Hendrik Conscience

Die Dorf-Plage


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die wurde treulich versorgt und liebevoll von Clara verpflegt . . . Ach, wir waren sämtlich so froh, und Clara nicht minder; und ihr, Vater, und die gute Mutter, ihr liebtet Clara wie euer eigenes Kind, denn sie war es ja, die durch ihre innige Hingabe unser Haus zu einem solchen Himmel von Friede und Liebe umgewandelt hatte! . . . «

      Der Jüngling harrte mit gesenktem Blick auf eine Bemerkung seines Vaters. Nach einer Weile fragte dieser:

      – »In deinem Traume also wohnte Clara bei uns?– Als Magd?«

      Zitternd flüsterte Lukas fast unvernehmlich:

      – »Nein, Vater, sie war meine Frau!«

      Der alte Mann klopfte seinem Sohne leise auf den Kopf und sagte scherzend:

      – »Schlaukopf! du hättest ein Advocat werden sollen. Nur so beiläufig lässest du das Schlagwort fallen! – Aber, Junge, die Sache ist ernst; wir wollen gründlich darüber sprechen, aufrichtig und offenherzig wie zwei gute Freunde. Zuerst will ich dir was sagen, das dir wohl thun wird. Es sind über fünf Jahre her, da haben deine gute Mutter und ich ebenfalls davon geträumt, daß Clara deine Ehefrau werden könnte; denn so lange dauert es schon, glaube ich, daß du stets um den steinernen Hof herumschwärmst, so bald du einen freien Augenblick findest? . . . Glaubst du wohl, daß unser Wirken und Mühen sogar nur darauf zielte, dich einst mit Clara getraut zu sehen? Ihr Vater war, oder schien wenigstens ein wohlhabender Pächter, aber dabei trug er den – Kopf ziemlich hoch. So würde er niemals in die Heirath seiner Tochter mit dem Jungen eines armen Ochsenbauern, der ich damals war, eingewilligt haben.«

      – »Jetzt aber—, Vater, wird er diese Einwilligung mit Vergnügen aussprechen.«

      – »Das wohl! Aber das macht unsere Rechnung noch nicht. Damals hatte er zu« viel, jetzt hat er zu wenig . . . «

      Lukas hob seine Hand bittend zum Vater empor, als wollte er eine trockene Weigerung in seinem Munde ersticken.

      – »Das will heißen, jetzt hat er gar nichts mehr,« fügte der Alte hinzu.

      – »Vater,« rief der Jüngling, »habt ihr nicht selber gesagt, daß ihr auch nichts besaßet, als ihr meine Mutter trautet Und dennoch waret und seid ihr mit eurem Schicksal zufrieden. Macht mich also nicht unglücklich um ein Bisschen Geldes willen!«

      – »Geld?« versetzte der Alte. Darum handelt es sich nicht. Man nennt mich zwar einen Geldhascher, und hält mich für einen Geizhals, aber das Geld hat für mich keinen Werth, als insofern es die Frucht meiner Arbeit ist. Wollte mir Jemand einen Schatz geben, ich würde ihn wohl annehmen, in der Hoffnung, er möchte dir, Lukas, zu etwas nützlich sein können. Was aber mich betrifft, so würde ich wenig um eine Summe Geldes geben, die ich nicht verdient und deren Ursprung ich nicht kenne. Ich würde dabei nicht mehr essen oder trinken können, als zuvor, und wenn ich nicht mehr arbeiten sollte, würde ich vor Müßiggang vergehen . . . «

      – »Aber, Vater, ihr seid doch recht wunderlich! Warum wollt ihr denn eure Zustimmung nicht geben?« rief der Junge mit peinlicher Ungeduld. »Meint ihr, ich würde eurem wackeren Beispiel nicht folgen? Seid überzeugt, daß die Schwielen meiner Hände so wenig Zeit finden sollten zu verschwinden, als die eurigen. Habt ihr mich denn je über Arbeit klagen hören?«

      – »Nein, Lukas; es läuft ein gesundes Blut in deinen Adern: ich weiß es und freue mich darüber. Aber du unterbrichst mich, und ich habe das nicht gerne, denn es bringt mich aus dem Geleise. – Es ist etwas, mein Sohn, woran du nicht denkst. Wenn Bauer Staers noch im Wohlstand lebte und Clara die Frau würde, da könnte sie wohl bei uns wohnen oder mit dir auf einen kleinen Pachthof ziehen; aber jetzt weiß ihr Vater nicht mehr, wo er Stand fassen soll. So wird er ihr folgen wollen, mit euch wohnen, von der Frucht eurer Arbeit trinken, und euch vielleicht in den Abgrund stürzen.«

      i Wie von Schrecken ergriffen, blieb der Jüngling plötzlich stehen und stieß einen Schrei peinlicher Ueberraschung aus seiner beklommenen Brust.

      – Der Vater fuhr fort:

      – »Es ist eine Pflicht – ich glaube, es steht sogar im Gesetze geschrieben – daß die Kinder ihre Eltern unterhalten müssen, sobald diese nicht mehr im Stande sind, selbst ihr Brod zu verdienen. Ein Trunkenbold sein ist nun noch viel schlimmer, als verkrüppelt oder lahm; denn der Trunkenbold, anstatt zu verdienen, verzehrt und verpraßt sogar das Geld, das noch nicht einmal verdient ist. Stelle dir vor, Lukas, du arbeitetest wie ein Sklav, während er sein liederliches Wesen forttreibt, in eurem Hause mit rohen Worten, mit Gotteslästerungen um sich wirft, ja vielleicht deine Frau gar mißhandelt, wenn sie ihm zur Befriedigung seines unseligen Gelüstens das nöthige Geld nicht reichen will . . . Und dann, es wird euch Gott auch Kinder schenken und die würden von der Wiege an ein so trauriges Vorbild vor Augen haben, fluchen und lästern hören, Großvater sagen müssen zu einem Wüstling, der von Kirche und Klause nichts wissen will und mit vollem Bewußtsein seine Seele dem Teufel überliefert! Nein, mein Sohn, das darf nicht sein; du wirst es selbst einsehen und dich demüthig beugen unter das Kreuz, das dir Gott zu tragen auflegt. Nicht wahr, Lukas, du wirst gut und vernünftig sein und dein Leben, dein Glück nicht bloßstellen, um einer Neigung zu folgen, die nach einigem Schmerze von selber vergehen wird.«

      Der Jüngling antwortete nicht. Aber wie von der Angst seines Herzens gejagt oder von stillem Aerger getrieben, beschleunigte er seine Schritte. Schweigsam rang er die Arme längs seines Körpers oder schüttelte die Glieder unter heftigen Zuckungen.

      Der Vater blickte mit innigem Mitleid auf seinen Sohn. Nach einer Weile sagte er traurig:

      – »Lukas, glaube nicht, daß es mir nicht schwer ankommt, dir dieses Leid anzuthun, aber ich darf meine väterlichen Pflichten nicht versäumen. Sei gewiß, ich gäbe die Hälfte unserer Güter, um deinen Wunsch zu befriedigen; denn dein Wunsch ist ja auch der meinige und der deiner Mutter, aber es kann einmal nicht sein.«

      Diese letzte Aeußerung traf den Jüngling wie ein unabwendbares Urtheil; ein dumpfer Ausruf entfuhr seinem Munde, indem er mit der Hand in die Brust fuhr und die Finger verzweiflungsvoll bewegte, als wäre er beschäftigt, sich die Brust aufzukratzen. Doch verhielt er sich schweigend.

      Auch der Alte wandelte sprachlos fort. Nach einer Weile – lenkte er das Gesicht von seinem Sohne ab, brachte die Hand an die Stirne und versank in tiefes Nachdenken, wie er seinem armen Lukas Muth und Trost einflößen könne.

      Inzwischen waren sie in die Nähe ihrer Wohnung angelangt; – am Ende einer Baumallee, die in dem hohen Tannenwald angelegt war, konnten sie schon die ersten Häuser des Dorfes erblicken.

      Plötzlich richtete der Alte den Kopf in die Höhe und sagte mit fröhlichem Ausrufe:

      – »Nun, Lukas, hab’ ich’s gefunden!«

      Der Jüngling blieb stehen und lauschte in ängstlicher Spannung seinem Vater das bedeutungsvolle Wort ab.

      – »Nein, nicht so hastig, Lukas,« sagte dieser, seine eigene Freude bezwingend. »Es ist ein Gedanke, über den ich doch noch eine Nacht schlafen sollte.«

      – »Um Gottes Willen, Vater, sprecht, sprecht, was, habt ihr ausgefunden?« bat der tiefbewegte Jüngling.

      Der Alte nahm seinen Sohn bei der Hand und sprach mit zurückgehaltener Freude:

      – »Lukas, wie wär’s, wenn ich dem Jan Staers den Vorschlag machte, seinen Pacht zu übernehmen, so daß er mit mir und deiner—Mutter auf dem steinernen Hofe wohnen bliebe. So alt ich auch bin, will ich den Leuten zeigen, daß das Grundstück mit einigem Schweiße reichlich den Pachtzins eintragen kann. Mir wird das wüste Treiben Jan’s nicht zum Schaden gereichen; das lange Arbeiten hat meinen Leib mit einer harten Rinde umhüllt. Auf diese Weise könntest du mit Clara auf unserem Hofe hausen und wir würden uns gegenseitig noch tägliche Handreichung leisten können. Du hättest dann auch Frieden im Hause und deine Frau und Kinder, wenn deren kommen, würden durch des unglücklichen Trunkenboldes Gegenwart nicht belästigt werden . . . Wenn die Nacht mir keinen anderen Rath bringt, werde ich morgen mit Jan Staers darüber sprechen.«

      Lukas ließ seinen Korb zur Erde gleiten, legte den Arm um seines Vaters Hals und fing, von seinen Empfindungen übewältigt, an seines