Artur Landsberger

Frau Dirne


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antwortete eine zarte Frauenstimme.

      »Um fünf ein halb! verstanden?«

      »Wer?« fragte die Stimme traurig.

      »Geht dich nichts an.«

      »Ich kann nicht . . . ich habe ja schon um ein halb vier . . .«

      »Das übernehme ich!« rief jetzt eine andere Stimme, die viel klarer klang.

      »Wie? Was? polterte die Alte. »Ungehorsam! Aufruhr! Bande! ich werde euch zeigen, elende Bestien!« – und fauchend stürzte sie aus dem Zimmer und lief die Treppe hinauf.

      Frau Ina kam mit Katz, den sie durch die übliche harmlose Zärtlichkeit, zu der sich diesmal feierlich ein Versprechen gesellte, beruhigt und gewonnen hatte, aus dem Nebenzimmer.

      »Was ist denn das für ein Lärm?« fragte sie.

      Auf die Baronin und ihren Schwiegersohn hatte der Vorgang so stark gewirkt, daß sie kein Wort der Erwiderung fanden und entsetzt noch immer auf die offene Tür starrten, durch die die Alte eben hinausgestürzt war.

      Der alte Löschner klärte den Vorgang auf. Frau Ina überlegte einen Augenblick. Oben wurde es immer lauter. Die kreischende Stimme der Alten übertönte das Schluchzen und Heulen der Mädchen. Man hörte Schläge klatschen und die tiefe Stimme eines Mannes, der »Feste! feste!« rief.

      Frau Ina ging eilig auf eine Art Buffet zu, das an der Wand stand und bis oben hinauf voll von Gläsern und billigem Porzellan war.

      »Heinz!« rief sie. »Hilf!«

      Und ohne zu überlegen, was er eigentlich tat, riß er mit Ina das Buffet um, das mit tosendem Lärm auf die Erde stürzte. Kein Stück, das darin war, blieb ganz. Es war das Getöse eines Donners aus nächster Nähe, der unmittelbar einem voll einschlagenden Blitze folgt.

      Im selben Augenblick brach der Lärm oben wie durchschnitten ab. Totenstille folgte. Dann hörte man auf der Treppe Schritte, die näher kamen.

      »Tritt zu mir!« rief Ina ihrer Mutter zu, und ihrem Manne befahl sie: »Zieh deinen Degen!«

      In der Tür stand jetzt drohend, fauchend und doch blaß vor Schreck, die alte Löschner. Hinter ihr mit hochgestülpten Ärmeln Anton mit dem pomadisierten Kaiser Wilhelmbart. Die Alte, der der Atem fortblieb, schnappte nach Luft.

      »Wer?« war das einzige Wort, das sie hervorbrachte. Und voll Haß und Wut stierte sie auf die Trümmer, die auf dem Boden lagen.

      »Was kümmert Sie das?« fuhr Frau Ina sie an und hielt ihr den Vertrag hin.

      »Möbel und Geschirr, das im Hause bleibt, gehört mir,« sagte die Alte und ballte die Fäuste, »sind nur gepachtet.«

      »Was zerschlagen wird, ist zu ersetzen, basta!« erwiderte Frau Ina. Und nun verbitte ich mir jede weitere Äußerung; sonst setze ich Sie an die Luft, samt ihrem Mann und dem Kerl da!« – Dabei wies sie auf Anton, der eine drohende Haltung einnahm.

      »Wer ist hier Herr im Hause?« wandte sich Anton mit fast vor Wut zitternder Stimme an den Alten. Ehe der erwidern konnte, rief Ina:

      »Ich! verstanden? – Treten Sie hier herüber! Sie gehören zum Personal, das ich mit übernommen habe.« – Anton trat ein paar Schritte von der Alten fort. »Neben meinen Mann!« befahl sie. Anton gehorchte. »Und wenn er sich rührt, schlägst du ihn nieder!«

      Der Rittmeister und Anton sahen sich an. Der Rittmeister war glücklich und fühlte sich als Held. Anton beherrschte sich wie noch nie in seinem Leben. Dem Gefühle nach hätte er sich auf den Rittmeister stürzen und ihn würgen müssen, bis er keinen Laut mehr von sich gab; dann Frau Ina niederreißen, sie vergewaltigen und zu Brei trampeln; – aber, was allein noch auf diesen sogenannten Menschen wirkte: eine Gefühlslosigkeit, die absoluter war als seine, und die er, wenn auch nur im Unterbewußtsein und ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, bei Frau Ina spürte, bändigte ihn und hielt ihn zurück.

      »Führen Sie mir die Mädchen vor!« befahl jetzt Frau Ina, und da Frau Löschner sich nicht vom Fleck rührte, so fuhr sie sie an: »Soll ich erst Gewalt anwenden?«

      »Sie werden sich doch nicht an mir vergreifen?« sagte Frau Löschner ängstlich mit einem Blick auf den Rittmeister.

      »Mein Mann an Ihnen? Nein! – Dazu ist der da!« – Und dabei wies sie auf Anton, dem diese Frau immer mehr Achtung einflößte.

      Frau Löschner, die gar nicht begriff, daß Anton, statt bei ihr zu stehen, neben Frau Ina stand, fauchte:

      »Der ist von mir bezahlt!«

      »Ich habe ihn übernommen,« erwiderte Frau Ina, »und zwar mit dem doppelten Gehalt.«

      »Anton!« wimmerte die Alte.

      Da wußte Frau Ina Bescheid. Sie trat an Anton heran und besah ihn genau. »Gut! gut!« sagte sie. »Ausgezeichnet! So etwas braucht man hier. Sie heißen?« fragte sie und sah ihn fest an.

      »Anton Drexler,« erwiderte er und dachte, die Frau kann mit mir machen was sie will. Für die täte ich alles.

      »Nun, Anton Drexler, wir werden schon auskommen miteinander. Aber pariert wird, verstanden? Dann gibt's auch Belohnung. Von heute ab existiert für Sie keine Frau Löschner mehr! Von heute ab bin ich Frau Löschner.«

      Ihm wurde ganz heiß. Sie hätte ihm jetzt befehlen können: »Mach schön!« und der Riesenkerl wäre vor ihr auf den Knieen gerutscht. So nickte er nur und sagte:

      »Aber ja! aber ja!«

      Und Frau Löschner, deren wegen Ina diesen Auftritt in Szene setzte, begann am ganzen Körper zu zittern. Alles andere war im Augenblick vergessen.

      »Anton!« rief sie schluchzend, und die Tränen schossen ihr stromweise aus den Augen. »Schlechter Kerl! Gibst du mich so leicht auf? Vergißt du alles so schnell?« – Weiter kam sie nicht, die Tränen flossen.

      Anton schämte sich vor Frau Ina und wehrte ab.

      »I wat! ik weiß von nischt.«

      Die alte Löschner löste sich in ihrem Schmerz auf. Die Tränen fingen sich in Puder und Schminke, setzten sich fest und machten aus dem faltigen Gesicht eine breiige Masse, die allem anderen eher ähnlich war als einem Gesicht. Die schweren, bis auf den Bauch herabhängenden Brüste schlugen infolge der Zuckungen, von denen der schmerzgequälte Körper hin und her gerissen wurde, wie Gummisäcke auf dem schlappen Leib. Sie ächzte und stöhnte und litt unsäglich.

      Der alte Löschner, von dem alle erwarteten, er werde Anton oder der Alten an den Hals gehen, trat auf seine Frau zu, legte den Arm um sie und sagte zärtlich:

      »Reg' dich nicht auf, Elise! so einen findest du alle Tage wieder.«

      »Wie ich für ihn gesorgt hab'!« jammerte die Alte.

      »Von allem ihm das Beste. Nichts hat man sich gegönnt, seinetwegen!«

      Frau Ina, die ihren Zweck erreicht hatte, schlug mit der Gerte auf den Tisch.

      »Das geht wohl auch ohne uns zu regeln,« sagte sie bestimmt. »Ich wünsche jetzt die Mädchen zu sehen. Und zwar auf der Stelle!«

      Die Alte quälte sich zur Tür, schlug in die Hände, und im selben Augenblick begann die Treppe sich zu beleben.

      Motte, Lona, Marianne, Änne, die Rothblonde und noch drei andere Mädchen traten ängstlich und steif in den Salon und blieben dicht beieinander an der Wand stehen. In ihrer steifen Unbeweglichkeit, den unmodernen, verstaubten Gewändern und den weißgepuderten Gesichtern glichen sie mehr abgestandenen Modellen eines Wachsfigurenkabinetts als lebenden Menschen.

      Der Eindruck, den sie auf die Baronin machten, war so stark, daß sie wie zum Schutz die Hand ihres Schwiegersohnes ergriff und halblaut sagte:

      »Entsetzlich!«

      Auch Frau Ina sah man die Überraschung an. Die Welle von parfümiertem Dunst, die mit dem Eintritt der Mädchen in den Salon drang, legte sich ihr auf die Brust. Wie aus einer alten Rumpelkammer hervorgeholte Theaterrequisiten, die mit Hilfe eines unvollkommenen Mechanismus den Schein von Lebewesen vorzutäuschen suchten, wirkten sie auf Ina. Aber