Иван Тургенев

Aufzeichnungen eines Jägers


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werden soll. Stjopuschka sitzt bald am Zaun und nagt an einem Rettich oder saugt an einer Mohrrübe oder zerbröckelt einen schmutzigen Kohlstrunk; ein anderes Mal schleppt er krächzend einen Eimer voll Wasser; bald macht er Feuer unter einem Töpfchen an, in das er irgendwelche schwarze Bröckchen, die er aus seinem Busen holt, hineinwirft; bald klappert er in seiner Kammer mit einem Holz, schlägt einen Nagel ein, um ein Wandbrett für sein Brot anzubringen. Das alles macht er schweigend, gleichsam aus einem Winkel heraus. Wenn man nur hinblickt, ist er schon verschwunden. Plötzlich verschwindet er auch für zwei Tage; seine Abwesenheit wird natürlich von niemandem bemerkt. . . . Ehe man sich’s versieht, ist er schon wieder da und legt verstohlen Späne unter einen Dreifuß. Er hat ein kleines Gesicht, gelbe Äuglein, Haare, die bis zu den Augenbrauen herabreichen, ein spitzes Näschen, ungewöhnlich große, wie bei einer Fledermaus durchsichtige Ohren; der Bart sieht so aus, als ob er ihn vor zwei Wochen rasiert hätte und ist niemals länger oder kürzer. Diesen selben Stjopuschka traf ich in Gesellschaft des anderen Greises am Ufer der Ista.

      Ich ging auf sie zu, begrüßte sie und setzte mich zu ihnen. Auch im Genossen Stjopuschkas erkannte ich einen Bekannten: Es war der Freigelassene der Grafen Pjotr Iljitsch, Michailo Saweljew, mit dem Zunamen Tuman (Nebel). Er wohnte bei einem schwindsüchtigen Kleinbürger aus Bolchow, dem Besitzer einer Herberge, in der ich recht oft abstieg. Junge Beamte und andere unbeschäftigte Menschen, die durch die Orjolsche Landstraße fahren (die in ihre gestreiften Federbetten vergrabenen Kaufleute haben andere Dinge im Sinn) – können auch jetzt noch in einer geringen Entfernung vom großen Kirchdorf Troïtzkoje ein riesengroßes, zweistöckiges, verfallenes, hölzernes Haus mit eingestürztem Dach und vernagelten Fenstern sehen, das in die Landstraße hineinragt. Zur Mittagsstunde, an einem hellen, sonnigen Tag kann man sich nichts Traurigeres als diese Ruine denken. Hier lebte einst der Graf Pjotr Iljitsch, der durch seine Gastfreundschaft berühmte, reiche Grandseigneur einer alten Zeit. Zuweilen versammelte sich bei ihm das ganze Gouvernement, um bei der betäubenden Musik der Hauskapelle, unter dem Knattern von Schwärmern und römischen Kerzen zu tanzen und sich zu amüsieren; manches alte Mütterchen seufzt wohl jetzt noch, wenn es an diesem verfallenen Herrensitz vorbeifährt, bei der Erinnerung an die vergangenen Zeiten und an die entschwundene Jugend. Lange gab der Graf seine Festmahle, lange ging er mit einem freundlichen Lächeln durch die Schar unterwürfiger Gäste; aber sein Vermögen reichte ihm leider nicht für das ganze Leben. Nachdem er das Letzte verloren hatte, ging er nach Petersburg, um sich eine Stelle zu suchen, und starb in einem Gasthaus, ohne irgendeine Entscheidung erwartet zu haben. Tuman, der sein Haushofmeister gewesen war, hatte noch bei Lebzeiten des Grafen den Freibrief bekommen. Er war ein Mann von etwa siebzig Jahren mit einem regelmäßigen und angenehmen Gesicht. Er lächelte fast fortwährend, wie nur die Menschen aus dem Zeitalter Katharinas zu lächeln verstehen: gutmütig und majestätisch; beim Sprechen spitzte er langsam die Lippen und zog sie wieder ein, blinzelte freundlich mit den Augen und sprach ein wenig durch die Nase. Auch wenn er sich schneuzte oder eine Prise nahm, so tat er es langsam, wie ein wichtiges Werk.

      »Nun, Michailo Saweljitsch«, fing ich an, »hast du viel Fische gefangen?«

      »Belieben Sie nur ins Körbchen zu schauen: Zwei Barsche habe ich erwischt und an die fünf Stück Äschen . . . Zeig es, Stjopa.«

      Stjopuschka hielt mir das Körbchen hin.

      »Wie geht es dir, Stepan?« fragte ich ihn.

      »Es . . . es . . . es . . . es geht, Väterchen, man schlägt sich durch«, antwortete Stepan stotternd, als müßte er mit seiner Zunge zentnerschwere Lasten umdrehen.

      »Geht es auch Mitrofan gut?«

      »Es geht ihm gut, gew . . . gewiß, Väterchen.«

      Der Ärmste wandte sich weg.

      »Die Fische wollen nicht recht anbeißen«, begann Tuman, »es ist viel zu heiß; alle Fische haben sich unters Gebüsch verkrochen und schlafen . . . Stjopa, tu mir mal einen Wurm an den Haken.«

      Stjopuschka holte einen Wurm aus dem Topf, legte ihn sich auf die flache Hand, schlug einigemal darauf, zog ihn über den Haken, spuckte darauf und reichte ihn Tuman.

      »Ich danke dir, Stjopa . . . Und Sie, Väterchen«, fuhr er fort, sich an mich wendend, »Sie belieben zu jagen?«

      »Wie du siehst.«

      »So, so . . . Was haben Sie für einen Hund? Ist’s ein englischer oder ein kurländischer?«

      Der Alte liebte es, sich zuweilen von seiner vorteilhaften Seite zu zeigen: »Auch ich habe etwas von der Welt gesehen!«

      »Ich weiß nicht, was es für eine Rasse ist, aber er ist gut.«

      »So, so . . . Belieben Sie auch mit Hetzhunden zu jagen?«

      »Ja, ich habe an die zwei Meuten.«

      Tuman lächelte und schüttelte den Kopf.

      »Das stimmt. Der eine liebt die Hunde, der andere will sie nicht geschenkt. Ich denke es mir mit meinem einfachen Verstand so: Hunde soll man sich sozusagen mehr des Ansehens wegen halten . . . Dann soll aber alles so, wie es sich gehört, sein: Die Pferde, die Piqueure, alles muß in bester Ordnung sein. Der verstorbene Graf – Gott hab’ ihn selig! – war, die Wahrheit zu sagen, niemals Jäger gewesen; aber er hielt sich doch Hunde und fuhr zweimal im Jahr auf die Jagd. Im Hof versammeln sich die Piqueure in roten Röcken mit Tressen und blasen ins Horn; Seine Durchlaucht geruhen zu erscheinen, man führt Seiner Durchlaucht das Pferd vor; Seine Durchlaucht steigen in den Sattel, und der Oberjägermeister steckt die Füße Seiner Durchlaucht in die Bügel, nimmt sich die Mütze vom Kopf und reicht ihm die Zügel in der Mütze. Seine Durchlaucht knallen mit der Hetzpeitsche, die Piqueure schreien, und alle reiten aus dem Hof. Der Leibjäger reitet hinter dem Herrn; er hat an einer seidenen Leine die beiden Lieblingshunde des Herrn und paßt, wissen Sie, auf . . . Der Leibjäger sitzt hoch im Kosakensattel, hat so rote Backen und rollt die Augen . . . Natürlich sind auch Gäste dabei. Es ist ein Zeitvertreib, und auch die Würde ist gewahrt . . . Ach, da hat er sich losgerissen, der Asiate!« rief er plötzlich, die Angel herausziehend.

      »Nun, man sagt, der Graf hätte ein lustiges Leben geführt?« fragte ich.

      Der Alte spuckte auf den Wurm und warf die Angel aus.

      »Er war ein großmächtiger Herr, das weiß man ja. Ihn besuchten, man darf wohl sagen, die vornehmsten Leute aus Petersburg. Gar oft saßen sie mit blauen Ordensschärpen bei Tisch und speisten. Er war aber auch ein Meister im Bewirten. Manchmal läßt er mich kommen und sagt: ›Tuman, ich brauche für morgen lebenden Sterlett; laß welchen anschaffen, hörst du?‹ – ›Zu Befehl, Durchlaucht!‹ – Gestickte Röcke, Perücken, Rohrstöcke, Parfüms, Eau de Cologne erster Sorte, Tabatieren, riesengroße Bilder, die hatte er sich direkt aus Paris verschrieben. Wenn er so ein Bankett gibt – Herr meines Lebens! – Feuerwerk, Spazierfahrten! Man schoß sogar aus Kanonen. An Musikern allein waren vierzig Mann vorhanden. Einen deutschen Kapellmeister hielt er sich; aber der Deutsche bildete sich zu viel ein: wollte mit dem Herrn am gleichen Tisch essen; also befahlen Seine Durchlaucht, ihn mit Gott hinauszujagen: ›Meine Musiker‹, sagte er, ›kennen auch so ihre Sache.‹ Man weiß ja: die Gewalt eines solchen Herrn. Wenn sie zu tanzen anfingen, so tanzten sie bis zum Morgengrauen, und meistens Ecossaise-Matradure . . . »He, he! Da hab’ ich dich, Bruder!« Der Alte zog aus dem Wasser einen kleinen Barsch. »Nimm ihn, Stjopa. – Er war ein Herr, ein wirklicher Herr«, fuhr er fort, die Angel von neuem auswerfend, »und hatte auch ein gutes Herz. Manchmal verprügelte er einen, aber eh man sich’s versah, hatte man’s schon vergessen. Nur eins ist zu tadeln: Er hielt sich Mätressen. Ach, diese Mätressen, Gott verzeih’ mir! Die haben ihn auch zugrunde gerichtet. Meistens wählte er sie sich aus dem niederen Stande. Man müßte meinen, die sollten zufrieden sein. Aber nein, sie verlangten just das Teuerste, was es in Europien gibt! Andererseits: Warum soll er sein Leben nicht genießen? Ist doch ein Herr . . . aber er hätte sich doch nicht ruinieren sollen. Besonders eine, Akulina hieß sie; jetzt ist sie tot, Gott hab’ sie selig! War ein einfaches Mädel, die Tochter eines Zehntmannes von Sitowo – war die böse! Den Grafen ohrfeigte sie sogar. Sie hatte ihn ganz behext. Einen Neffen von mir steckte sie unter die Soldaten, weil er Schokolade auf ihr neues Kleid ausschüttete . . . und nicht