man Gott sei Dank auch wer!«
»Das kann ja alles in Ruhe morgen im Bureau besprochen werden,« sagte der Direktor. »Wir wollen doch hier nicht . . .«
Aber Estella ließ sich den Mund nicht verbieten.
»Nein!« rief sie, »ich verlange auf Grund meines Vertrages einfach die Rolle in dem neuen Stück! Lassen Sie in Ihrem Vorstadttheater meinetwegen sonstwen als Helena auftreten. Es gibt genug Schmierenkomödiantinnen, die sich noch um die Ehre reißen. Wie wäre es zum Beispiel mit Agnes? Die ist mir ja angeblich zum Verwechseln ähnlich.« Sie lachte laut auf. »Das wäre ja dann ein vollwertiger Ersatz.«
Für Peter war Estella mit diesem Augenblick erledigt. Frauen, die derart aus der Rolle fielen, ertrug er nicht. Der Direktor vergegenwärtigte sich den Vertragsparagraphen, auf den sich Estella stützte, um sich für den Fall eines Prozesses über die juristische Lage zu orientieren. Der Geheimrat dachte: Wie wird meine Frau bereuen, das versäumt zu haben. Die beiden Brands bedauerten Carl, da sie wußten, daß er tagelang unter dem Eindruck dieser häßlichen Szene stehen und leiden würde. Aber Agnes, die Estella, ohne es zu wissen, an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen hatte, sprang auf:
»Einverstanden!« rief sie. »Ja! Ich spiele die Helena. Ich, die Schmierenkomödiantin nehme den Kampf mit dir, große Künstlerin, auf. Ich spiele! Wie du! So verlogen und so raffiniert! Ich mache denselben großen Schwindel! Vielleicht sogar besser als du, weil ich zehn Jahre jünger und tausendmal hübscher und schlanker und gewandter bin als du. Und mit dem griechischen Tanz, der fortbleiben mußte, weil du zu klobig und zu plump warst – ja! ja! meine Herrschaften, das wußten Sie noch gar nicht! – stech’ ich dich aus! Und dann – weißt du, was dann geschieht? Dann spielen wir abwechselnd, einen Abend du, den anderen ich. Und der Teufel soll mich holen, wenn das Theater an meinen Abenden nicht voller ist als an deinen. Und nachher, dann werden an deinen Abenden die Preise ermäßigt; du verstehst? weil sonst nämlich keine Katze mehr hineingeht. Und am Ende da wirst du noch froh sein, wenn du durch mich als Schmierenkomödiantin in Kyritz oder Treuenbrietzen oder in einem Armenviertel unterkommst.«
Eine Pause entstand. Alle waren starr. Nur Peter grinste, schob den Kneifer gerade und sagte:
»So’n Klamauk!«
Estella fühlte sich einer Ohnmacht nahe und schloß die Augen.
Nach einer Weile fuhr Peter fort:
»Also, das is nu mal Tatsache: von allen Weibern sind die von der Bühne die verrücktesten! – Ich verstehe nicht, wie ein Mann das aushält.«
Diese Sachlichkeit wirkte beruhigend und nahm die Angst, die auf allen lag.
Nur Carl ergriff Partei und sagte:
»So reg dich doch nicht auf, Agnes! Das läßt sich ja alles in Ruhe erledigen.«
»Ich will das jetzt erledigt haben!« sagte sie. »Hört endlich mit dem Versteckspiel auf! Kommt die Wedelly – ja oder nein? Mir ist’s gleich! Nur wissen will ich’s!«
»Sie kommt!« sagte der Direktor.
»Ha!« rief Estella; ein Schreck traf den anderen – und die Ohnmacht ging vorüber.
»Gut!« fuhr Agnes fort, »ist Estella trotzdem verpflichtet, die Helena am Stadttheater zu spielen?«
Der Direktor, dem die juristische Situation inzwischen klar geworden war, nickte.
»Gut! Dann bleibt’s also dabei! Ich habe Ihr Wort, Direktor? Ich spiele abwechselnd mit Estella.«
»Ja, das ist doch wohl nicht möglich.«
»Und warum nicht?«
»Diese große Rolle, wo Sie noch nie . . .«
»Ich bin kein Idiot und tät’s nicht, wenn ich nicht wüßte, daß ich’s kann. Ich kenne jede Bewegung, jedes Hilfsmittel, jeden Tonfall. Ich habe Szene für Szene probiert.«
»Mit wem?«
»Fragen Sie den Geheimrat. Der versteht zwar nicht viel davon, aber er ist doch kein Esel; und schlauer als er wird das Publikum im Stadttheater auch nicht sein.«
Der Geheimrat beugte sich verlegen über seinen Teller, der wie die Teller aller anderen unberührt stand.
»Also, Kinder, wahrhaftig, es ist gescheiter, wenn wir die jungen Enten nicht ganz kalt werden lassen,« sagte Peter. »Los, Geheimrat, wir essen!«
Aber dem war gar nicht danach zumute.
»Reden Sie!« drängte ihn Agnes. »Sie haben sich doch sonst vor Begeisterung immer rein umgebracht.«
»Ich muß sagen, nach meinem Laienurteil und nach den Proben, die ich zu sehen bekommen habe – es waren nicht viel . . .«
»Mindestens zehn!« unterbrach ihn Agnes.
». . . steckt in Fräulein Agnes eine große Künstlerin!«
»Na, also!«
»Obschon ich . . .«
»Was denn nun noch?« fragte Agnes.
»Obschon ich glaube,« fuhr der Geheimrat fort, »daß ihre stärkere Begabung auf dem Gebiete der Tanzkunst zu suchen ist.«
»Quatsch!« sagte Agnes. »Das weiß ich besser,« und wandte sich wieder an den Direktor:
»Uebrigens haben Sie denn allein die Besetzung zu bestimmen?«
»Aber nein! Ueberhaupt nicht! Auf Wunsch Brands hat Holten seit dem Tage der Helenapremiere allein die Entscheidung; ich kann nur raten und Vorschläge machen.«
»Nun also!« sagte Agnes und setzte sich erleichtert.
»Dann ist’s ja gut. Dann brauchen wir ja gar nicht weiter darüber zu reden,« und sie nahm Gabel und Messer auf und begann zu essen.
Brand sah Carl an und sagte:
»Ich hoffe, den Wahnsinn wirst du nicht begehen.«
Carl fuhr mit der Hand durch das Haar.
»So antworte ihm doch!« drängte Agnes.
»Nun – ich meine, bis dahin ist’s ja noch lange.«
»Wieso? Es sind kaum drei Wochen,« sagte Brand.
»Ich weiß auch nicht, warum du zögerst,« drängte Agnes »Du bist doch kein Kind und brauchst dich vor Brand doch nicht zu fürchten.«
»Er hat sich sechsundzwanzig Jahre lang nicht vor mir gefürchtet,« sagte Brand.
»Um so besser!« erwiderte sie und legte Messer und Gabel wieder auf den Teller. »Also, Carl! Gib mir die Hand!« Und da er sie nicht gab, so nahm sie sie selbst und hielt sie fest. »Ich will, daß du’s sagst!« Sie fühlte Brands Blick und war um so fester entschlossen, die Entscheidung zu erzwingen.
»Sieh, Kind!« erwiderte Carl, »alles was du willst. Aber, nicht wahr, das siehst du selbst, das geht doch wirklich nicht.«
»Versuch’s!« drängte Agnes und drückte seine Hand.
»Es geht! sage ich. Ich will’s! und ich kann was ich will.«
»Du denkst dir das leichter.«
»Ich denke mir nichts! Ich fühl’s! – Wenn du willst, daß ich bei dir bin, dann tu mir den Willen! Abwechselnd sie und ich! Laß sie beginnen – und falle ich durch, so schadet’s nur mir! Weder dir, noch dem Stück! Dann war’s ein Versuch! – Aber das sage ich nur so, denn ich weiß: ich kann’s! Wenn du das nicht fühlst, dann hast du mich nicht lieb, Carl – dann ist das alles nur so dahingeredet, so ins Blaue hinein – denn sonst wüßtest du’s, wenn ich dir was wär’! Davon hängt jetzt alles ab . . . das weiß ich. Ob du das tust oder nicht.«
»Tu’s nicht!« rief der alte Brand, der sah, wie Agnes ihn zu sich hinüberzog. »Sie hat recht: davon, wie du dich jetzt entscheidest, hängt alles ab!«
»Alles!« wiederholte Agnes, und es war etwas in ihrem Ton, was diesem Worte Sinn und Deutung gab. Er wußte: gab er jetzt nach, so war sie sein, sein auch dem Geiste nach; sagte er nein: so stand sie morgen wieder da, von wo er sie hergeholt hatte. Das