Alexandre
Jaques Ohnohr
Einleitung
Es ist die Geschichte des Meutenführers eines Bojaren, vielleicht des letzten Repräsentanten der alten moskowitischen Sitten aus der Zeit Peter des Großen und Biren's, die ich erzählen will.
Freilich wird in meiner Erzählung ein wenig mehr von dem Herrn und der Dame, als von dem Diener die Rede sein, und meine Geschichte könnte ebenso gut »Die Prinzessin Varvara« oder »Der Fürst Grubenski«, als »Jacquot Ohnohr« betitelt sein; aber was will man sagen, zu einer Zeit, wo man sich eher damit beschäftigt, den Titel eines Romans oder eines Drama's zu suchen, als man den Gegenstand sucht, und wo der Titel die beste Gewähr für den Erfolg leistet, scheint mir Jacquot Ohnohr Alles, was von Originalität erforderlich ist, zu enthalten, um die Neugierde der Leser zu erregen.
Ich werde also bei Jacquot Ohnohr bleiben.
Ich hatte oft in St. Petersburg, in Moskau und besonders in Nichney-Nowgorod von dem Fürsten Alexis Iwanowitsch Grubenski sprechen hören; man erwähnte von ihm die unglaublichsten Uebertriebenheiten; aber diese Uebertriebenheiten, die den am meisten entwickelten englischen Humor weit hinter sich gelassen hätten, wurden selbst hinsichtlich des Burlesken, ich weiß nicht von welchem düsteren Gewölk verdunkelt, welches über diesem fremdartigen Dasein schwebte. Man fühlte, daß, obgleich von der Zeit und von den Anstrengungen derjenigen, welche ein Interesse dabei hatten, ihn ganz verschwinden zu lassen, zur Hälfte ausgelöscht, an dem Leben des Letzten der Bojaren, wie man ihn allgemein in dem Gouvernement von Nichney-Nowgorod nannte, einer von jenen dunkelrothen Flecken haftete, der, gleich denjenigen, die man auf dem Fußboden in der Hirschgalerie in Fontainebleau und des königlichen Cabinets zu Blois zeigt, vergossenes Blut verräth.
Ueberall hat man mir gesagt:
»Wenn Sie sich zufällig in Makarieff aufhalten sollten, so vergessen Sie nicht, dem Kloster gegenüber auf der anderen Seite der Wolga die Ruinen des Schlosses Grubenski zu besuchen. Besonders,« fügte man hinzu, »vergessen Sie nicht, sich die Galerie der Portraits zeigen zu lassen.«
Nur die, welche mit mir gereist sind, können meine Beharrlichkeit unter solchen Umständen schätzen; wenn ich irgendwo eine Sage, eine Ueberlieferung, eine Chronik wittere, so kann keine Einwendung, keine Bitte, kein Widerspruch etwas machen; wenn ich einmal die Spur gefunden habe, verfolge ich sie auch bis zu Ende.
Auch hatte mir der Capitain des Dampfboots, welches mich von Nichney nach Kasan fahren sollte, versprechen müssen, nicht zu verfehlen, in Makarieff anzuhalten, möchte er es nun bei Tage oder bei Nacht passieren.
In der That, sobald man, ich will nicht sagen Makarieff – man sieht Makarieff nicht über der Wolga – sondern die ausgezackten Mauern des alten Klosters, welches bis an das Ufer des Flusses vortritt, aus der Ferne erblickte, kam der Capitain, seinem Versprechen getreu, und sagte:
»Monsieur Dumas, bereiten. Sie sich vor, wenn es noch Ihre Absicht ist, in Makarieff auszusteigen; in zehn Minuten werden wir dort sein.«
Zehn Minuten später waren wir in der That dort, und auf das Zeichen, welches ich ihm gab, stieß ein Boot vom linken Ufer der Wolga ab und kam, mich von dem Dampfboot abzuholen.
Darauf bemerkte ich, daß ein junger russischer Officier, mit welchem ich während unserer Flußfahrt einige Worte gewechselt hatte, dieselben Vorbereitungen wie ich machte.
»Steigen Sie vielleicht auch in Makarieff aus, mein Herr?« fragte ich ihn.
»Ach! ja, mein Herr; ich stehe dort in Garnison.«
»Dieses Ach! ist wenig schmeichelhaft für Makarieff.«
»Es ist ein abscheuliches Loch, und es wundert mich, daß Sie dort aussteigen, da Sie nicht dazu gezwungen sind. Was Teufel haben Sie in Makarieff zu thun?«
»Zwei sehr wichtige Dinge: ich will dort einen Koffer kaufen und das Schloß Grubenski besuchen; und ich gestehe Ihnen, als ich sah, daß Sie Ihr Gepäck in Bereitschaft brachten, freute ich mich über das, was Sie in Verzweiflung setzte. Indem ich Ihre ganze Höflichkeit schätzte, sagte ich mir: Da ist ein Führer, wie gefunden für meinen Einkauf und für meinen Besuch!«
»Was das betrifft,« entgegnete mir der junge Offizier, »da haben Sie sich nicht getäuscht, und ich werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie über mich verfügen wollen. Die Zerstreuungen in Makarieff sind selten; Sie bieten mir die Ihrer Gesellschaft an, und ich nehme sie von ganzem Herzen an. Es ist der Honig, womit man den Rand eines Gefäßes bestreicht, worin man den Kindern eine Arznei giebt. Jetzt lassen Sie mich einige Bedingungen stellen.«
»Thun Sie es, ich nehme sie zum voraus an.«
»Sie begreifen, daß Niemand mehr in Makarieff anhält, seitdem die Messe von Makarieff nach Nichney-Nowgorod verlegt worden ist.«
»Außer Denen, die dort einen Koffer kaufen und das Schloß Grubenski besuchen wollen.«
»Ja, aber die sind selten. Es ist keine Herberge mehr in Makarieff, oder wenn noch eine da ist, so ist sie schlimmer, als wenn gar keine da wäre.«
»Ah! da sehe ich, wohin Sie kommen wollen: Sie wollen mir Kost und Wohnung anbieten; ich bin in Rußland schon an diese Art gewöhnt.«
»Gerade so.«
»Ein Anderer würde Umstände machen; ich nehme es an.«
Und ich reichte ihm die Hand.
»Ah! meiner Treu,« sagte er, »ich ließ mir nicht träumen, daß ich ein solches Glück haben würde. Steigen Sie also aus, ich bitte Sie.«
Und in der That legte das Boot, welches uns ans Land bringen sollte, an das Fahrzeug an.
Ich sagte dem Capitain des Dampfschiffes und den wenigen Personen, mit welchen ich während der dreitägigen Fahrt auf der Wolga Bekanntschaft gemacht hatte, Lebewohl und nahm meinen Platz in dem Boote ein.
Mein junger Capitain folgte mir.
»Ah! Sie sind es, Herr Graf!« sagte der Bootsmann zu ihm, als er ihn erkannte; »der Wagen erwartet Sie seit gestern Abend.«
»Ja,« sagte der junge Mann, »ich glaubte gestern anzukommen; aber diese elenden Dampfboote gehen wie Schildkröten. – Und es geht. Alles gut in Makarieff?«
»Gott sei Dank, Herr Graf, Alles geht gut.«
»Ich hoffe, er würde sagen, das Feuer habe die Stadt niedergebrannt und die Garnison sei nach St. Petersburg gerufen oder wenigstens nach Kasan versetzt worden. Es ist Nichts damit; unterwerfen wir uns dem Willen Gottes!«
Und der Graf stieß einen so ernstlichen Seufzer aus, – als hätte er wirklich gehofft, daß die Stadt niedergebrannt sein möchte.
Ein Wagen und ein Bedienter in französischer Livrée erwarteten uns am Ufer des Flusses. Es war keine Droschke, sondern ein eleganter amerikanischer Wagen.
Dieser Anblick gewährte mir eine große Hoffnung: nämlich, daß ich in dem Zimmer, welches mein Wirth mir anbieten würde, ein Bett und eine Waschschale finden dürfte, zwei Dinge, die ich seit meiner Abreise aus Moskau niemals vereint gefunden.
Ich hatte mich nicht getäuscht: das Haus des Grafen Vaninkoff – das war der Name meines jungen Officiers – war nach französischer Mode möbliert und ich fand ungefähr eine Wert von der Wolga mein pariser Schlafzimmer.
Der Thee erwartete uns – zum Glück ächter russischer Thee, schmackhaft und duftend und überdies nach allen Regeln der Wissenschaft bereitet, die sich ein moskowitischer Kammerdiener hinsichtlich des Theé's angeeignet.
Indem wir unsere Gläser leerten – in Rußland wird der Thee aus Gläsern getrunken und nur die Damen haben Auspruch an Tassen – indem wir unsere Gläser leerten, verabredeten wir, daß der Ausflug nach dem Schlosse Grubenski am folgendem Tage nach dem Frühstück gemacht werden solle.
Schon am Abend wurden Befehle ertheilt, daß zwischen zehn und elf Uhr Morgens ein Boot zu unserer Verfügung stehen solle. Ueberdies wollten der Graf Vaninkoff und ich vor dem Frühstück einen Besuch in den zwei oder drei am besten assortierten Koffermagazinen machen.
Um neun Uhr war der Graf auf und wir durcheilten zusammen, natürlich im Wagen, die Stadt; denn als ächter russischer Edelmann machte unser junger Officier, wenn er nicht dazu gezwungen wurde, keine