sich jedoch damit, daß er sich verneigte und mir stammelnd antwortete, er stehe mir zu Befehl.
Man umringte mich, man wünschte mir Glück und machte es sich zu einem förmlichen Fest, uns zu sehen und uns die beiden versprochenen Szenen spielen zu hören.
Die Frage war bloß, wo Sir Harry sein Kostüm als Romeo hernehmen sollte. Was mich betraf, so besaß ich das Julias bereits. Sir Harry antwortete jedoch, da man sich von dieser improvisierten Vorstellung ein so großes Vergnügen verspräche, so dürfe dasselbe durch nichts verzögert werden.
Er würde sich deshalb ein Kostüm verschaffen und den nächstfolgenden Abend die Szene mit mir spielen.
Dicht an das Haus stieß ein ziemlich großes Gewächshaus und schon den nächstfolgenden Morgen ließ Sir John Payne einen Tischler mit fünf bis sechs Gesellen holen, welche einen Balkon aufschlugen. Man umgab die Estrade mit Tropenpflanzen, schmückte sie mit Blumen und um zwei Uhr nachmittags war das Theater fertig.
In diesem Augenblicke kam ein Bote von der Admiralität, welcher sehr eilige Depeschen überbrachte.
Sir John las dieselben, ward bleich und sagte mit sichtbar veränderter Stimme zu dem Boten:
»Meldet den Lords, daß ich ihnen pünktlich gehorchen werde.«
Ich bemerkte die Aufregung des Admirals und während der Bote sich entfernte ging ich auf ihn zu, faßte ihn beim Arm und fragte ihn, ob die Depesche vielleicht eine schlimme Nachricht enthielte.
»Ja, eine sehr schlimme Nachricht,« entgegnete er, indem er sich bemühte zu lächeln. »Die Lords der Admiralität halten eine Nachtsitzung und ersuchen mich, derselben beizuwohnen.«
»Dann,« sagte ich, »verschieben wir unsere heutige Abendgesellschaft auf einen anderen Tag.«
»Nein,« sagte er, »im Gegenteil; wenn unsere Gesellschaft nicht heute Abend stattfindet, wer weiß dann, wann wir uns wieder zusammenfinden werden. Ich brauche erst um Mitternacht von hier fortzugehen und mir haben daher vollauf Zeit, unsere beiden Szenen zu spielen. Mittlerweile kommen Sie und schenken Sie mir einige Minuten; ich werde Ihnen dankbar dafür sein.«
Ich betrachtete ihn mit unruhigem Blick. Warum sollte Sir John, der mich doch ganz allein für sich besaß, mir für einige Minuten, die ich ihm schenkte, dankbar sein?
Ich wagte nicht ihn deshalb zu befragen, und da er seinen Arm um mich geschlungen, so ließ ich mich von ihm hinweg führen.
Der Abend kam. So wie die Zeit verging, ward Sir John immer trauriger und ich selbst fühlte mich, ich wußte nicht warum, von einem unglaublichen Frösteln ergriffen. Das Herz schnürte sich mir zusammen und dennoch besaß dieses Gefühl zugleich einen gewissen Reiz. Es war mir, als wenn ich etwas Unbekanntes zugleich fürchtete und hoffte.
Ich dachte mir Sir Harry in seinem schwarzen Kostüm. Ich glaubte, Romeos Wams müßte zu seinem aristokratischen Gesicht wunderschön stehen.
Im Laufe des Tages hatte er dieses Kostüm geschickt und man hatte es in die an das Treibhaus stoßende Wohnung des Gärtners getragen. Aus dieser sollte Harry herauskommen, um am Fuße meines Balkons zu erscheinen.
Um neun Uhr fand er sich in seiner gewöhnlichen Kleidung ein. Er schien vor Freude förmlich zu strahlen und diese Freude beleuchtete sein Gesicht wie eine Glorie.
Ich konnte nicht umhin ihn sehr schön zu finden und der Ton seiner Stimme machte, wie am Abend vorher, einen gewaltigen Eindruck auf mich.
Er kam auf mich zu, küßte mir die Hand und sagte zu mir:
»Guten Abend, teure Julia.«
Diesmal war ich unruhig und verlegen und gab keine Antwort. Ich wäre kaum imstande gewesen, eine zweite Rede nach Art der ersten zu halten.
Zum Glück war dies nicht nötig, weil schon alles im voraus besprochen war.
Um halb zehn Uhr beschäftigte sich jeder von uns mit den Einzelheiten seiner Toilette. Ich bin stets, selbst mit den kompliziertesten Toiletten sehr rasch fertig gewesen, denn ich trug, ausgenommen bei großer Gala, mein Haar stets ohne Puder.
Die Herren gingen hinunter in das Gewächshaus, welches ganz allerliebst erleuchtet war. Zwischen den beiden Szenen sollte uns der Tee serviert werden. Als ich fertig war, ward Sir Harry durch eine im Innern angebrachte Klingel in Kenntnis gesetzt, daß er nun auftreten könne.
Ich hatte mich nicht geirrt. Das mittelalterliche Kostüm stand ihm bewundernswürdig gut und er war auf diese Weise vollkommen schön.
Er näherte sich meinem Balkon wie ein vollendeter Künstler oder wie ein leidenschaftlicher Liebhaber und begann die schon in einem früheren Capitel mitgeteilten Verse zu deklamieren.
Gleich bei den ersten Worten zuckte ich zusammen. Es war wirklich dieselbe Stimme, es war wirklich dieselbe Betonung, die ich in Miß Arabellas Garten gehört.
Entweder lag hier ein unerhörtes Wunder von Ähnlichkeit vor, oder ich hatte meinen Harry wiedergefunden, den ich für immer verloren geglaubt.
Andererseits aber war es unmöglich, daß der edle Sir Harry Featherson derselbe wäre wie der bescheidene Künstler, mit dem ich mich auf so malerische und so geheimnisvolle Weise in Beziehung gesetzt.
Es war immer noch besser, an eine allerdings unwahrscheinliche, aber doch mögliche Ähnlichkeit der Stimme, als an eine mehr als unwahrscheinliche Identität zu glauben.
Auf alle Fälle fühlte ich mich durch den Zauber dieser Stimme unwiderstehlich hingerissen, und als ich auf dem Balkon erschien, trugen meine Züge ohne Zweifel den Ausdruck des Geistes meiner Rolle, denn die um Sir John versammelten Zuhörer spendeten mir einstimmigen Beifall.
Man weiß wie jener Liebesdialog beginnt, wo Julia anfangs spricht, ohne Romeo zu sehen und während sie sich allein glaubt, und wo Romeo spricht, während er die Geliebte in kurzer Entfernung erblickt, aber ohne das Wort an sie zu richten zu wagen, und wie die beiden Stimmen, welche sich die eine an die Einsamkeit, die andere an die Nacht richten, zuletzt einander antworten.
Die Szene war natürlich ganz dieselbe, wie ich sie früher mitgeteilt, nur ward sie diesmal noch durch den Glanz der Beleuchtung, den Anblick der Personen und das Bravorufen der Zuschauer belebt.
Ich habe von dem Beifall gesprochen, den man mir spendete, als ich auftrat. Dieser Beifall wendete sich auch Sir Harry zu, als dieser seinerseits sprach.
Die Szene hatte für mich mit einem seltsamen Realismus ihren Fortgang.
Ich war nicht mehr Emma Lyonna und mein Mitspieler war nicht mehr Sir Harry. Sir Harry war Romeo und ich war Julia.
Mein Blick lenkte sich infolge des Beifalls auf die Gruppe der Zuschauer, und es war mir, als sähe ich Sir John sich eine Träne trocknen.
Diese Träne fiel mir glühend aufs Herz.
Glücklicherweise hatte mein Anbeter seiner Rolle gemäß mich in diesem Augenblick ins Zimmer zu rufen, und ich verließ, um diesem Rufe zu entsprechen, den Balkon.
Während dieser wenigen Sekunden erholte ich mich, obschon es schien, als ob von diesem Augenblicke an der Strom meines Lebens eine andere Richtung genommen hätte.
Zwei- oder dreimal murmelte ich unwillkürlich mit leiser Stimme:
»Sir Harry! Sir Harry! Sir Harry!« als ob ich »Romeo« gemurmelt hätte.
Ich kehrte auf den Balkon zurück, meine Sehkraft war getrübt, mein Herz gleichsam berauscht, und als ich an den Vers kam:
»Ha, meine Arme würden dich ersticken.«
da drückten sich meine Arme fest auf die Brust, und ich umarmte nicht einen Traum, nicht einen Schatten, nicht ein Phantom, sondern wie Psyche den Liebesgott selbst.
Als ich ganz verstört wieder in mein Zimmer zurückkehrte, während Romeo, noch am Fuße des Balkons stehend, die Verse sprach, welche seinem Abgang vorausgehen, sah ich mich Sir John dicht gegenüber.
Ich fuhr zusammen.
Er zog meinen Kopf an seine Brust, drückte ihn fest daran und sagte:
»Ach arme Julia!