Er zog den Ankommenden an das andere Ende des Zimmers, und hieß ihn sich dort in einen weiten Sessel von Eichenholz setzen, über den ein Himmel von Goldtuch angebracht war; er setzte sich neben ihn, wobei er seinen Kopf in dem Schatten verbarg, und indem er ihn bei der Hand ergriff, bat er ihn um die Erzählung dessen, was ihm während der langen dreijährigen Abwesenheit, die sie von einander trennte, begegnet wäre.
Karl erzählte ihm Alles mit der kriegerischen Weitschweifigkeit eines alten Soldaten; wie die Englischen, Brabanter und kaiserlichen, von Eduard III. selbst angeführten Truppen Cambrai belagert hätten, indem sie alles mit Feuer und Schwert verheerten; wie die beiden Heere bei Buironfosse ohne Kampf auf einander gestoßen wären, weil ein Bote des Königs von Sicilien, der ein sehr weiser Astrolog war, in dem Augenblicke, wo man handgemein werden wollte, Philipp von Valois verkündet hatte, daß jede Schlacht, die er den Engländern liefern, und in der Eduard in Person das Commando führen würde, unglücklich für ihn wäre (eine Prophezeiung, die sich späterhin bei Crécy verwirklichte), und wie endlich ein einjähriger Waffenstillstand zwischen den beiden streitenden Königen in der Ebene von Esplechin geschlossen worden sei, und das, wie wir bemerkt, auf Ansuchen und die Bitte der Frau Johanna von Valois, der Schwester des Königs von Frankreich.
Der Landgraf hatte dieser Erzählung mit einem Schweigen zugehört, welches bis auf einen gewissen Punkt für Aufmerksamkeit gelten konnte, obgleich er von Zeit zu Zeit mit einer sichtbaren Unruhe aufgestanden war, um einen Blick in den Tanzsaal zu werfen, da er aber jedes Mal seinen Platz wieder eingenommen, so hatte der augenblicklich unterbrochene Erzähler nichts desto weniger seine Erzählung fortgesetzt, indem er einsah, da der Herr vom Hause sich in der Notwendigkeit befindet, mit den Augen den Anordnungen des von ihm gegebenen Festes zu folgen, damit Nichts von dem mangelt, was es den eingeladenen Gästen angenehm machen kann. Da indessen der Landgraf nach der letzten Unterbrechung, wie als ob er seinen Freund vergessen hätte, nicht zurückkehrte, um seinen Platz neben ihm wieder einzunehmen, so stand dieser auf; er näherte sich von Neuem der Thür des Tanzsaales, durch welche in dieses abgelegene und dunkle kleine Zimmer ein Strom von Licht drang, und dieses Mal hörte ihn derjenige, zu dem er trat, denn er erhob den Arm, ohne den Kopf abzuwenden. Der Graf Karl nahm den durch diese Bewegung angedeuteten Platz ein, und der Arm des Landgrafen sank auf die Achsel seines Waffenbruders herab, den er krampfhaft an sich drückte.
Es fand offenbar ein schrecklicher und geheimer Kampf in dem Herzen dieses Mannes statt, und dennoch mogte Karl noch so sehr die Augen auf diese fröhliche Menge werfen, er sah Nichts, was ihm die Ursache einer solchen Gemüthserschütterung anzudeuten vermogte; indessen war sie zu sichtbar, als daß ein so treuer Freund, wie es der Graf war, sie nicht hätte gewahren und nicht einige Besorgnisse darüber fassen sollen. Er blieb indessen stumm, wohl einsehend, daß die erste Pflicht der Freundschaft gebietet, das Geheimnisses der Dinge zu achten, welche jene verbergen will; aber in Herzen, welche daran gewöhnt sind, sich zu errathen, besteht auch eine sympathetische Berührung, so daß der Landgraf, indem er dieses vertraute Schweigen verstand, seinen Freund anblickte, die Hand auf seine Stirn legte, einen Seufzer ausstieß, und dann nach einem letzten Augenblick des Schwankens mit dumpfer Stimme, wobei er ihm seinen Sohn mit dem Finger zeigte, zu ihm sagte:
–– Findest Du nicht, Karl, daß Otto außerordentlich dem jungen Ritter gleicht, der mit seiner Mutter tanzt?
Der Graf Karl erbebte nun auch. Diese wenigen Worte waren für ihn das, was für den in der Einöde verirrten Wanderer ein die Nacht erleuchtender Blitz ist; bei seinem grausigen Lichte, so flüchtig es auch gewesen war, hatte er den Abgrund gesehen; indessen, welche Freundschaft er auch für den Landgrafen hatte, die Aehnlichkeit des Jünglings mit dem Manne war so überraschend, daß er, obgleich er die Wichtigkeit seiner Antwort errieth, sich nicht enthalten konnte ihm zu antworten:
–– Es ist wahr, Ludwig, man sollte meinen, es wären zwei Brüder.
Kaum hatte er indessen diese Worte ausgesprochen, als er, da er einen Schauder den ganzen Körper dessen überlaufen fühlte, gegen den er gelehnt war, sich hinzuzufügen beeilte:
–– Was beweiset das am Ende?
– Nichts, antwortete der Landgraf mit dumpfer Stimme, nur war es mir sehr lieb. Deine Meinung darüber zu erhalten. Jetzt komm, um mir das Ende Deines Feldzuges zu erzählen.
Und er führte ihn zu denselben Sessel zurück, in welchem Karl seine Erzählung begonnen hatte, eine Erzählung, die er dieses Mal beendigte, ohne unterbrochen zu werden.
Kaum hörte er auf zu sprechen, als ein Mann an der Thür erschien, durch welche Karl eingetreten war. Bei seinem Anblicke stand der Landgraf hastig auf und schritt auf ihn zu. Die beiden Männer sprachen einen Augenblick lang leise mit einander, ohne daß Karl Etwas von dem verstehen konnte, was sie sagt! Indessen sah er leicht an ihren Gebärden, daß es sich um eine Mitteilung von der höchsten Wichtigkeit handelte, und er war mehr als jemals davon überzeugt, als er den Landgrafen mit einem noch weit finstereren Gesicht, als zuvor, zu sich zurückkehren sah.
–– Karl, sagte er zu ihm, aber dieses Mal ohne sich zu setzen, Du mußt nach einer so langen Strecke als die, welche Du heute zurückgelegt hast, mehr der Ruhe, als des Tanzes und der Feste bedürfen. Ich will Dich in Dein Zimmer führen lassen; gute Nacht, wir werden uns morgen wiedersehen.
Karl sah, daß sein Freund allein zu sein wünschte; er stand auf, ohne zu antworten, drückte ihm schwelgend die Hand, indem er ihm ein letztes Mal mit den, Blicke befragte; aber der Landgraf antwortete ihm nur mit jenem traurigen Lächeln, welches dem Herzen andeutet, daß der Moment noch nicht gekommen ist, ihm die geheiligte Mittheilung anzuvertrauen, die es in Anspruch nimmt. Karl deutete ihm durch einen letzten Händedruck an, daß er ihn zu jeder Stunde finden würde, und zog sich in das für ihn bestimmte Zimmer zurück, bis zu welchem, so entfernt es auch war, der Jubel des Festes dennoch gelangte. Das Herz voll trauriger Gedanken und das Ohr voll fröhlicher Klänge legte sich der Graf zu Bett, während einiger Zeit verscheuchte dieser seltsame Contrast durch seinen Kampf den Schlaf. Aber endlich siegte die Ermüdung über die Besorgniß, der Leib besiegte die Seele. Allmählig wurden die Gedanken und die Gegenstände minder deutlich, seine Sinne erstarrten und seine Augen schlossen sich. Es fand zwischen dem Momente der Schlafsucht und des wirklichen Schlafes ein Zwischenraum gleich dem der Dämmerung statt, welche den Tag von der Nacht trennt, ein wunderlicher und unbeschreiblicher Zwischenraum, während dessen die Wirklichkeit sich so mit dem Traume vereinigt, daß weder Traum noch Wirklichkeit vorhanden ist; dann folgte ihm eine tiefe Ruhe. Der Ritter hatte seit langer Zeit immer nur unter einem Zelte und in seinem Kriegsharnische geschlafen und er gab sich mit Entzücken den Annehmlichkeiten eines guten Bettes hin, so daß er, als er erwachte, erst an der großen Helligkeit sah, daß der Morgen bereits ziemlich weit vorgerückt sein mußte. Aber sogleich bot sich ein unerwartetes Schauspiel seinen Augen, das ihn an den ganzen Auftritt vom vorigen Abende erinnerte, und seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Landgraf saß regungslos und mit auf die Brust geneigtem Haupte in einem Sessel, wie als ob er das Erwachen seines Freundes erwartete, und dennoch war seine Träumerei so tief, daß er dieses Erwachen nicht bemerkt hatte. Der Graf blickte ihn einen Augenblick lang schweigend an, und als er hierauf zwei Thränen über seine hohlen und gebleichten Wangen rollen sah, vermogte er sich nicht länger zu halten, und indem er die Arme nach ihm ausstreckte, rief er aus:
–– Ludwig, in des Himmels Namens Was gibt es denn?
–– Ach! ach! antwortete der Landgraf, ich habe weder Gattin noch Sohn mehr!
Und indem er bei diesen Worten mit Mühe aufstand, kam er wankend wie ein Trunkener, um in die Arme zu sinken, welche der Graf öffnete um ihn zu empfangen.
II
Um die Begebenheiten zu verstehen, welche folgen werden, müssen unsere Leser einwilligen, mit uns zur Vergangenheit zurückzukehren.
Es waren sechzehn Jahre seit der Verheirathung des Landgrafen vergangen. Er hatte die Tochter des Grafen von Ronsdorf geheirathet, welcher im Jahre 13l6, während der Kriege zwischen Ludwig dem Baier, für den er Partei ergriffen, und Friedrich dem Schönen von Oesterreich getödtet worden war, und dessen Besitzungen an dem rechten Ufer des Rheins, jenseits und an dem Fuße jener, das Siebengebirge genannten Hügelkette gelegen waren. Die Wittwe von Ronsdorf, eine Frau von hoher Tugend und unbeflecktem Rufe, war