auf die Felder und die Luft war so ruhig, daß der Rauch, den Herr Van-Dick ausblies, einige Augenblicke unschlüssig stehen blieb und sich dann nach und nach verzog.
Bei dem Anblicke dieses Glückes und dieses Wohlbehagens stiegen in dem Geiste unseres Helden unendlich viel Gedanken auf. Herr Van-Dick dachte nichts, er rauchte, betrachtete die verschiedenen Gestalten, welche der Rauch bildete und freute sich über die Kinder, welche in den Dörfern schreiend dem Wagen nachliefen.
Endlich verschmolz die ganze Landschaft in eine Farbe, der Mond flieg herauf, die Nacht kam und die Pfeife des Holländers ging aus, da ihr der Tabak fehlte. Dann schloß er die Augen und ein etwas starkes Athemholen kündigte seinem Nachbar an, daß er eingeschlafen sei.
Nachdem Tristan noch eine Zeitlang über den Wechsel der menschlichen Schicksale nachgedacht, schlief auch er ein.
Als er bei dem ersten Wehen der frischen Morgenluft erwachte, hatte er das Vergnügen, den vollen Schlaf eines Holländers zu erblicken. Tristan vergnügte sich an dieser Menschennatur, und als ob eine gegenseitige Anziehungskraft in Beiden wirkte, vergnügte sich Herr Van-Dick an ihm. Beide kannten sich erst seit zu kurzer Zeit, um sich diese Sympathie zu gestehen, aber unser Tenor genoß das Vergnügen, die Theorien dieses Kaufmanns anzuhören, welche mit seinen Prinzipien ganz übereinstimmten. »Ich hätte besser gethan, sprach er zu sich selbst, wenn ich meine Frau nicht geliebt und nicht geheirathet hätte; ein Mädchen, was ich nicht geliebt, das mir aber einen Fond von Käsen oder Materialwaaren zugebracht, als Lebensgefährtin zu ehelichen, wäre ersprießlicher für mich gewesen, als auf dem Lande zu seufzen, Medicin zu studieren und Verse und Gemälde zu fabriciren. Eine andere Frau hätte mich ebenso geliebt, als die meinige.«
Nachdem er diese Betrachtung vollendet und vielleicht eine Thräne im Auge zerdrückt hatte, erwachte der Holländer.
– Nun, mein Bester, haben Sie gut geschlafen?
– Sehr wenig.
– Ich glaube, wir sind Crevola bereits passiert?
– Ja.
– Aber was fehlt Ihnen, mein junger Freund, Sie scheinen mir traurig zu sein?
– Ich bin es in der That.
– Was ist Ihnen?
– Die Einsamkeit hat traurige Betrachtungen in mir erweckt!
– Haben Sie vielleicht Jemanden verlassen, den Sie lieben?
– Nein.
– Vielleicht eine Geliebte?
– O durchaus nicht. Ich bin traurig, weil man mich da, wohin ich gehe, nicht mehr lieben wird, als dort, woher ich komme.
– In Ihrem Alter bleibt man nicht lange allein. Gott hat den jungen Leuten die Liebe in das Herz gepflanzt, damit sie sich eine Familie anschaffen können.
– Wenn aber die Liebe entflieht?
– Dann bleibt die Freundschaft! wie die Weisen sagen.
– Und wenn man der Freundschaft keinen Glauben schenkt?
– Dann bleiben die Geschäfte, und dabei können Sie versichert sein, keine Freunde zu haben.
– Ganz recht. Um aber Geschäfte zu machen, muß man Vermögen besitzen, das mir fehlt.
– Verstand ist alles, was dazu nöthig ist. Als ich anfing, besaß ich nichts, und jetzt kommandiere ich zwölftausend Thaler jährlicher Renten und bin Chef einer ausgebreiteten Leinewand- und Tuch-Handlung en gros.
– Sie, mein Herr, scheint eine Fee aus der Taufe gehoben zu haben.
– Wer verhindert. Sie, dieselbe Gevatterin zu haben?
– Der Platz ist besetzt.
– Man wird Ihnen helfen.
– Wer?
– Jeder. Ich!
– Sie?
– Ja.
– Und wie würden Sie mir helfen?
– Indem ich mich Ihrer bediene. Sie geben mir Ihre Intelligenz, und ich gebe Ihnen eine Stellung. Was haben Sie gelernt?
– Alles, und nichts!
– Schreiben Sie eine gute Hand?
– Eine sehr gute.
– Verstehen Sie Mathematik?
– Vollkommen.
– Sprechen Sie fremde Sprachen.
– Ich spreche deren vier.
– Welche?
– Französisch, Deutsch, Englisch