eine Photographie, er nahm sie auf und betrachtete sie: Aha! dachte er – der Herr Gemahl! – verzog das Gesicht und entschied:
»Mäßig! sehr mäßig!« – Und er sagte sich sofort: das erhöht entschieden meine Chancen. – Er führte das Bild noch dichter vor die Nase und fand: so gar nicht ihr Typ! – so gar nicht das, was sie damals liebte! Und als er in dem Spiegel gegenüber jetzt sein eigenes Gesicht sah, verglich er sich mit dem Bilde. Der Vergleich fiel in allem zu seinen Gunsten aus. – Wenn das Bild auch nur sechs Monate alt ist, entschied er, dann hat er jetzt eine kahle Platte. Dabei fuhr er sich stolz und liebevoll durch sein volles Haar. – Und wie ihr solch ein starker voller Mund immer zuwider war! dachte er und führte unwillkürlich die Finger an die feinen, schmalen Lippen. – Bestimmt sind diese Augen schwarz! und er erinnerte sich, daß sie blaue, nur blaue Augen liebte. – Er stellte das Bild wieder auf seinen Platz, setzte sich und dachte an die Zeit zurück, als Frau Baronin von Villiers noch Anni Röder war. – Wäre ich damals Jurist geblieben, dachte er, statt Schriftsteller zu werden, dann steckte ich heute in diesem Rahmen und würde wohl eine andere Figur machen als dieser kahlköpfige Roué. – Na, mir kann’s recht sein! um so weniger wird sie mich vergessen haben. – Jetzt heißt es nur, gut Komödie spielen! glaubt sie noch an meine Liebe, dann, Siewers, bist du gerettet!
Im selben Augenblick rauschte Anni in elegantester Morgentoilette ins Zimmer. Sie hatte sich einen Tuff von Günthers Rosen angesteckt.
»Wahrhaftig! Sie sind’s!« sagte sie, errötete und sah zur Erde.
»Ja! – ich bin’s!« bestätigte Günther und nahm ihre Hand, »Ernst Günther, der kühne Referendar!«
»So nannten wir Sie damals,« sagte sie und wagte noch immer nicht zu ihm aufzusehen.
»Ja damals!« wiederholte Günther und tat, als wenn die Erinnerung ihn schwer bedrückte – »als ich noch jedem eine tiefe Quart in die Wange grub, der tiefer in diese blauen Augen sah, als meine Eifersucht es ertrug.«
»Und die ertrug so wenig damals,« sagte Anni, und Günther ergänzte:
»Und hat sich am Ende doch daran gewöhnen müssen, alles zu ertragen.«
»Wie lange ist das her? – All diese Wunden sind längst vernarbt.«
»Bis auf eine,« stöhnte Günther, »die niemals heilen wird.«
»Es waren schöne Tage,« seufzte Anni; und Günther ergänzte:
»Und könnten es heut noch sein!«
»Ja!« sagte Anni, – »wenn der kühne Referendar nicht eines Tages das Jus an den Nagel gehängt und unter die Dichter gegangen wäre.«
»An diesem Tage aber,« ergänzte Günther, »entdeckte das liebe Mädel, daß es ja gar nicht der Mensch war, den sie liebte, sondern der Herr Regierungsreferendar, der die große Carriere vor sich hatte.«
»Sie haben Unmögliches von mir verlangt damals!« widersprach Anni. »Ich sollte mit Ihnen auf und davon. Wohin, das wußten Sie selbst nicht – hinaus in die Welt! – Frag nicht, wenn du mich lieb hast, sagten Sie. Und ich wäre damals gegangen – trotz allem – ohne Rücksicht auf meine Eltern, auf meinen Ruf – so sehr hing ich an Ihnen.«
Günther tat gerührt:
»Teuerste!« sagte er – »Beste!« – und machte den Versuch, sie zu umarmen. Aber sie wehrte ab und fuhr fort:
»Rechtzeitig noch erfuhr ich . . .«
Und Günther machte ein langes Gesicht und fragte ängstlich:
»Was erfuhren Sie?«
»Daß Sie sich alle Abende mit Margot, der Tochter des Präsidenten von Rinner, auf der Hirschgasse trafen.«
»Ich schwöre Ihnen . . .« versicherte Günther und wollte den Arm erheben; aber Anni hielt ihn zurück.
»Schwören Sie nicht!« rief sie.
»Doch! doch!« erwiderte Günther. »Es geschah ausschließlich mit Rücksicht auf mein diplomatisches Examen.« – Und als Anni das nicht verstand, fuhr er fort: »Ihr Vater leitete die Prüfung; sie sollte ihn günstig für mich stimmen. Ich war zum Äußersten entschlossen damals: Ich hatte die feste Absicht, mich für die Dauer des Examens mit ihr zu verloben.«
»Günther, wenn das wahr ist!« rief Anni freudig.
Und Günther versicherte:
»Mein Wort darauf!«
»So war sie Ihnen also nur . . .?«
». . . Mittel zum Zweck,« ergänzte Günther – »Und ich liebe Sie – nur Sie! Wie ich Sie noch heute liebe!«
Damit war Annis Widerstand gebrochen. Mit zitternder Stimme sagte sie:
»Es ist noch dieselbe Stimme, derselbe sieghafte Blick, mit dem Sie mich damals immer wieder zurück gewannen.«
Und Günther, seines Sieges sicher, bekannte leidenschaftlich:
»Und es ist noch dasselbe Herz, Anni . . .«
». . . das so oft aussetzte und für andre schlug,« unterbrach sie ihn.
»Dabei aber nie vergaß,« sagte er zärtlich, »wohin es gehörte und reumütig immer wieder zu Ihnen zurückkehrte.«
»So haben Sie mich also wirklich nicht vergessen, Günther?«
Günther trat gekränkt.
»Die erste Liebe, die ins Herz einzieht, ist die letzte, die aus dem Gedächtnisse schwindet! – und Sie konnten glauben, daß ich Sie vergesse? – ich dich?« sagte er zärtlich und schloß sie in seine Arme.
»Nein!« erwiderte Anni, »ich wußte ja, daß du eines Tages kommen würdest.«
Und Günther setzte einen Trumpf darauf und sagte:
»Und ich habe von dieser Hoffnung gelebt – die ganzen Jahre.«
»Und doch hast du dich verheiratet,« warf sie ihm vor.
»Erst als ich wußte, daß du für mich verloren warst.«
»Komm!« sagte sie, nahm seine Hand und ging mit ihm zum Sofa: »Setz dich zu mir!«
Erich setzte sich, sie lehnte sich an ihn und sagte:
»Ich kann dir ja gar nicht sagen, wie ich mich freue!« —
Eine Zeitlang saßen sie so dicht beieinander und feierten Wiedersehn, ohne daß sie viel sprachen.
Nach einer Weile fragte Günther, was unvermittelt schien, und doch in der Luft lag:
»Und dein Mann?«
»Er ist in der Reitbahn,« erwiderte Anni und sah nach der Uhr, »in einer halben Stunde etwa ist er zurück.«
»Du reitest nicht mehr?« fragte Günther.
»Nachmittags, wenn mein Mann zu Haus ist.«
Günther dachte an das Bild und nickte verständnisvoll.
»Wir sehen uns wenig,« bestätigte Anni.
»Ich möchte dich etwas fragen,« sagte Günther.
»Bitte!«
»Hast du Familie?«
»Danke, nein!« erwiderte sie – »ich sagte dir ja schon, wir sehen uns kaum.«
»Ihr scheint ja sehr glücklich miteinander zu leben.«
»Wir stören uns wenig – aber sage, hast du Kinder?«
»Nein! – das heißt . . .« – sagte er zögernd, »wie man’s nimmt – ich habe eins, aber meine Frau hat keins.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das glaube ich gern.«
»Willst du es mir nicht erzählen?« bat Anni.
»Hm! – Offen gesagt – darum bin ich eigentlich hier – ich hätte sonst kaum gewagt – aber ich sagte mir, – du verstehst vielleicht . . .?«
»Keine Silbe!« erwiderte Anni.
»Also