Eugenie Marlitt

Im Hause des Commerzienrates


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habe.

      Währenddem stand Henriette, das kleine, mißgestaltete Mädchen, mit Augen voll Grimm und Spott vor der Großmutter. „Also nur in Rücksicht auf das Gerede der Leute wünschest Du, daß sich meine Schwester tadellos aus der Affaire ziehe? Damit kommt sie ja sehr wohlfeil weg. Du sprichst sie ohne Bedenken frei, wenn sie nur dem Treubruche ein seidenes Mäntelchen umzuhängen versteht. Uebrigens brauchst Du wegen des Eclat wirklich nicht so entsetzlich penible zu sein, Großmama – man muß im Salon leben, wie wir, um zu wissen, daß die Gesellschaft es mit so manchen vornehmen Sündern hält, wie mit dem alten Meißner Porcellan: je öfter gekittet, desto begehrter!“

      „Ich werde Dich wohl ersuchen müssen, den Rest des Abends auf Deinem Zimmer zu verbringen, Henriette,“ zürnte die Präsidentin jetzt ernstlich. „Mit dieser verbitterten Stimmung kann ich Dir die Rückkehr in den Salon nicht gestatten.“

      „Wie Du befiehlst, Großmama! Gelt, Hans, wir gehen mit tausend Freuden,“ sagte sie lächelnd und drückte die Wangen auf das Gefieder des Vögelchens, das noch auf ihrer Rechten saß. „Du kannst  auch  die alten Hofdamen nicht leiden, und die große medicinische Autorität, den Herrn von Bär, zwickst Du regelmäßig in den Finger, wenn er Dich mit Zucker kirren will, braver Bursche … Gute Nacht, Großmama – gute Nacht, Moritz!“ Sie hemmte noch einmal ihre hastigen Schritte und wandte sich zurück. „Die Charaktervolle dort,“ sagte sie mit schneidender Ironie, „wird hoffentlich den Weg innehalten, den ihr der selige Papa unerbittlich vorgeschrieben haben würde – mit ihrer Renommage bezüglich des eigenen Willens hat sie sich zu seinen Lebzeiten niemals hervorwagen dürfen. Er würde ihr nie gestattet haben, einem Ehrenmanne das gegebene Wort zu brechen.“

      Mit trotzig zurückgeworfenem Kopfe ging sie hinaus, aber schon auf der Schwelle stürzten ihr die heißen Thränen, die bereits in ihren letzten Worten mitgeklungen hatten, unaufhaltsam über die Wangen.

      „Gott sei Dank, daß sie geht!“ rief Flora. Man braucht wirklich das höchste Maß von Selbstbeherrschung, um nicht ihr gegenüber die Geduld zu verlieren.“

      „Ich vergesse nie, daß sie eine Kranke ist,“ bemerkte die Präsidentin trocken zurechtweisend.

      „Und in einer Art hatte sie doch auch Recht, Flora,“ wagte der Commerzienrath einzuwerfen.

      „Denke darüber, wie Du willst, Moritz!“ entgegnete die junge Dame kalt. „Ich habe Dich nur dringend zu bitten, mir durch Deine Einmischung die inneren Kämpfe nicht zu erschweren. Wie bereits gesagt, bin ich gewohnt, mit mir und Anderen allein fertig zu werden, und so will ich’s auch in diesem Falle gehalten wissen. Uebrigens dürft Ihr ruhig sein – Du und die Großmama – es widerstrebt mir selbst, hart und gewaltsam vorzugehen; ich habe eine geräuschlose Verbündete, und das ist – die Zeit.“

      Sie nahm das Kelchglas vom Schreibtische und netzte die fast weißgewordenen Lippen mit einigen Tropfen Rothweins, während die Präsidentin, ohne ein Wort weiter zu verlieren, sich anschickte, in den Salon zurückzukehren.

      „Apropos, Moritz!“ rief sie, die Hand auf das Thürschloß legend. „Was wird nun mit Käthe geschehen?“

      „Darüber müssen wir das Testament entscheiden lassen,“ versetzte er, wie befreit aufathmend. „Ich bin völlig ahnungslos, wie der Schloßmüller verfügt hat. Käthe ist seine einzige Erbin; ob er sie aber auch als solche bestätigt, das fragt sich; er ist ihr ja immer gram gewesen, weil ihre Geburt seiner Tochter das Leben gekostet hat. … Auf jeden Fall wird sie für einige Zeit hierher kommen müssen.“

      „Gieb Dir keine Mühe – die kommt nicht; die hängt noch heute so fest an den Rockfalten ihrer alten, unausstehlichen Gouvernante, wie zu Papas Lebzeiten,“ sagte Flora. „Man muß nur ihre Briefe an Dich lesen.“

      „Nun, vielleicht ist’s auch besser, sie bleibt, wo sie ist,“ meinte die Präsidentin fast lebhaft. „Aufrichtig gestanden, ich verspüre nicht viel Lust, sie unter meine Flügel zu nehmen und vielleicht stündlich an ihr herumzumäkeln – das giebt viel stillen Aerger. … Ich habe mich nie recht für sie erwärmen können, nicht etwa, weil sie das Kind der ‚Anderen‘ war – darüber habe ich stets gestanden, aber sie kroch mir zu viel drüben in der Mühle herum, hatte stets die Zöpfe und Kleider voll Mehlstaub und war ein recht eigenwilliges kleines Ding.“

      „Ja, so ein rechter Querkopf aus dem Volke, und doch – Papas Liebling,“ warf Flora mit bitterm Lächeln hin.“

      „Scheinbar, Kind, weil sie seine Jüngste war,“ sagte die Präsidentin, die grundsätzlich nie den Gedanken aufkommen ließ, daß eines ihrer Angehörigen je zurückgesetzt werden könne; „er hat Euch ebenso lieb gehabt. Nun, Moritz, wirst Du mitkommen?“

      Er bejahte hastig. Beide entfernten sich, Flora aber schellte [24]  ihrer Kammerjungfer. „Ich will mich in mein Schlafzimmer zurückziehen und dort arbeiten – trage das Schreibzeug und diese Papiere hinüber!“ befahl sie. „Selbstverständlich bin ich für Niemand mehr zu sprechen.“

      Der feurig rothe Streifen draußen erlosch; das weiße Licht des Salons aber schimmerte bis weit über Mitternacht in die dunkle, sturmgepeitschte Allee hinein. … Der Commerzienrath saß am Spieltische. Alle Anwesenden hatten bei seinem Eintreten einen liebenswürdigen Gruß, ein vertrauliches Händeschütteln für ihn gehabt, und das hatte sein beklommenes Herz durchwärmt und umschmeichelt wie Sonnenschein. Inmitten dieser Gesichter, mit der Vornehmheit des Adels oder dem Beamtenhochmuthe in den Zügen, fand er seine Handlungsweise so vollkommen gerechtfertigt, daß er die quälenden Scrupel der letzten Stunden fast nicht mehr begriff. Weshalb sich einem schiefen Urtheile aussetzen, wenn man sich bewußt ist, nicht einmal in Gedanken gesündigt zu haben? Und um welche Gemeinheit handelte es sich! All’ den allerliebsten Scandalgeschichtchen, die auch jetzt von Mund zu Mund schlüpften, hing man mit feinem, verständnißinnigem2  Lächeln „das seidene Mäntelchen“ um – es waren ja insgesammt noble Passionen und Verirrungen, die man geißelte, bei dem Verdachte eines gemeinen Attentates auf den Geldschrank des Schloßmüllers aber ließe sicher alle diese Leute den ohnehin in ihren Kreis Eingeschmuggelten gnadenlos fallen. … Allerdings durfte er sich jetzt nicht mehr damit trösten, daß sein Verschweigen Niemand schade; es drohte scheidend zwischen zwei Menschen zu treten, die bereits durch den Verlobungsring an einander gekettet waren – bah, Flora war ein excentrisches Wesen! Bei der nächsten Auszeichnung, die Bruck zu Theil wurde – und die konnte bei seinen Verdiensten, seinem Wissen nicht ausbleiben  –, besann sie sich eines Bessern. … Er schlürfte ein Glas köstlicher Bowle, und das spülte die letzten Scrupel gründlich weg.

      3

      Der Schloßmüller hatte in der That seine Enkelin, Katharina Mangold, testamentarisch zu seiner Universalerbin ernannt und den bereits von ihrem verstorbenen Vater für sie bestellten Vormund auch seinerseits bestätigt. – Dieser Vormund war der Commerzienrath Römer. Bei der Eröffnung des Testamentes war diesem doch sehr wunderlich zu Muthe gewesen, und er hatte den Kopf geschüttelt über die Widersprüche, die ungeahnt in der Menschenseele neben einander liegen. Der alte Mann, der ihn in dem jähen Wahne, er wolle ihn seines Goldes berauben, nahezu erwürgt, hatte ihn kaum eine Stunde zuvor bezüglich der Verwaltung des Vermögens mit beinahe unumschränkter Vollmacht betraut. Er hatte verfügt, daß, falls die beabsichtigte Operation seinen Tod nach sich ziehe, sofort sein gesammter Besitz an Liegenschaften,3 mit Ausnahme der Schloßmühle, verkauft werde. In Betreff dieser Ausnahme hatte er bemerkt, die Mühle habe ihn zum reichen Manne gemacht, und seine Enkelin, selbst wenn sie „so stolz und hochnäsig, wie ihre Stiefschwestern“ geworden sei, brauche sich nicht zu schämen, sie ihrem künftigen Ehemanne mitzubringen. Das Rittergut sollte zerschlagen, die Waldungen, Ländereien und die Wirthschaftsgebäude inmitten der weiten Gras- und Gemüsegärten je einzeln an den Meistbietenden veräußert werden; bezüglich der Villa und des dazu gehörigen Parkes solle jedoch der Commerzienrath Römer, sofern er darauf reflectire, die Vorhand haben, und sei ihm der Besitz mit fünftausend Thalern unter dem Taxwerth zuzuweisen. Diese fünftausend Thaler habe er nicht allein als Entschädigung für seine vormundschaftliche Mühewaltung, sondern auch als ein Zeichen der „Erkenntlichkeit“ des Testators