cience
Die Dorf-Plage
I
Zwei schlichte, sonntäglich gekleidete Landbewohner kehrten an einem Nachmittag von der benachbarten Stadt nach ihrem Dorfe zurück.
Die Landschaft, die sie durchwanderten, war eine der Schönsten des Hagelandes.1 Die Straße schlang sich, quer durch den braunen Eisenstein gehauen, neben einem Hügelrücken in wundersamen Wellenlinien über Höhen und Tiefen dahin, bis zu dem kleinen Kreuz mit dem vergoldeten Hahn, das in der Ferne aus dem dunklen Laubwerk hervor glänzte. An der einen Seite des Weges erhob sich die steile Felsenwand, deren dunkle Farbe mit dem lieblichen Grün üppigen Brombeergesträuchs bedeckt war, und welche die Aussicht nach dieser Richtung versperrte . . . Zuweilen indessen senkte sich der Boden zu einem reich bepflanzten Thale und es ließ sich von der Höhe, auf der sich unsere Wanderer befanden, mit einem einzigen Blicke die ganze weite Strecke überschauen. Ein schönes Schauspiel gewährte es besonders, in der Ferne die Tannenwälder, gleichsam über einander gestapelt, an den Hügelwänden sich hinauf— und hinabbreiten, und in immer schwächerem Farbenton, ihr saftiges Grün allmälig mit den Dünsten des Horizontes in ein nebelhaftes Grau verschwimmen zu sehen.
Auf der andern Seite des Weges hatten die Gewitterregen ein breites Bett aufgewühlt, hinter welchem eine weite Fläche wohlbebauter Felder sich erstreckte, deren regelmäßige Furchen bis an den Abhang einer andern Hügelreihe fortliefen und dort als bunte Teppiche von den Rücken der Berge herabzuhängen schienen.
Es war Herbstzeit; die Spätsonne glänzte mit höherer Gluth am wolkenlosen Himmel und spielte in den mannigfaltigsten Schattierungen mit den bunten Farben des halbverwelkten Laubes. Obgleich ihr Licht noch in voller Klarheit strahlte, verkündigte bereits am Fuße der fernen Wälder der zarte Purpurton, daß die Luft kälter wurde als die Erde, und die Abendnebel aufstiegen.
Von den Anhöhen, über die sie der Weg führte, konnten die zwei Wanderer Stundenweit blicken und des prächtigen Gemäldes genießen, das die stille Herbstnatur vor ihren Augen entrollte, aber sie schienen es kaum zu beachten und wanderten schweigsam ihre Straße fort.
Der eine war ein alter Mann mit grauem Haare und tief gefurchtem Gesicht. Obschon von den Jahren gekrümmt, schritt er noch leichten Trittes dahin und bedurfte kaum des Knotenstockes, der ihm an einer ledernen Schnur von der Faust hing. Auch seine Augen blickten helle und der ruhig ernste Ausdruck, der über seinen Zügen lag, zeugte noch von Gemüthsstärke und Willensfestigkeit.
Ein grober Filzhut aus dem vorigen Jahrhundert verbarg theilweise sein Silberhaar und ein nicht minder altmodischer Ueberrock hing ihm fast bis an die Fersen herab.
In demselben Anzug hatte der gute Mann einst vor dem Altare gekniet, als er seiner Bethe die ewige Treue gelobte. Sorgsam hatte er ihn geschont, denn derselbe hatte ihn ein gut Theil Silberstücke gekostet . . . Sechsundzwanzig Jahre waren seit jenem Hochzeitsmorgen verstrichen und noch holte er ihn nur dann aus dem Schrein, wenn er zur Kirche ging oder in Geschäften sich nach der Stadt begeben mußte.
Sein Begleiter war ein junger Gesell, dem Gesundheit und Kraft aus dem frischen Gesichte strahlten. Eine hübsche Tuchmütze hing ihm über dem linken Ohr und üppig wallten die braunen Locken über die Schultern herab. Die Zipfel einer bunten Halsbinde bedeckten zierlich den Brustschlitz seines feinen blauen Kittels. Es leuchteten ihm die Augen von stiller Lebenslust, ein süßes Lächeln umschwebte den Mund und die flüchtigen Blicke, die er zuweilen um sich warf, verriethen die Einfalt seines Herzens und das volle Vertrauen, womit er die Zukunft erwartete.
Auf der rechten Schulter trug er an einem Stock einen beladenen Korb; die Hand, womit er den Stock hielt, war mächtig und breit, und die schwieligen Finger bezeugten, daß der junge Bauer, der eben erst zum Manne herangereift war, schon manche schwere Arbeit bestanden habe.
Seit einiger Zeit schritt der alte Mann mit gesenkterem Haupte, als er zu thun pflegte, dahin. Offenbar hatten ernste Gedanken seinen Geist ergriffen, und der häufige Wechsel seines Ausdrucks ließ auf Kummer und ängstigende Sorgen schließen.
Wohl war seinem Gefährten diese düstere Stimmung nicht entgangen und mit einer stillen Theilnahme, die von Achtung und, Ehrerbietigkeit zeugte, suchte er auf dem Gesichte des Alten die Ursache dieser traurigen Gemüthsbewegungen heraus zu lesen.
Als ob der Zug seiner Gedanken ihn endlich zu einem Schlusse geführt hätte, sprach endlich der Greis mit nachdrucksvollem Tone:
– »Ja, Lukas, mein Sohn, wohl ist es so, wie zuweilen unser alter Pastor scherzend sich ausdrückt: – Als der Teufel sah, daß er nicht mehr genug Seelen zu fangen im Stande sei, da verwandelte er sich in Branntwein und Seitdem ist die Hölle zu klein."
– »Wie kommt Ihr darauf, Vater?« fragte der Jüngling verwundert.
Aber der Alte ließ sich in seinem Gedankengange nicht stören, und fuhr fort, mit einem Ausdrucke der Verachtung:
– »Was kann es aber auch für ein verächtlicheres Geschöpf auf der Erde geben, als den Trunkenbold? Träge und sorglos läßt er seine Felder entweder unbesäet liegen, oder das Unkraut darin ungehemmt seine Saaten ersticken; schamlos sieht er seine Sachen immer bedenklicher rückwärts schreiten und verzehrt in elender Schlemmerei das Wenige, das er erworben. Frau und Kinder quälen sich ab in Angst und Verdruß, leiden Hunger und Durst und sehen die bitterste Noth drohend vor der Thüre stehen. Er unterdessen schlendert herum, lärmend, fluchend und singend, zur Schande des ganzen Dorfes. Im Taumel seines stürmischen Uebermuthes hofft er der nagenden Gewissensbisse Meister zu werden, verliert dabei aber am Ende sowohl seine arme Seele, als den Verstand. Und so geht es vom Bösen zum Schlimmeren fort, bis er sich endlich mit seiner unglücklichen Familie auf den Bettel zu gehen gezwungen sieht, ja vielleicht an der Thüre desselben Hofes ein Stück Brod erstehen muß, den sein Vater mit saurem Schweiße zum schönsten Gedeihen gebracht hatte, um ihn dem undankbaren Sohne in gutem Stande zu hinterlassen. Sieh, wenn ich nur daran denke, so kocht mir das Blut in den Adern. Elende Tagediebe!«
Der Jüngling blickte verdutzt auf seinen Vater, dessen Aeußerungen er in ihrer nächsten Ursache immer noch nicht begriff. Dieser aber fuhr fort:
– »Sieh meine Hände, Lukas, sieh mein Gesicht und meinen gewölbten Rücken. Vor den Jahren bin ich alt und gebrochen. Gar früh war ich eine Waise, meine Eltern hatten bei einer Feuersbrunst beide den Tod gefunden, und auch mein Ohm, der gute Mann, der sich damals meiner annahm und ich zur Schule schickte, starb, da ich eben dreizehn Jahre alt geworden. Da wurde ich Knecht auf dem großen Hof hinter dem Kreuzberg. Als ich deine Mutter heirathete, besaßen wir Nichts als eine Ziege und einige an unserem Tagelohn ersparte Gulden. Aber wir haben wacker geschafft und gesorgt, und Gott segnet immer die rüstige Arbeit. So haben wir es allmälig so weit gebracht, daß wir ein Pferd, vier Kühe und ein ziemliches Stück Land in Pacht besitzen, und dabei noch ein kleines Häuschen Geld für die bösen Zeiten im Rückhalte haben. Es wird wohl auch einmal ein Kreuzchen über meinem Grabe auf dem Kirchhofe ragen – aber nicht wahr, Lukas, du wirst dir es nie aus dem Sinne schlagen, daß Alles, was ich dir zurückgelassen, die mühsame Frucht meiner Arbeit, der wohlverdiente Lohn meines Schweißes war; daß dein Vater und deine Mutter Mangel gelitten und sich zu Tode gearbeitet haben, um dir zu deinem Besitzthum zu verhelfen. Nicht wahr, du wirst es treulich pflegen, dieses kostbar errungene Besitzthum, es vermehren, es mit Umsicht verwalten, als ein theures Andenken unserer treuen Liebe?«
Der herzliche Ton dieser Worte rührte den jungen Burschen fast zu Thränen.
Mit sanfter Wehmuth erwiederte er:
– »Lieber Vater, was sagt ihr denn? Ihr irrt euch; habe ja bei Baes2 Anton doch höchstens ein einziges Glas Diester—Bier getrunken!«
Da griff ihn der Alte bei der Hand und sagte:
– »Oh, meine Rede geht nicht auf dich, Lukas; Gott sei es gedankt, du bist brav und arbeitsam, und deine Güte, deine Tugend ist mir ein theurer Lohn für meine Mühen. Wenn – du einmal alt und von der Arbeit aufgerieben, gebückt unter der Last deiner Jahre einhergehst, dann sollst du es auch empfinden, mein Sohn, wie trostvoll es ist, zu wissen, daß einem der Segen des Schweißes nach dem Tode nicht von unwürdigen Kindern vergeudet wird.«
– »Aber,