Hendrik Conscience

Der Rekrut


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das Loos hat mich getroffen!«

      Dann ging er auf das Mädchen, eine Thränenfluth stürzte aus seinen Augen:

      »Trien! Trien!«

      Weiter konnte er nicht, die Stimme erstickte in der Kehle.

      Der alte Mann war zu sehr angegriffen um ein Wort zu sprechen oder einen Gedanken zu bilden; während einige Thränen über seine Wangen rollten, richtete er stumm seine Blicke auf die Erde.

      Diese Stille wurde erst durch den schmerzlichen Ruf Jans unterbrochen:

      »O, meine Mutter! meine arme Mutter!«

      Dieser Ruf weckte in dem Geist des Mädchens einen neuen Entschluß, denn sie war ein edles und starkes Geschöpf. So lange sie im Zweifel war, hatte sie geweint; doch jetzt mit der Sicherheit des Unglücks und dem Gefühl einer hohen Verpflichtung gewann sie die ihr eigene Gemüthskraft wieder. Sie richtete ihren Kopf auf, wischte sich die Thränen aus den Augen und sagte gelassen:

      »Jan, lieber Jan, Gott hat es so beschlossen; wer kann etwas gegen seinen Willen? Du bleibst doch noch Ein Jahr, vielleicht gibt es noch Mittel und Wege. Laßt mich gehen; ich will es auch der Mutter melden. Brächte ihr ein Anderer die Nachricht, sie stürbe vielleicht vor . . .«

      Mit diesen Worten sprang sie über den Weg quer durch den Wald und verschwand.

      Der Alte und der unglückliche Rekrut gingen den längeren Weg durch das Dorf. Sie hörten singen, schreien und jauchzen, waren aber in ihre Trauer zu tief versenkt, um auf den Lärm Acht geben zu können.

      In der Nähe ihrer Wohnung fanden sie Trien, die ihnen mit den beiden Frauen und dem Brüderchen weinend entgegenkam.

      Der junge Mann sah seine Geliebte mit einem Blick voll Dankbarkeit an; denn das Gesicht seiner Mutter zeigte ihm, daß das Mädchen der leidenden Frau einen Hoffnungsstrahl gezeigt haben müsse.

      Durch diesen Anblick gestärkt, bezwang auch er seinen Schmerz und lief mit offenen Armen auf seine Mutter.

      Diese Begegnung war zuerst bitter, und Thränen floßen noch einige Zeit; allmählich verschwand die Trauer, und, es wurde wieder Friede in den Hütten der beiden Wittwen.

      II

      Die Stunde der Abreise ist erschienen! Da, vor den Hütten steht ein schöner junger Mann, den Stock über die Schulter geworfen und den Bündel auf dem Rücken. Seine sonst so lebendigen Augen irren langsam umher, sein Angesicht ist ernst und Alles scheint Gemütsruhe in ihm zu verrathen; obgleich das Herz ihm heftig klopft und seine Brust schwere Athemzüge schwellen und krampfhaft bewegen.

      Seine Mutter hält eine seiner Hände fest und überhäuft ihn mit den wärmsten Liebesbezeugungen; die arme Frau weint nicht: ihre Wangen beben unter der Gewalt, die sie sich anthut um ihren Schmerz zu verbergen. Sie lacht ihrem Kind zu um es zu trösten; aber dies Lächeln, erzwungen und peinlich, ist entsetzlicher noch als die bitterste Klage.

      Die andere Wittwe ist beschäftigt den kleinen Knaben zu beschwichtigen und ihm weiß zu machen, daß Jan bald zurückkommen wird; aber das Kind hat, bei der jahrelangen Trauer seiner Eltern schon begriffen, daß der Abschied ein schreckliches Unglück ist, – und es schreit nun aus vollem Halse.

      Der Großvater und Trien sind drinnen, um die letzten Zubereitungen zur Reise fertig zu machen: sie höhlen ein Festbrod aus und füllen es mit Butter. Dann kommen sie mit dem Reiseproviant vor die Thüre und bleiben bei dem Jüngling stehen.

      Der Stall ist offen; der Ochs schaut traurig nach seinem Herrn hin und brüllt einmal um das andere ganz schwermüthig; man sollte sagen, daß das Thier begreift was da vorgeht.

      Alles ist bereit: er ist auf dem Punkte fortzugehen. Schon hat er die Hand seiner Mutter fester gedrückt und einen Fuß vorausgesetzt; da schlägt er noch einmal sein Auge rund umher, umfaßt in einem langen Liebesblick die niedere Hütte wo seine Wiege stand, die Haide und die Wälder, welche die Zeugen seiner Kinderspiele waren und die magern Felder, die sein jugendlicher Schweiß so oft schon befeuchtet! Hierauf fällt sein Auge der Reihe nach auf Alle die er liebt, bis auf den Ochsen, seinen treuen Gefährten in der sauren Arbeit er verbirgt das Gesicht in seine Hände und zerdrückt die Thräne, welche über seine Wange rollt und schluchzt mit kaum hörbarer Stimme: »Lebet wohl!«

      Dann hebt er sein Haupt wieder empor, schüttelt seine langen Haare und schreitet mit Entschlossenheit fort.

      Doch Alle folgen ihm; noch wollen sie ihn nicht verlassen. Nicht weit vom Dorfe, am Kreuzwege, hängt ein Muttergottesbild unter dem Lindenbaume. Trien hat es an einem schönen Maiabend dorthin gehängt und Jan an dem Fuß des Baumes einen Betstuhl gezimmert. An dieser heiligen Stätte, wo jeden Tag Einer von den guten Leuten ein Dank- oder ein Bitt-Gebet zu Gott empor steigen läßt, soll ihren bebenden Lippen das letzte Lebewohl entschlüpfen . . .

      Schon sehen sie in der Ferne den Lindenbaum und bereiten sich zum letzten Abschied vor. Der Jüngling mäßigt seinen Schritt, während seine Mutter mit herzlichen Liebkosungen zu ihm spricht:

      »Jan, liebes Kind, vergiß nicht was ich dir empfohlen habe. Halte Gott stets vor Augen und unterlasse nie vor dem Schlafengehen zu beten. So lang du dies thust, wird dein Herz rein bleiben; und solltest du einmal dein Gebet vergessen haben, so denk den andern Tag an mich, deine Mutter, und du wirst wieder brav werden; wer an Gott und seine Mutter denkt hat einen Schirm gegen jedes Uebel, lieber Sohn.«

      »Ich will immer, immer an euch denken Mutter,« schluchzte der Jüngling, »und wenn ich traurig bin und der Muth mich verläßt, wird die Erinnerung an euch mich stärken und trösten; – denn ich werde, das fühle ich wohl, unglücklich sein: ich seh euch gar zu gerne.«

      »Und dann mußt du nicht fluchen, hörst du wohl, und nicht liederlich leben, du wirst in die Kirche gehn, nicht wahr? und uns so oft als möglich über deine Gesundheit benachrichtigen und stets denken, daß ein Wort von dir, deine Mutter glücklich macht, nicht wahr? o ich werde jeden Tag ein Gebet an deinen Schutzengel richten, auf daß er dich nicht verlasse.«

      Die sanften Laute seiner Mutter rührten den Jüngling tief; er traute sich nicht sie anzublicken, denn in diesem feierlichen Moment hätte ihn das feuchte Auge seiner Mutter zu sehr ergriffen; so hörte er sie mit gesenktem Haupte an. Seine einzige Antwort bestand in einem festeren Händedruck und einem langen Seufzer, der die Worte »Mutter, liebe Mutter« fast erstickt.

      Sie nahten schweigend dem Kreuzwege, der Großvater begab sich an die andere Seite des Jünglings und sagte mit ernster Stimme: »Jan, mein Sohn, du wirst deine Pflichten erfüllen ohne Widerwillen und mit Liebe, nicht wahr? deinen Vorgesetzten gehorsam sein und mit Geduld selbst eine Ungerechtigkeit erleiden, die sie dir zufällig angethan hätten? jedem gefällig und dienstfertig sein? guten Willen zeigen und Alles thun was dir auferlegt wird? dann wird Gott dir, beistehen und Vorgesetzte und Kameraden werden dich lieben« . . .

      Trien mit ihrer Mutter und dem Kleinen waren schon unter dem Lindenbaum auf dem Gras an der Bank knieend und beteten.

      Jan hatte die Zeit nicht dem Großvater auf seine Empfehlungen zu antworten; seine Mutter zog ihn an die Bank.

      Jetzt knieen sie Alle nieder und beten mit aufgehobenen Händen . . .

      Der Wind rauscht durch die Zweige des Lindenbaums, die Frühlingssonne scheint milde auf den sandigen Weg, die Vögel in den Lüften fingen ihr fröhliches Lied; und doch ist Alles ruhig und feierlich, während sie ihr frommes Gebet flüstern . . .

      Es ist vorbei; sie stehen Alle auf; doch ihre Augen sind in Thränen gebadet. Die Mutter umhalst ihr Kind unter bitteren Klagen und obgleich die andern mit offenen Armen bereit stehen um Abschied zu nehmen, läßt sie ihren theuren Sohn doch nicht von sich; sie küßt ihm die Thränen von den Wangen und murmelt unverständliche Worte vor Kummer und vor Liebe.

      Endlich setzt sich die ermattete Wittwe, die trotz ihrer Erschöpfung noch immer weint, auf die Bank nieder.

      Jan umhalst hastig seinen Großvater und Trien's Mutter; schiebt das weinende Brüderchen, das sich um seine Beine geklammert hatte, freundlich von sich, lauft dann noch zu seiner