beruhigte Jedermann wieder.
Der Kapitain Bremner begann jetzt im Stillen die Richtigkeit der Bemerkungen seines zweiten Hochbootsmannes einzusehen; anstatt ihm aber dankbar dafür zu sein, daß er die Gefahr vorausgesehen und darauf aufmerksam gemacht hatte, grollte er ihm fast deshalb.
Uebrigens war, wie gesagt, noch Nichts verloren; wenn man während der Dauer der Ebbe das Scheitern glücklich verhinderte, so konnte man so ziemlich gewiß sein, daß das Schiff mit dem Eintritt der Fluth wieder flott wurde, und da der Unfall keine erheblichen Beschädigungen verursacht hatte, konnte man ohne Aufenthalt die Reise fortsetzen.
Die Hauptsache war für jetzt, daß das Schiff leichter gemacht wurde.
Man zog alle Segel ein. Während 'der Ebbe legte sich das Schiff furchtbar auf die Seite. Man hatte dies erwartet, und einige Augenblicke herrschte Todesangst an Bord, aber der kritische Moment ging ohne neuen Unfall vorüber.
Als der Kapitain bei John Mackay vorbeiging, sagte er mit Stolz zu ihm:
»Nun, ich dächte, die Juno benähme sich für ein altes Schiff nicht ganz schlecht!«
John Mackay schüttelte den Kopf.
Die »Juno« zeigte sich in der That bis jetzt sehr gut; es fragte sich nur, ob sie dies auch fernerhin thun würde.
Die nächsten Augenblicke schienen übrigens die Meinung des Kapitains rechtfertigen zu wollen; mit dem Eintritt der Fluth wurde das Schiff wieder flott, und kaum hatte man dies bemerkt, so wurde der Befehl gegeben, den Anker aufzuziehen. Es wurden nun sogleich alle Segel beigesetzt, und bald befand man sich in so tiefem Wasser, daß ein nochmaliges Auffahren nicht zu befürchten war.
Am ersten Juni sprang der Wind um und blies heftig aus Südwest; fast in dem nämlichen Augenblicke begann die See hoch zu gehen und das Schiff arbeitete mit großer Anstrengung.
John Mackay hatte einen Mann in den Kielraum gestellt; nach Verlauf von etwa vier Stunden kam dieser herauf und meldete, daß das Schiff leck sei.
Dies hatte der Hochbootsmann schon längst befürchtet.
Der Kapitain ging sogleich selbst hinunter und überzeugte sich daß das Wasser wirklich einzudringen begann; leider aber befand sich nicht einmal ein Zimmermann und fast gar kein Handwerkszeug an Bord.
Das Wasser mußte daher ausgepumpt werden. Jedermann ohne Unterschied ging zu dem Ende an die Pumpen und arbeitete tüchtig; aber es war, als ob sich Alles zum Untergange der »Juno« verschworen hätte. Der Ballast des Schiffes bestand aus Sand, und dieser mit Wasser vermischte Sand verstopfte sehr bald die Pumpen. Das Wasser verminderte sich daher nicht, sondern es stieg im Gegentheil, wenn auch langsam, doch fortwährend.
Das stürmische Wetter dauerte acht Tage, während deren das Schiff übermäßig angestrengt wurde.
Es wurde nun berathen, ob man nicht lieber nach Ranguhn zurückkehren sollte, da aber der Kapitain dadurch eingestanden haben würde, daß der zweite Hochbootsmann Recht gehabt, ein Schiffskapitain aber nie Unrecht haben darf, so bemerkte Bremner. Daß die Küste bei Ranguhn so niedrig sei, daß man sie erst in einer Entfernung von wenigen Meilen sehen könne; daß man, wenn man mit einem leicht zu regierenden Schiffe den richtigen Weg einhalten wolle, man in einer Art von Kanal bleiben müsse, der nicht mehr als dreißig Fuß Tiefe habe, daß sich zu beiden Seiten dieses Kanals Sandbänke befänden, auf die man eben schon aufgefahren sei, und welche bei nochmaligem Auffahren das Schiff spalten würden, daß es demnach gerathener sei, die Fahrt auf jede Gefahr hin fortzusetzen, daß überdies das stürmische Wetter bereits acht Tage gedauert habe und es daher wahrscheinlich sei', daß die See sich bald beruhigen und daß es in diesem Falle wohl bald gelingen werde, das Leck zu verstopfen.
Der Kapitain war der Gebieter, seine Meinungsäußerung war ein Befehl, und man segelte daher so gut es bei dem stürmischen Wetter anging, weiter nach Madras.
Die Ereignisse schienen dem Kapitain Anfangs Recht zu geben. Am 6. Juli legte sich der Sturm, die See wurde ruhiger und das Leck verminderte sich so bedeutend, daß eine einzige Pumpe genügte, um seine Wirkung zu neutralisieren.
Das Schiff wurde nun genau untersucht, und man entdeckte bald, daß sich das Leck am Hintersteven, nicht weit unter dem Wasserspiegel, befand. An dieser Stelle war der Schaden leicht zu reparieren. An dem ersten vollkommen ruhigen Tage wurde das Boot ausgesetzt, und da man, wie gesagt, nicht nur keinen Zimmermann, sondern auch kein Handwerkszeug hatte, mußte man sich damit begnügen, das Leck mit Werg zu verstopfen und darüber zuerst ein Stück getheertes Segeltuch, dann eine Tafel Blattblei zu nageln.
Dies allerdings mangelhafte Aushilfsmittel genügte Anfangs vollkommen, und so lange das Wetter schön war, brauchte man täglich nur kurze Zeit zu pumpen, woraus natürlich Jedermann schloß, daß das Leck verstopft war.
Alle freuten sich, daß man der Gefahr glücklich entronnen war, und Jedermann war heiter, nur John Mackay nicht, der mitten in der allgemeinen Heiterkeit noch immer den Kopf schüttelte und ein englisch es Sprichwort vor sich hin murmelte, dessen Sinn ungefähr lautete;
»Wer's erlebt, wird's sehen!«
2.
Der Besanmastkorb
Leider sollte man bald die traurige Erfahrung machen, daß der zweite Hochbootsmann auf dem ganzen Schiffe der Einzige war, welcher Recht hatte, und daß die »Juno« weit besser gethan haben würde, wenn sie nach Ranguhn zurückgekehrt wäre, so gefährlich auch die Küste von Pegu sein mochte, anstatt ihre Fahrt über den bengalischen Meerbusen, in welchem der Südostpassatwind es erwartete, fortzusetzen.
Als am 12. Juni der Wind stärker wurde und man aus dem schauerlichen knarren in den Fugen der »Juno« ersah, daß sie mit großer Anstrengung arbeitete, ertönte zum zweiten Male der Ruf, der die Mannschaft schon einmal in Angst versetzt hatte:
»Wir sind leck, Herr Kapitän!«
Man eilte sogleich hinunter ins Zwischendeck; das nämliche Leck hatte sich wieder geöffnet, Die schwache Verstopfung, welche bei ruhiger See genügt hatte, erwies sich bei stürmischem Wetter als unzureichend.
Dies Mal war jedoch die Oeffnung viel größer, als das erste Mal, und da die durch den Ballastsand verursachten Uebelstände dadurch vermehrt wurden, erwiesen sich die Pumpen als ungenügend, obgleich fortwährend drei im Gange waren und man das Wasser noch außerdem mit Eimern ausschöpfte.
Am 16. war die Mannschaft, welche seit vier Tagen unausgesetzt arbeitete, durch die Anstrengung und den Mangel an Schlaf fast erschöpft.
Ueberhaupt hatte man alle Ursache zu sehr ernsten Besorgnissen.
Leider war es jetzt zu spät, um noch umzukehren, denn man war von Ranguhn mindestens eben so weit entfernt, als von Madras. Man entschloß sich daher, das Aeußerste zu wagen, alle Segel beizusetzen und so vielleicht den nächsten Punkt der Küste Koromandel zu erreichen.
Hatte man sie erreicht, so wollte man entweder längs derselben hinsegeln oder landen, je nachdem die »Juno« noch die See halten konnte oder außer Stande war, weiter zu segeln.
Das Schiff ging jetzt sehr schnell,sogar schneller, als man gehofft hatte; im Verhältniß seiner Schnelligkeit mußte es sich aber auch anstrengen, und da Jedermann an den Pumpen beschäftigt war, hatte Niemand Zeit, an die Takelage zu denken. Nach Verlauf von; zwei Tagen hatte der Wind alle Segel, mit Ausnahme der Focksegel, zerrissen; man sah sich daher am 18. genöthigt, bis zum 19. Mittags beizulegen, an welchem Tage zu gleicher Zeit die Höhe aufgenommen und dadurch ermittelt wurde, daß man sich unter 170 101 nördlicher Breite befand.
Trotz der fast übermenschlichen Anstrengung, mit der Jedermann, an den Pumpen arbeitete, bemerkte man dennoch, daß das Wasser immer höher stieg und das Schiff zu sinken begann. In dem Maße aber, als es sank, wurde es zugleich so schwer, daß man zu zweifeln begann, ob es sich je wieder zu dem gewöhnlichen Tiefgange werde heben können.
Von diesem Augenblicke an verbreitete sich eine finstere Entmuthigung an Bord,' und da Jedermann verloren zu sein glaubte und alle ferneren Anstrengungen für nutzlos hielt, wurde es sehr schwer, die Leute auf ihrem Posten zu erhalten.
Gegen Mittag indessen