Eugenie Marlitt

Im Hause des Commerzienrates


Скачать книгу

hab’ genug mit ihm ausgestanden, und zum Dank dafür hat er mich auch mit keinem Pfennig bedacht“ – sie lachte scharf und zornig auf – „wenn Sie nicht für mich sorgten, da könnte ich jetzt betteln gehen.“

      Käthe hob unwillig warnend und Schweigen gebietend den Zeigefinger.

      „Nun meinetwegen auch – ich will still sein,“ grollte die Alte und ließ es still geschehen, daß das junge Mädchen ihren vertrockneten Körper wie ein hülfloses Kind in Decken und Kleider einmummte. „Es thut mir nur leid, daß so ein guter Herr, wie der Doctor, deswegen nun angeschwärzt wird und sein Brod verliert, und seine arme Tante, für die er sorgt und arbeitet, dauert mich auch. Sie hat ihn von ihrem Bischen Vermögen studiren lassen, die alte Frau Diaconus. Sie wohnt bei ihm; er ist immer ihr ganzer Stolz gewesen – und nun muß sie das mit erleben.“ –

      Käthe machte der Mittheilung, die sehr in’s Breite zu gehen drohte, ein Ende, indem sie die Kranke vorsichtig aus dem Lehnstuhle hob. Sie war der früheren Heimath zu sehr entfremdet und wurzelte mit ihrem Denken und Empfinden viel zu sehr in ihrem Dresdener Heim, um sich für die Privatverhältnisse dessen so rasch zu erwärmen, der Flora’s Bräutigam war. Allerdings bedauerte sie den Arzt in ihm, dem das Mißlingen einer Cur so plötzlich Existenz und Stellung gefährdete, allein das Weh um den Großvater, der jedenfalls schwer gelitten hatte, überwog bei Weitem auch diesen Antheil.

      Halb und halb getragen von den starken Armen des jungen Mädchens, hinkte Suse über den Vorsaal. Die Thür der Eckstube war offen, und am Fuße der herniederführenden Stufen stand Doctor Bruck mit ausgestreckten Händen, um die Leidende in Empfang zu nehmen und ihr herabzuhelfen. … Es war eine charakteristische Gruppe, die der Thürrahmen einen Augenblick umschloß. Käthe hatte sich den gesunden Arm der Kranken um den Nacken gelegt und hielt die knochige braune Hand mit ihren rosigen Fingern auf der linken Achsel fest, während ihr rechter Arm die Hüften Susens umschlang. Ausdrucksvoller konnte die opferwillige Barmherzigkeit nicht verkörpert sein, als in diesem Mädchen, das, seitlich über die gekrümmte Hülflose gebeugt, ihr strahlend junges Gesicht an den grauen Scheitel, die runzelvolle Wange des alten Frauenkopfes legte.

      Nach wenigen Minuten saß Suse bequem und weich gebettet in der luftigen Stube. Sie musterte ängstlich die famosen Vorhänge, entsetzte sich über das Bett auf dem „stolzen Kanapee“ und bemühte sich vergeblich, ihre Freude darüber zu verbergen, daß sie nun wieder jeden Sack zählen konnte, der drunten im Hofe auf- und abgeladen wurde.

      Die junge Dame sah nach ihrer kleinen goldenen Uhr. „Es wird Zeit, mich in der Villa vorzustellen; sonst gerathe ich möglicher Weise mitten in den stolzen Theezirkel der Frau Präsidentin,“ sagte sie mit der anmuthigen Geste eines leichten Schauders und zog die Handschuhe aus der Tasche. „In einer Stunde komme ich wieder und koche Dir eine Suppe, Suse –“

      „Mit den feinen Händen?“

      Mit den feinen Händen, versteht sich. Glaubst Du denn, ich lege sie in Dresden in den Schoos? … Hast doch meine Lukas gekannt, Suse – sie ist heute wie damals; da heißt es, Hand und Fuß rühren und die Zeit ausnutzen. Du solltest sie nur einmal sehen! Sie ist eine Frau Doctorin geworden, die ihres Gleichen sucht.“ Damit verließ sie das Zimmer, um sich in Susens Stübchen zum Fortgehen zu rüsten.

      4

      Auf der Spinnerei schlug es Fünf, als Käthe in Doctor Bruck’s Begleitung wieder in den Hof trat. Es war kälter geworden, und die uralte halbverwischte Sonnenuhr am Giebel, die heute, im goldenen Frühlingslicht neu auflebend, mit scharfem Finger die Stunden bezeichnet hatte, sah wieder trübselig verlassen und verwittert aus.

      Das helle Geklingel der Thürschelle lockte Franz wieder heraus auf die kleine Freitreppe, und auch seine Frau folgte ihm neugierig mit langem Halse, um die heimgekehrte junge Herrin zu begucken. Käthe bat sie, während ihrer Abwesenheit fleißig nach der Kranken zu sehen, was auch heilig und theuer versprochen wurde. In diesem Augenblick rauschte es in den Lüften, und gleich darauf stürzte eine schöne Taube herab und blieb hülflos aus dem Steinpflaster liegen.

      „Schwerenoth, nehmen denn die Bubenstreiche kein Ende?“ fluchte Franz, indem er die Treppe herabsprang und das Thierchen aufhob – es war flügellahm geschossen. „Da guck’ her, Frau!“ sagte er zu der Müllerin. „’s ist keine von unseren – ich dachte mir’s gleich. ’s ist ein gottheilloses Volk da drüben. Die schießen der armen Dame ihre Prachttauben nur so vor der Nase weg. Na, ich sollte nur der Herr Commerzienrath sein!“ Er schüttelte die Faust.

      „Wer ist denn die arme Dame, Franz? Und wer schießt nach ihren Tauben?“ fragte Käthe mit großen Augen.

      „Er meint Henriette,“ sagte Doctor Bruck.

      „Und drüben aus der Spinnerei wird geschossen,“ platzte Franz ingrimmig heraus.

      „Wie, die Fabrikarbeiter meines Schwagers?“

      „Ja, ja, die sein Brod essen, Fräulein. ’s ist eine Sünde und Schande. Da haben Sie die Bescheerung, Herr Doctor! Da sehen Sie ja nun, was das für eine Brut ist. Sie wollen bei denen Alles mit Liebe und Güte durchsetzen – ja, da werden Sie weit kommen. Was haben denn solche brave Leute, wie Sie, von der Gutheit? Lange Nasen macht Ihnen die Gesellschaft. … Die Faust auf’s Auge! ’runter müssen sie. Das ist meine Meinung – sonst ist kein Aushaltens.“

      „Strikt man hier auch? fragte Käthe den Doctor, dem ein so schönes, ernstes Lächeln um die Lippen schwebte, daß sie das Auge nicht von ihm wenden konnte.

      „Nein, die Sache liegt anders,“ sagte er, den Kopf schüttelnd. Seine ruhige Stimme klang imponirend neben Franzens heftigem Gepolter. „Mehrere der ersten Arbeiter im Besitz einiger Capitalien, hatten Moritz gebeten, ihnen beim Zerschlagen des Rittergutes zu einem Stück Land zu verhelfen, das, an sich öde und von geringem Ackerwerth, ziemlich nahe der Fabrik unbenutzt liegt. Sie wollten Häuser bauen mit Miethwohnungen auch für die ärmeren Arbeiterfamilien, die den theuren Miethzins in der Stadt fast nicht mehr erschwingen können. Der Commerzienrath hat ihnen auch Versprechungen gemacht; er konnte das um so eher, als der begehrte Streifen Landes noch zu seinem Park gehört –“

      „Verzeihen Sie, Herr Doctor, daß ich Sie unterbreche!“ fiel Franz ein; „gerade deshalb durfte er’s nicht. Ich hab’ mir’s gleich gedacht, daß das die Frau Präsidentin nicht zugiebt. Wer läßt sich denn auch eine solche Nachbarschaft gefallen, wenn er nicht muß? Und richtig – die Damen drüben sind furchtbar böse geworden, und haben’s ein- für allemal nicht gelitten, daß die Bauplätze abgegeben worden sind, ‚es sollten neue Anpflanzungen gemacht werden‘, hat’s geheißen, und damit war die Sache abgemacht. Nun sind sie wüthend in der Fabrik und thun Schabernak und rächen sich, wo sie können.“

      „Freilich eine erbärmliche Rache! – Du armes Ding!“ sagte Käthe und nahm die Taube aus Franzens Hand.

      „Das Beklagenswerthe dabei ist, daß diese Rohheit Einzelner auf einen ganzen Stand strafend zurückwirkt. Man wird der Präsidentin keinen Vorwurf mehr daraus machen dürfen, daß sie solche Elemente nicht in ihrer Nähe dulden will,“ sprach Doctor Bruck mit verfinstertem Gesicht.

      „Das sehe ich nicht ein. Es giebt Boshafte und Rachsüchtige in allen Ständen,“ versetzte das junge Mädchen rasch und lebhaft. „Ich verkehre oft in den unteren Classen; mein Pflegevater hat viele arme Patienten, und wo außer seinen Medicamenten auch kräftige Suppen und sonstige Nachhülfe in der Pflege noththun, da unterstützt ihn meine liebe Doctorin nach Möglichkeit, und ich gehe selbstverständlich auch mit. Man stößt auf viel Undank und Rohheit, das ist wahr, oft aber auch auf brave und edle Gesinnungen, Noth und Elend aber sind meist so herzerschütternd –“

      „Ist nicht so schlimm, wie Sie denken, Fräulein – das Volk verstellt sich,“ unterbrach sie Franz mit einer wegwerfenden Handbewegung.

      Käthe maß ihn einen Augenblick schweigend von unten herauf mit einem sprechenden Blick. „Sieh, sieh, was für ein vornehmer[58] Herr der Franz geworden ist!“ sagte sie mit unverkennbarer Ironie. „Von wem sprechen Sie denn? Sind Sie nicht selbst aus dem Volke? Und was waren Sie denn früher in der Schloßmühle? Ein Arbeiter, wie die Leute dort in der Spinnerei auch, ein Arbeiter, der