rger
Wie Satan starb . .
Dem Andenken meines Vaters
Erster Teil
I
Johann, der bis zum August 1914, wie seine Vorgänger im Hause Reinhart zweihundert Jahre lang, Jean gerufen wurde, saß im Anrichteraum und putzte Silber.
»Das Telephon!« rief er ins Nebenzimmer, und Lissi, die schmucke Kammerzofe, fuhr aus ihren Nachmittagsträumen auf und trippelte an den Apparat.
Sie nahm den Hörer ab, betrachtete sich im Spiegel, der gegenüber an der Wand hing, brachte mit der freien Hand ihr Haar in Ordnung und sagte verschlafen:
»Hier bei Frau von Reinhart!«
»Meine Schwester! Schnell meine Schwester!« forderte die Stimme eines Mannes.
»Wen wünschen Sie zu sprechen?« fragte Lissi gleichgültig und steckte sich ein Löckchen hoch.
»Zum Teufel ja! meine Schwester!!« tönte es ungehalten in dem Apparat, und Lissi erwiderte, ohne den Tonfall zu ändern:
»Wen, bitte, darf ich melden?«
»Kreuz Himmel! sind Sie noch immer am Apparat? So laufen Sie doch!«
»Die Frau Geheimrat schläft um diese Zeit.«
Inzwischen war Johann, ohne daß Lissi es bemerkte, aufgestanden und öffnete schon die Tür zu dem Zimmer, in dem Frau von Reinhart schlief. Ganz leise trat er ein, beugte den steifen Rücken behutsam über die Chaiselongue und sagte mit gedämpfter Stimme:
»Gnädige Frau.« – Frau von Reinhart schlug die Augen auf. – »Herr Generalarzt Wolf.«
Frau von Reinhart richtete sich auf.
»Wo?« fragte sie lebhaft »Um diese Zeit?«
Johann half ihr auf und sagte:
»Am Apparat.«
Und während die alte Dame sich in großer Hast in Ordnung brachte, wiederholte sie:
»Um diese Zeit! – Da muß doch etwas passiert sein.«
»Frau Geheimrat müssen nicht immer gleich etwas Schlimmes denken.«
»Ich bitt’ Sie, Johann,« erwiderte sie erregt, »das tut mein Bruder doch nie! wo er weiß, ich schlafe.«
»Er ist eben sehr beschäftigt.«
»Jean! Jean!!« rief Frau von Reinhart plötzlich und sah ihn starr und erschreckt an.
»Was meinen Sie?« fragte Johanns Blick, und Frau Julie von Reinhart entfärbte sich, beugte sich nach vorn und sagte:
»Am Ende gar . . . mein Junge!«
Da erschrak auch Johann, reichte der alten Dame den Arm, riß die Türen auf und nahm dem schmucken Mädchen Lissi, das mit rotem Kopf eben wütend mit dem Fuß auftrat und in den Apparat rief:
»Nein! Ich wecke sie nicht!« den Hörer ab und reichte ihn der Frau Geheimrat.
»Schnell einen Stuhl!« rief er der verdutzten Lissi zu und stützte Frau Julie, die vor Zittern kaum den Hörer halten konnte.
Mit schwacher Stimme rief sie in den Apparat:
»Ja! . . . Martin . . . Ich bin’s!«
»Endlich!!« klang es erlöst. Und gleich darauf trafen sie wie ein elektrischer Schlag, der ihr in alle Glieder fuhr, die Worte: »Freu dich!«
Frau Julie sank auf den Stuhl. Aber sie ließ den Hörer nicht los, umpreßte ihn fest und sagte:
»Was denn?«
»Er ist da!«
»Martin!!« schrie Frau Julie laut und ließ den Hörer fallen. Der ganze Körper zuckte krampfhaft, leise schluchzende Töne stiegen aus ihrem Inneren auf, sie lächelte eine Zeitlang vor sich hin, dann sagte sie, die Augen weit aufgerissen:
»Junge! – Peter! mein Junge!« und verfiel, – sie, die fünfundsechzigjährige, beherrschte Frau, die in ihrem langen Leben niemals vor Dritten gezeigt hatte, was sie bewegte – schließlich in ein langanhaltendes befreiendes Lachen.
Johann hatte in den Apparat gerufen:
»Frau Geheimrat ist so bewegt – Sie hören es wohl, Herr Generalarzt? Vielleicht, daß Sie doch lieber selber kommen – und sie beruhigen.«
Aber Frau Julie, die noch immer hell wie ein junges Mädchen lachte, schüttelte den Kopf und sagte:
»Mich braucht niemand zu beruhigen und ich brauche keine Aerzte! – Nun nicht mehr!« – Und dann liefen ihr die dicken Tränen über die Wangen und sie schluchzte selig: »Peterle! mein Peter! – Ach Gott! wie ist das Leben schön! – Josef, mein lieber guter Mann! du mußt es wissen! ich bin nicht mehr allein! Er lebt! Unser Junge, unser Einziger! er lebt! er ist da! – Dir danke ich ja das große Glück, den Jungen! Guter, lieber Josef, daß du das nicht miterlebst, die Freude! – Zehnfach, hundertfach stärker als vor fünfundzwanzig Jahren, als ich ihn dir schenkte, bester Mann!«
Dann stand sie auf, lehnte sich an den alten siebzigjährigen Diener, der den Hörer noch immer in der Hand hielt und Frau Julie anstrahlte, und fragte:
»Was sagt er noch?«
»Er kommt. Er ist schon unterwegs.«
»Er kommt. Er ist schon unterwegs,« wiederholte Frau Julie, die es auf ihren Sohn bezog. »Nach vier Jahren, Jean. Denken Sie! und unser guter Herr wird ihn nicht sehen. – Es ist zuviel Glück; zuviel Glück für eine alte Frau – Jean, Jean, Sie guter Alter, was habe ich Sie gequält vier Jahre lang. Sie waren ja der Einzige, der wußte, wie mir ums Herz war. – Gewiß, auch meine Töchter haben mit mir gefühlt. Aber doch nicht so wie Sie! Die haben ihre Männer und ihre Kinder und ihre Pflichten. Und leben in einer Zeit, in der man anders denkt und fühlt. Aber ich und Sie, Jean, wir hatten ja nichts, seitdem der gute Herr tot ist, als nur ihn, den Einen. – Sagen Sie, Jean, haben Sie geglaubt, wenn Sie mich trösteten und mir immer wieder sagten: Sie werden sehen, Frau Geheimrat, der Peter kommt. Eines Tages, wenn Sie gar nicht daran denken, dann geht die Tür auf und er ist da – Hand aufs Herz, Jean, haben Sie das wirklich geglaubt?«
Jean schüttelte den Kopf.
»So recht geglaubt hab’ ich’s nicht. Aber ich hab’ mir gesagt: wie soll die Frau Geheimrat weiter leben ohne den Glauben?«
»Gut, daß Sie das taten. Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre! Denken Sie, er wäre zurückgekommen, und ich war nicht mehr am Leben. Wo der Junge so an mir hängt! Nun aber soll er eine lebensfrohe Mutter wiederfinden.«
»Herr Generalarzt Wolf,« meldete der Diener.
»Willi!« rief Frau Julie, streckte die Arme aus und erhob sich, während der Medizinalrat noch in der Halle stand und dem Mädchen Helm und Säbel reichte.
Der alte Medizinalrat lächelte, beeilte sich, nickte seiner Schwester zu und sagte schon in der Tür: »Na also! Nun haben wir’n! endlich!«
Frau Julie schlang die Arme um seinen Hals und weinte. Der Alte drückte sie an sich.
»So Julie, Schwesterchen, da fühlt man mal wieder, wie man zusammengehört.«
Frau Julie drängten sich unzählige Fragen auf. Aber nach dem langen Leid wollte sie erst einmal ihr Glück genießen. Und da fragte sie ihren Bruder zunächst nicht, in welcher Verfassung ihr Sohn sei und wann sie ihn wohl wiedersehen werde. Sie wiederholte nur immer:
»Also er lebt! – ist da!«
Und als der Medizinalrat sie fragte:
»Ja, willst du denn nicht mehr von ihm wissen?« schüttelte sie den Kopf und sagte:
»Erst einmal laß mich das fassen, Martin.«
Und erst als sie eine Zeitlang ohne zu sprechen Hand in Hand neben ihrem Bruder, der wohl fühlte, was in ihr vorging, gesessen hatte, raffte sie sich plötzlich aus ihren glücklichen Gedanken auf, wandte sich zu ihm und sagte:
»So! und nun erzähle!«
Der Medizinalrat zog ein Telegramm hervor und sagte:
»Danach ist er morgen Nacht schon in Genf.«
»Dann