Sie etwa die Amme der Frau von Chambray?«
»Ja, lieber Herr, nicht nur ihre Amme, sondern auch ihre Haushälterin.«
»Dann sind Sie die Mutter der kleinen Zoe!«
Die Frau sah mich erstaunt an.
»Ja wohl,« erwiederte sie. »Soll ich Ihnen auch sagen, wer Sie sind?«
»Wie könnten Sie das wissen?«
»Glauben Sie, ich könnte es nicht wissen?« sagte sie auf mich zutretend. »Sie sind Herr Maximilian von Villiers!«
Ich gestehe, daß ich sehr erstaunt war.
»Ich habe keine Ursache,« erwiederte ich, »meinen Namen zu verschweigen. Denn Sie werden mich nicht verrathen, wenn ich Sie ersuche, meinen Namen nicht zu nennen, nicht wahr?«
»O! ich werde schweigen, so lange Sie wollen.«
»Nun ja, ich bin Maximilian von Villiers. Aber woher wissen Sie es?«
Die Frau zog einen Brief aus ihrem Halstuch.
»Kennen Sie diese Handschrift?« fragte sie.
»Es ist die Handschrift der Frau von Chambray.«
»Ja wohl, die Handschrift meiner armen Kleinen.«
»Und was steht in diesem Briefe?«
»Lesen Sie – lesen Sie, Herr von Villiers!«
Ich faltete den Brief auseinander und las:
»Ich habe Dir eine gute Nachricht zu melden. Man hat für Gratian einen Stellvertreter gekauft, er heirathet Zoe. Sobald die Vorbereitungen getroffen sind, werde ich trachten Dich zur Hochzeit abholen zu lassen, denn ich werde mich sehr freuen Dich wieder zu sehen.
Wenn Du mich fragst, wie alles dies zugegangen ist, so sage ich Dir, daß ein Wunder geschehen ist, und zwar durch einen guten edelmüthigen jungen Mann, Namens Maximilian von Villiers.
Ich sah die Alte an.
»Nun,« sagte sie, »ist es so?«
»Ja« es ist so, Mütterchen,« erwiederte ich mit Thränen in den Augen.
Und nach kurzem Besinnen fragte ich:
»Wollen Sie mir diesen Brief verkaufen?«
»Nicht uni alles Gold der Weilte antwortete die gute Alte; »aber ich will Ihnen ein Geschenk damit machen.«
»Tausend Dank« Mütterchen!« sagte ich, und in der Freude meines Herzens drückte ich einen Kuß auf den Brief,
»Ich sehe wohl,« sagte sie, »Sie sind ihr auch gut.«
»Ich!« antwortete ich meine Uebereilung einsehend.
»Sind Sie von Sinnen? Ich habe sie ja erst einmal in meinem Leben gesehen.«
»Was brauchte denn mehr, wenn man Augen und ein Herz hat!« sagte sie und begleitete diese Worte mit einer unbeschreiblichen Geberde.
Ich fühlte, daß die gute Alte mit jenem feinen Instinct, der vielen Frauen eigen ist, tiefer in mein Herz geblickt hatte, als ich selbst.
»Wollen Sie mir jetzt das Schloß zeigen?« sagte ich abbrechend.
»Sehr gern,« erwiederte sie; »kommen Sie.«
»Soll ich ausspannen?« fragte der Kutscher.
»Allerdings,« antwortete ich; »ich weiß noch nicht einmal, ob ich diesen Abend wieder zurückfahre. – Kann ich nöthigenfalls im Schlosse übernachten?« fragte ich die alte Josephine.
»O ja« gnädiger Herr, und ich will Ihnen ein Bett machen. Sie werden Alles in gutem Stande finden, es ist noch so, wie es Monsieur und Madame verlassen haben.
»Aber es ist schon lange her, daß sie das Schloß verlassen haben —«
»Vier Jahre.«
»Und seit jener Zeit sind sie zuweilen wiedergekommen?«
»Madame war zweimal hier, Herr von Chambray aber ist nie wiedergekommen.«
»Und Madame hat hier übernachtet?«
»Ja, jedesmal war sie eine Nacht hier.«
»Und sie hat sich nicht gefürchtet?«
»Warum hätte sich die arme Kleine fürchten sollen? Sie hat ja nie einem Menschen in der Welt Böses gewünscht, wie hätte ihr der liebe Gott etwas Böses thun können!«
»Wo hat sie denn übernachtet?«
»In dem Zimmer, das sie als Mädchen bewohnte; ich werde es Ihnen zeigen.«
»Ja, kommen Sie – ins Schloß.«
Wir gingen auf das Herrenhaus zu.
Es war ein hübsches steinernes Gebäude aus der Zeit Ludwigs XIII., mit einem Schieferdach.
Zu dem Haupteingang, führte eine zierlich abgerundete Außentreppe von zehn bis zwölf Stufen mit einem schönen Geländer.
An der einen Seite des Vorsaales war das Speisezimmer, auf der andern der Salon.
Hinter dem Salon war eine Bibliothek.
Eine breite steinerne Treppe mit eisernem Geländer führte in den ersten Stock.
Durch die Hauptthür kam man in einen sehr gut erhaltenen, im Rococogeschmack decorirten Salon, an dessen Fenstern man die Aussicht auf den schönsten Theil des Parkes hatte.
Mitten durch den Park floß die Mayenne, eine kleine Brücke führte von einem Ufer zum andern.
Aus diesem Salon kam man in ein großes, mit grünem Damast ausgeschlagenes Schlafzimmer.
Die alte Josephine blieb in diesem Zimmer stehen und berührte meine Schulter.
»Hier in diesem Zimmer,« sagte sie, »ist das arme Kind geboren; am fünfzehnten September werden’s dreiundzwanzig Jahre. Das Bett steht noch an derselben Stelle. Die Mutter reichte mir die Neugeborne mit den Worten: »Josephine, hier nimm deine Tochter; ich fürchte, daß ich nicht mehr Zeit haben werde, ihre Mutter zu seyn.« – Die Ahnung der guten Dame ging leider in Erfüllung; drei Tage nachher war sie todt! – Zwei Jahre später vermälte sich ihr Vater wieder; aber er starb bald. Er hinterließ seiner zweiten Frau fünfhunderttausend Francs in baarem Gelde und seiner Tochter wohl dreimal so viel. Aber seine Tochter erbte schöne Landgüter und Schlösser, wie dieses. Warum Herr von Chambray sie verkauft, weiß ich nicht, aber ich glaube nicht, daß er die Absicht hat, noch schönere und bessere dafür zu kaufen. – Ach! die liebe arme Kleine! Als ich sie fünfzehn Jahre später in ihrer Brautnacht bleich und aus einer Kopfwunde blutend in diesem Bett hier liegen sah, da dachte ich an ihre arme Mutter, die sie mir anvertraut hatte, und ich dachte, ich würde das Unglück nicht überleben —«
»Ich verstehe Sie nicht recht,« unterbrach ich sie; »Sie sagen jetzt: fünfzehn Jahre nach ihrer Geburt in der Brautnacht – und vorhin sagten Sie, Frau von Chambray sey bald dreiundzwanzig und seit vier Jahren verheirathet: wie konnte sie sich zugleich mit fünfzehn und mit achtzehn Jahren verheirathen?«
»Die arme Kleine hat sich zweimal verheirathet, wenn man nemlich die erste Heirath mitzählen kann. Ich höre noch das Angstgeschrei meiner Zoe; ich eilte herbei – es war zu spät! Edmée lag da, bleich wie eine Wachskerze und aus einer Kopfwunde blutend.«
»Was war ihr denn geschehen?«
»Ach! das ist ein Geheimnis, das nie aufgeklärt worden ist. Nur Edmée und Zoe könnten reden; aber Keine von Beiden wollte über die Sache sprechen. Ich glaube, daß ihr der Unhold Montigny nach dem Leben getrachtet —«
»Wer war dieser Montigny?«
»Ihr erster Gemal, ein Protestant, ein Ketzer, ein Hugenott. Die Stiefmutter, eine Engländerin, hatte die Heirath zu Stande gebracht; glücklicherweise war der Priester —«
»Aha!« sagte ich, »da ist er wieder!«
»O ja, glücklicherweise, wie ich sagte.«
Ich