Artur Landsberger

Wie Satan starb


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irgendeinen glücklichen Zufall ausgetauscht, noch ehe wir etwas dazu unternommen haben.«

      »Und . . .« fragte Frau Julie zögernd – »darüber, wie es ihm geht, steht nichts in dem Telegramm?«

      »Doch! wenigstens indirekt. Denn er kommt via Luzern nach Engelberg; und da nur Gesunde dort hinauf kommen . . .«

      »Martin!« unterbrach ihn Frau Julie und drückte seine Hand. »Er ist da! er lebt! und ist gesund!« – Wieder liefen ihre Tränen, und in ihrem Glück völlig unbeherrscht, stand sie auf, öffnete die Tür und rief strahlend: »Jean! so hören Sie doch!« —

      Aber durch die offne Tür trat ihr ihr Schwiegersohn, der Landrat Dr. Moll, entgegen.

      »Anton!« rief Frau Julie ihm zu. »Denk dir, er ist da! er lebt! und ist gesund!«

      »Da siehst du, wie grundlos die ganzen Jahre über deine Sorgen waren,« erwiderte der, nahm ihre Hand und küßte sie.

      »Es hätte ja doch auch anders sein können,« sagte Frau Julie.

      »Gewiß! In solcher Zeit muß man aber auch dem Schlimmsten gefaßt ins Auge schaun.«

      »Bedenke doch, Anton, wenn er ums Leben gekommen wäre!«

      »Dann hättest du es wie Millionen andere Mütter tragen müssen.«

      »Nein!« rief Frau Julie bestimmt. »Nie hätte ich das getragen.«

      Der Landrat sah sie verdutzt an.

      »Was willst du damit sagen?« fragte er.

      »Daß ich an meinem Glück jetzt erst ermessen kann, wie groß mein Schmerz gewesen wäre. Das Herz hätte ausgesetzt. Verlaß dich drauf. Sein Tod wäre auch mein Tod gewesen.«

      »Mama!« schalt der Landrat und wies auf Johann, der auf Frau Julies Ruf hin soeben ins Zimmer trat. »Erstens sind wir nicht allein. Und dann überhaupt.«

      »Du vergißt, daß es ihr Einziger ist,« vermittelte der Medizinalrat.

      »Und wenn ich sechs Söhne hätte! und ich stelle mir vor, ich verlöre einen: ich glaube, der Schmerz wäre der gleiche.«

      »Wer fürs Vaterland stirbt, lebt ewig,« erklärte der Landrat und sah triumphierend erst den Medizinalrat und dann Frau Julie an.

      »Du hast demnach freiwillig auf das ewige Leben verzichtet?« parierte der Medizinalrat.

      »Ich habe einen Posten an der inneren Front, auf dem ich meinem König ebenso wertvolle Dienste leiste wie draußen.«

      »Und wenn du nun deinen Sohn opfern solltest?« fragte Frau Julie . »Was dann?«

      »Opfern?« wiederholte der Landrat und ließ sein Monokel, das er an einer dünnen Seidenschnur trug, aus dem Auge fallen.

      »Nenne es, wie du willst: meinetwegen Pflicht.«

      »Pflicht?« wiederholte der Landrat.

      »Heilige Pflicht,« konzedierte ihm der Medizinalrat.

      »Nun denn,« erwiderte der Landrat, stand auf, schloß den Knopf seines eng anliegenden Cutaways, stellte sich dicht vor die beiden, klemmte das Monokel wieder ein und sagte:

      »Ich wäre stolz, wenn es meinem Sohne vergönnt wäre, auf dem Felde der Ehre zu fallen.«

      »Anton!« rief Frau Julie entsetzt und hob wie zur Abwehr die Arme. »Du versündigst dich.«

      »Die Zahl der Jahre macht das Glück nicht aus. Schließlich stirbt es sich zu achtzehn für seinen Kaiser leichter als zu siebzig an Arterienverkalkung.«

      »Ja, setzen wir unsere Kinder denn in die Welt, damit sie sterben?« rief Frau Julie.

      »Wie Gott will,« erwiderte der Landrat.

      »Laß Gott aus dem Spiel!« forderte Frau Julie. »Er steht mir näher als dir.«

      »Erlaub mal!« widersprach der Landrat gekränkt.

      »Möglich, daß du ihn mehr im Munde führst. Das bringt dein Amt wohl mit sich. Jedenfalls: er hat nichts damit gemein, daß die Menschen sich umbringen, statt sich zu lieben.«

      »Du vergißt, daß es für König und Vaterland geschieht,« erwiderte der Landrat.

      »Zugegeben!« stimmte Frau Julie bei. »Jedenfalls aber nicht im Namen dessen, der die Liebe predigte.«

      »In solchen Zeiten hat sich eben alles in den Dienst der Sache zu stellen.«

      »Etwa auch die Religion?« fragte Frau Julie.

      »Gewiß! Ausnahmslos alles! – Wem das nicht im Blute sitzt, dem muß es der Verstand sagen.«

      »Nur, daß der Glaube nicht Sache des Verstandes, sondern eine Angelegenheit des Herzens ist.«

      »Mit dem Herzen macht man keine Politik.«

      »Eben darum soll man die Religion, die eine Herzenssache ist, auch nicht zum Werkzeug des Krieges machen.«

      »Das meine ich auch,« stimmte der Medizinalrat seiner Schwester bei.

      »All die spitzfindigen Definitionen«, fuhr Frau Julie fort, »durch die gar zu bereitwillige Geistliche zu beweisen suchen, daß Krieg und Religion wohl nebeneinander bestehen können, sind seelische Vergewaltigungen und Sünden wider den heiligen Geist. In Wahrheit kehren sie die Lehre Christi ins Gegenteil und besorgen die Geschäfte des Satan.«

      »Das sind Schlagworte! Perversitäten,« erwiderte der Landrat.

      Der Medizinalrat unterdrückte ein Lachen, und Frau Julie sagte:

      »Mir scheint, daß die Religion zu keiner Zeit eine größere lohnendere Aufgabe zu erfüllen hatte als grade jetzt. Nicht als ein Werkzeug des Krieges, vielmehr neben dem Kriege, als die Trösterin! – Gelingt ihr das, vermag sie die Wunden zu schließen, und siegt schließlich über alle Schmerzen die große Liebe – dann hat sie die schwerste Prüfung bestanden, die ihr in all den Jahrhunderten auferlegt wurde. Dann hat sie das Böse endgültig besiegt.«

      »Das sind alles Sentimentalitäten, mit denen man keine Kriege gewinnt,« sagte der Landrat.

      »Aber sie überwindet!« belehrte ihn der Medizinalrat.

      »Auf deutsch: Pazifismus,« sagte der Landrat und lachte spinös.

      »Das ist nun zwar nicht gerade deutsch,« meinte Frau Julie. »Aber um über Krieg und Religion zu reden, steht mir heute nicht her Kopf.«

      »Das will ich meinen!« rief Ilse von Zobel, die in diesem Augenblick ins Zimmer stürzte, sich ihrer Mutter an den Hals warf, sie an sich drückte und rief:

      »Ich gratuliere!«

      Ihr Mann, Kurt Freiherr von Zobel, Hilde Moll, die Frau des Landrats, und der Justizrat Willi Wolf, ein jüngerer Bruder Frau von Reinharts, folgten ihr.

      »Ja! woher wißt ihr denn alle schon?« fragte Frau Julie, nickte allen zu und ließ sich von ihnen die Hand küssen.

      »Du hast es uns doch mitteilen lassen,« erwiderte der Justizrat.

      »Ich?« fragte Frau Julie erstaunt. »Ich war doch so benommen, daß ich gar keinen Gedanken hatte.« – Im selben Augenblick aber hatte sie auch schon die Lösung: zweifellos! Johann hatte in seiner Freude, ohne sie zu fragen, alle benachrichtigt.

      »Ich bin so, wie ich war, von den Kindern fort und zu dir!« rief Hilde. Und der Landrat, der schon längst seine Frau scharf betrachtet hatte, sagte:

      »Du siehst ja ganz zerzaust aus.«

      »Das war unser Junge! Er hing sich an mich und wollte durchaus mit und Großmutti gratulieren.«

      »Der geliebte Junge!« rief Frau Julie. »Er ähnelt dem Peter. Er hat soviel Gemüt.«

      »Du solltest doch etwas mehr auf dein Aeußeres sehn,« sagte der Landrat, der jetzt dicht neben seiner Frau stand.

      »Das bist du mir und meiner Stellung schuldig.«

      Hilde stöhnte und sagte halblaut:

      »Immer dasselbe.«

      Und