Artur Landsberger

Teufel Marietta


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wiederholte Helene verächtlich und zog die Schultern hoch – »dir doch wohl kaum.«

      Und da man ihr diese Erkenntnis in Gestalt des Kindes jetzt so greifbar vor Augen führte, so war damit auch ihre Stellungnahme zu der ganzen Affäre entschieden.

      »Das arme Geschöpf!« sagte sie. »Wie hübsch es ist!« und fuhr dem Kinde nicht ohne eine gewisse Scheu zu verspüren, grad wie der Papa es vorher getan hatte, mit der Hand über das weiche Haar. Dann trat sie mit einem vollendet teilnahmsvollen Blick an Agate, in der sie die Mutter sah, heran, gab ihr die Hand und drückte ihr in dem Gefühl einer Heldin, die es wagte, sich außerhalb aller gesellschaftlichen Konvention zu stellen, einen Kuß auf die Stirn. Und ein Blick Günthers verhinderte, daß Agate widersprach. – Helene aber beendete die Szene, die sie bewußt und meisterhaft spielte, mit dem Ausruf:

      »Wie gewissenlos von ihm!«

      Günther, der jeden Augenblick damit rechnen mußte, daß der telephonisch herbeigerufene Siewers ins Zimmer trat, gab schnell noch ein paar Aufklärungen, die er, um eine Katastrophe zu vermeiden, für nötig hielt. Daß Agate gar nicht die Mutter, sondern die selbstlose Pflegerin war, nahm Helene unter tausend Entschuldigungen, die Agate zurückwies, ohne weiteres hin. Weniger leuchtete ihr ein, daß Siewers bis zu diesem Augenblick noch keine Ahnung von diesem außerehelichen Familienzuwachs hatte. Über diese Bedenken halfen ihr weniger die Erklärungen hinweg, die Günther zu geben suchte, als die flehende Bitte Elisabeths, die trotz Agates Widerspruch auf den Stuhl gestiegen war und eine mittelalterliche Rüstung von der Wand heruntergeholt hatte.

      »Bitte! bitte! darf ich die mit nach Haus nehmen?«

      bestürmte sie Helenen. Und ehe Günther, der an diesem wertvollen Erbstück mit besonderer Liebe hing, noch widersprechen konnte, half Helene dem Kinde schon in die Rüstung.

      »Selbstverständlich! du kannst alles haben, was dir gefällt!«

      Und als Günther, gegen diese Freigiebigkeit, die ihm bei seiner Frau neu war und von der Elisabeth ausgiebigsten Gebrauch zu machen begann, Einspruch erhob, erklärte Helene:

      »Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich kann diesem Kinde nichts abschlagen.«

      Und um zu verhindern, daß sie dem Grunde dieser nur zu natürlichen Sympathie weiter nachhing, schwieg Günther.

      »Wie hübsch sie in der Rüstung aussieht!« sagte Helene – »findest du nicht, Günther? sieh nur dies feine Profil!«

      »Gewiß! gewiß!« bestätigte er.

      Und Helene, die sich zu Günthers wachsender Unruhe immer mehr in den Anblick des Kindes vertiefte, meinte:

      »Überhaupt – unverkennbar!«

      »Waaas?« platzte Günthers schlechtes Gewissen heraus.

      »Ja siehst du denn nicht?« fragte sie.

      »Nichts sehe ich!« erwiderte Günther, der in Schweiß geriet und entschlossen war, alles zu leugnen.

      »Ja, hast du denn keine Augen?«

      »Nein!«

      Das war reichlich dumm, aber Helene achtete nicht darauf.

      »Diese Ähnlichkeit mit dem Vater!« rief sie, »genau das Profil, dieselbe feine Nase wie Dr. Siewers.«

      »Na also!« atmete Günther erlöst auf und hatte sofort seine Sicherheit wieder.

      »Und überhaupt,« sagte er, »dieselben Ohren, die selben Hände, dieselben Beine – das heißt,« – und er sah sich das Kind zum ersten Male richtig an – »die Beine, die hat sie mehr von der Mutter!«

      »Kennst du die Mutter denn?« fragte Helene erstaunt.

      »Ich? wieso?« erwiderte Günther, »ach so, wegen der Beine. Natürlich kenne ich sie. Warum soll ich denn die Freundin von Dr. Siewers nicht kennen? Ich bitte dich, da ist doch nichts bei. Das lag doch längst vor seiner Ehe.«

      »Aber du sagst doch, daß er selbst keine Ahnung hat?«

      Und diesmal half ihm unbemerkt Agate, die um Rücksicht auf das Kind in der Unterhaltung bat.

      Helene sah das ein und brach ab. Und um das Gespräch auf andre Dinge zu bringen, sagte Günther zu Agate:

      »Es ist überhaupt besser, wenn Sie jetzt gehen, damit Dr. Siewers Sie hier nicht mehr trifft. – Der Schreck wäre zu groß; wir müssen es ihm allmählich beibringen.«

      Und da Agate widersprechen wollte und um eine Erklärung bat, so trat Günther nahe an sie heran, sah ihr fest in die Augen und sagte:

      »Folgen Sie mir! es geschieht alles im Interesse des Kindes.«

      Damit gab Agate sich zufrieden. Nicht aber Elisabeth, die zu Günthers Entsetzen damit beschäftigt war, die ganze Stube umzukrämpeln.

      »Nein, nein!« rief sie, »ich bleibe hier!« und als Agate sie an den Arm nahm, stampfte sie mit den Füßen auf und wiederholte: »Ich will hierbleiben!« was Helene entzückte; weniger Günther, der ihr zuzureden suchte und sagte:

      »Du kannst ja wiederkommen, aber jetzt mußt du fort.«

      Und Elisabeth gab die unbequeme Antwort: »Wozu hat man mich denn erst hierher gebracht?«

      Helene und Günther sahen sich an.

      »Da hat sie eigentlich recht,« meinte Helene – »sonderbar ist das wirklich.« Und sie bat Agate um eine Erklärung.

      »Ich bitte dich, das ist doch ganz natürlich,« meinte Günther.

      Und Helene sann nach und sagte:

      »Du meinst . . .«

      »Natürlich meine ich.«

      »Aus Rücksicht etwa auf Frau Siewers?«

      »Selbstredend!« rief Günther, dem Helene wieder auf die Beine geholfen hatte. »Schwester Agate hatte eben soviel Takt, sich zunächst an uns zu wenden. Nun, und nicht wahr, Helene, bei uns ist die Angelegenheit ja auch in besten Händen.«

      Helene bestätigte das mit vielen Worten. Agate kramte inzwischen Elisabeths Taschen aus und forderte sie auf, sich zu verabschieden. Als Elisabeth an Helene herantrat, sagte die:

      »Ich kann mir nicht helfen Günther, in jeder Bewegung ganz der Papa.«

      Und Günther war so verblüfft, daß er fragte:

      »Wa? – welcher Papa?«

      »Na, Siewers natürlich! wer denn sonst?«

      »Eben! eben!« sagte Günther. »Ich kann mich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnen.«

      »Wir Frauen empfinden darin doch viel menschlicher,« sagte Helene.

      »Kunststück!« erwiderte Günther, »wenn das Kind einem fremden Mann gehört. Ich möchte dich mal sehen, wenn ich der Vater wäre!«

      »Ich bitte mir aus!« unterbrach ihn Helene, und ihr Blick sagte ihm, daß seine Geistesgegenwart ihn wieder mal vor einer schweren Katastrophe bewahrt hatte.

      Kaum war Agate mit dem Kinde draußen, da brach Helene in lautes Schluchzen aus.

      Sofort rührte sich in Günther wieder das schlechte Gewissen.

      Sie hat alles durchschaut, sagte er sich, und vor dem Kinde nur die Komödie gespielt.

      »Was ist dir?« fragte er pflichtgemäß und tat teilnahmsvoll, obgleich er lieber geschwiegen hätte. Aber Helene weinte so laut, daß er es unmöglich überhören konnte.

      Und Helene, statt, wie er erwartet hatte, in Zorn zu geraten, schluchzte laut:

      »Das süße kleine Wesen!«

      Günther schöpfte wieder Mut.

      »Tut es dir leid?« fragte er.

      »Das Kind?« erwiderte Helene und trocknete ihre Tränen. »Nein! ich tue mir leid!«

      Günther zitterten die Kniee.

      Und unter einem neuen Strom von Tränen schluchzte sie:

      »Warum können wir nicht