gab ihm Geld und gebot ihm, ein Clavier zu miethen und Zeichenmaterialien anzuschaffen. Eine halbe Stunde darauf befand er sich in dem Besitz des Verlangten, so leicht konnte man sich schon in jener Zeit in Paris alles verschaffen.
IX.
Die schöne Nachbarin der Strasse du Temps perdu
Harmental hatte sich an sein Clavier gesetzt, und trommelte nach besten Kräften darauf herum. Als er eine Weile gespielt hatte, gewahrte er, wie am Fenster ihm gegenüber fünf zarte Fingerchen plötzlich den Vorhang zurückschoben, um zu sehen, von woher die ungewohnten Töne erschallten. Leider vergaß der Chevalier über diesen Anblick eine musikalische Beschäftigung, und in der Hoffnung, hinter den hübschen Fingern auch die dazu gehörende Person zu erschauen, schlüpfte er hinter den Fenstervorhang Dies schlecht berechnete Maneuvre aber vereitelte seine Absicht. Die neugierige Bewohnerin des Gemachs, die sich auf diese Weise ertappt sah, ließ schnell den Vorhang wieder sinken. Harmental schloß darüber verdrießlich das Fenster und zürnte während des ganzen übrigen Tages insgeheim auf seine Nachbarin.
Den Abend vertrieb er sich mit Zeichnen, Lesen und Clavierspielen. Nie noch war es ihm so bemerkbar geworden, daß eine Stunde so viele Minuten und ein Tag so viele Stunden hätte. Um zehn Uhr Abends klingelte er, um dem Portier seine Aufträge für den folgenden Tag zu geben, dieser aber erschien nicht, denn er lag schon lange auf dem Ohr. Madame Denis hatte recht, ihr Haus war ein ruhiges Haus. Der Chevalier erfuhr jetzt zuerst, daß es Leute gäbe, die sich zu der Zeit zu Bette legten, in welcher er sonst begann, seine Besuche abzustatten. Das gab ihm viel nachzudenken über jene so außerordentlich unglückliche Menschenklassen, welche weder die Oper, noch die petits Soupérs kannte, die Nacht hindurch schlief und am Tage wachte, er freute sich darauf, seine Freunde bei erster Gelegenheit mit dieser seltsamen Lebensweise bekannt zu machen.
Etwas machte ihm indeß Vergnügen, nämlich, daß seine Nachbarin gegenüber gleich ihm noch wach war; es bewies, daß sie höher stand als ihre Umgebung. Harmental war des festen Glaubens, daß man nur wache, wenn man nicht Lust habe zum Schlafen, oder weil man Lust habe sich zu amüsieren; er vergaß diejenigen, welche wachen müssen, weil sie nicht anders können.
Um Mitternacht erlosch endlich das Licht im Zimmer gegenüber, und Harmental seinerseits begab sich ebenfalls zur Ruhe. Früh um acht Uhr am andern Morgen stellte sich der Abbé Brigaud bei ihm ein und überbrachte dem Chevalier den zweiten Bericht der geheimen Polizei des Prinzen Cellamare, derselbe lautete, wie folgt:
»Drei Uhr Morgens.«
»In Folge seiner gestrigen soliden Lebensweise befahl der Regent, ihn schon Morgens neun Uhr zu wecken. Er wird bei seinem Levée einige bezeichnete Personen empfangen. Von zehn Uhr bis Mittag wird öffentliche Audienz seyn. Von Mittag bis ein Uhr wird der Regent mit Villére und Leblanc arbeiten. Von eins bis zwei wird er empfangene Briefe eröffnen. Um zwei ein halb Uhr begiebt er sich ins Conseil und dann zum Könige.«
»Um drei Uhr verfügt er sich zum Ballspiel in der Straße la Seine, um mit Brancas und Camillac gegen den Herzog von Richelieu, den Marquis von Broglie und den Graf de Gace zu spielen. Um sechs Uhr wird er bei der Herzogin von Berry speisen und den Abend dort zubringen. Von da wird er ohne Leibwache nach dem Palais Royal zurückkehren, wenn anders ihn die Herzogin von Berry nicht escortieren läßt.«
»Alle Teufel! ohne Leibwache! was meinen Sie dazu, rief Harmental, indem er rasch anfing, sich in die Kleider zu werfen, »läuft Ihnen nicht dabei das Wasser in den Mund?«
»Ohne Leibwache, allerdings, erwiderte der Abbé, »aber in Begleitung von Lakaien, Dienern, einem Kutscher u.s.w, ein Volk, das sich zwar herzlich schlecht schlägt, aber desto besser schreiet. Darum Geduld, junger Freund, Sie sind zu prefirt Grand von Spanien zu werden.«
»Das grade nicht, mein lieber Abbé, aber ich bin es überdrüssig, länger in einer Dachstube zu wohnen, wo ich, wie Sie sehen, genöthigt bin, mir bei meiner Toilette selbst zu helfen. Glauben Sie denn, es habe nichts auf sich, sich Abends zehn Uhr zu Bette legen und sich ohne Kammerdiener ankleiden zu müssen.«
»Sie haben aber hier, wie ich höre, Musik, bemerkte der Abbé.
»Wahrhaftig, man singt, öffnen Sie das Fenster, Abbé, damit die Nachbarn sehen, daß ich gute Gesellschaft empfange.«
»Nicht übel, bei meiner Seel, sprach der Abbé, indem er that, was Harmental verlangte.
»Nicht übel! weit mehr, Abbé, es ist eine wahrhafte Armide, wie ich Ihnen sage. Der Teufel soll mich holen, wenn ich glaubte, dergleichen im vierten Stockwerk der Straße du Temps perdu zu finden.
»Ich will Ihnen etwas prophezeihen, Chevalier, nahm der Abbé wieder das Wort, wenn die Sängerin nämlich jung und hübsch ist, so werden wir nach acht Tagen eben so viele Mühe haben, Sie von hier fortzubringen, als wir jetzt haben, Sie hier zurück zu halten.«
»Mein lieber Abbé,« entgegnete Harmental kopfschüttelnd, »wenn Ihre Polizei eben so gewandt wäre als die des Prinzen von Cellamare, so würden Sie wissen, daß ich von der Liebe auf immerdar geheilt bin, hier der Beweis: Ich gebe mich nicht blos dem Seufzen hin und nähre mich vom Schmachten, sondern ich bitte Sie, mir so etwas wie eine kalte Pastete und ein Dutzend Flaschen trefflichen Weins heraufbesorgen zu lassen. Ich verlassen mich dabei auf Sie, ich weiß, Sie sind ein Kenner. Besorgen Sie es, scheint es die Fürsorge eines Vormunds, schicke ich aber selbst danach, wird man es für die Verschwendung eines jungen Leichtsinnigen halten und ich möchte gern in den Augen der Madame Denis meinen Ruf schützen.«
»In einer Stunde soll alles hier seyn.«
»Wann werde ich Sie wiedersehen?«
»Wahrscheinlich morgen.«
Also auf Wiedersehen! für heute schicke ich Sie fort, ich erwarte jemand in Betreff unserer Angelegenheit.«
»Der Himmel beschütze Sie,« sprach der Abbé, indem er sich hinweg begab.
Kaum hatte er sich entfernt, als Harmental sich hinter seinen Vorhang stellte, und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dem Spiel und Gesange horcht, die so viel es das verschlossene Fenster zuließ, aus dem Zimmer gegenüber zu ihm her erklangen, und eine geübte Meisterin verkündeten. Auch konnte sich Harmental, nach einer schwierigen aber äußerst gelungenen Passage, nicht enthalten, in die Hände zu klatschen und mit lauter Stimme »Bravo! bravo!« zu rufen. Leider aber schüchterte wahrscheinlich dieser Triumph, an den sie in ihrer Einsamkeit ohne Zweifel nicht gewohnt war, die Sängerin dergestalt ein, daß Spiel und Gesang augenblicklich verstummten.
Dagegen aber gewahrte er jetzt, wie sich über dem verhängnißvollen Fenster die Thür des Dachstübchens öffnete, und aus derselben eine Hand hervorgestreckt wurde, so als ob ihr Inhaber untersuchen wolle, wie das Wetter say. Die Antwort des Wetters schien befriedigend auszufallen, denn gleich darauf folgte der Hand ein mit einer baumwollenen Mütze bedeckter Kopf, und dann ein in einen Schlafrock gehüllter Oberkörper. Noch immer vermochte der Chevalier nicht zu entscheiden, welchem Geschlechte diejenige Person angehöre, welche im Begriff schien, sich nur mit der größten Vorsicht der Morgenluft auszusetzen. Endlich ermuthigte ein, zwischen zwei Wolken heraustretender Sonnenstrahl, den Bewohner des Dachstübchens, sich vollständig aus seiner hochgelegenen Behausung hervorzuwagen, und Harmental erkannte jetzt, daß das, was er für einen Schlafrock gehalten, nur ein Camisol gewesen, wobei die kurzen schwarzsammtenen Beinkleider und die gewebten grauen Stümpfe ihm verkündeten, daß sein Nachbar gegenüber dem männlichen Geschlechte angehöre. Es war der Gartenanbauer, von dem wir bereits erzählt haben.
Das schlechte Wetter der vergangenen Tag hatte ihn ohne Zweifel abgehalten, seinen Morgenspaziergang zu machen und seinen Gartenanlagen die gewohnte Pflege zu spenden, denn er fing an denselben emsig zu durchschreiten, so als wolle er erforschen, ob der Wind oder der Regen kein Unheil angerichtet habe. Nach einer sorgsamen Untersuchung der Laube, des Springbrunnens und einer kleinen mit Muscheln verzierten Grotte aber, welches die drei Hauptzierrathen des Gartens ausmachten, blitzte ein. Lächeln der Zufriedenheit aus dem Antlitz des Gartenanbauers, dem Sonnenstrahle gleich, der aus den Wolken gedrungen war. Er hatte sich überzeugt, daß nicht nur alles in gehöriger Ordnung say, sondern daß sich sogar der Wasserbehälter seines Springbrunnens bis