ev
Die Uhr Erzählung eines alten Mannes
Indem ich diese kleine Erzählung veröffentliche und mir bekannt ist, daß im Publicum Gerüchte über ein größeres Werk, an dem ich arbeite, im Umlaufe sind, fühle ich mich gedrungen, an die Nachsicht desselben zu appelliren. Der von mir beabsichtigte Roman ist immer noch nicht beendigt, ich hoffe, daß er im Laufe dieses Jahres erscheinen wird. Mögen die Leser mir nicht zürnen um des vorliegenden captatio benevolentiae, und mögen sie in Erwartung des Kommenden, meine Erzählung nicht als strenge Richter, sondern als alte Bekannte – ich wage nicht zu sagen: Freunde, lesen.
I
Ich will Euch die Geschichte meiner Uhr erzählen. . .
Eine curiose Geschichte!
Sie spielt ganz im Anfange dieses Jahrhunderts, im Jahre 1801. Ich war so eben in mein sechzehntes Jahr eingetreten. Ich lebte in Rjäsan, in einem hölzernen Häuschen, nicht weit vom Ufer der Oka – mit meinem Vater, meiner Tante und meinem Vetter. Von meiner Mutter habe ich keine Erinnerung: sie starb ungefähr drei Jahre nach ihrer Verheiratung; mein Vater hatte außer mir keine Kinder. Er war ein friedfertigen unansehnlicher, kränklicher Mann. Er beschäftigte sich mit Proceßsachen und anderen Geschäften. In früheren Zeiten nannte man solche Leute Gerichtsschreiber, Rechtsverdreher, Nesselsaat; er selbst nannte sich einen Advocaten. Unser Hauswesen wurde von seiner Schwester, meiner Tante – einem alten, fünfzigjährigen Fräulein geführt; auch mein Vater war schon über die Vierzig hinaus. Sie war eine große Betschwester – gerade heraus gesagt: eine Scheinheilige, eine Schwätzerin, die ihre Nase überall hineinsteckte; und auch ihr Herz war nicht das Herz meines Vaters – es war nicht gut. Wir lebten – nicht gerade ärmlich, aber mit Berechnung. Mein Vater hatte noch einen Bruder, namens Jegor; der aber war für irgend welche »aufrührerisch« sein sollende «Handlungen« und seiner »jacobinischen Denkungsart« wegen (so stand es in dem Ukas) schon im Jahre 1797 nach Sibirien geschickt worden.
Jegor’s Sohn David, mein Vetter, blieb unter der Fürsorge meines Vaters zurück und lebte bei uns. Er war nur ein Jahr älter als ich; aber ich beugte mich vor ihm und gehorchte ihm, als wenn er ganz erwachsen wäre. Er war kein dummer Junge, hatte Charakter und war breitschultrig und fest gebaut; sein Gesicht war viereckig und ganz voll Sommersprossen, die Haare roth, die Augen grau und klein, die Lippen breit, die Nase kurz, die Finger gleichfalls kurz, – was man so nennt: ein Starker – eine Kraft über seine Jahre hinaus! Die Tante konnte ihn nicht leiden; mein Vater aber fürchtete sich einigermaßen vor ihm . . . vielleicht fühlte er sich ihm gegenüber auch schuldig. Es ging das Gerücht, daß David’s Vater nicht nach Sibirien geschickt worden wäre, wenn mein Vater nicht geschwätzt und den Bruder verrathen hätte! Wir lernten zusammen im Gymnasium, in derselben Classe und Beide ziemlich gut, ich sogar noch etwas besser als David . . . mein Gedächtniß war schärfer; aber Knaben – das ist eine bekannte Sache – legen auf diesen Vorzug kein Gewicht und sind nicht stolz darauf; David blieb demnach mein Führer.
II
Ich heiße, wie Sie wissen, Alexej. Ich wurde am 7. März geboren und feierte am 17. meinen Namenstag. Man gab mir nach einer althergebrachten Sitte den Namen einer jener Heiligen, deren Fest auf den 10. Tag nach meiner Geburt fiel. Mein Taufvater war ein gewisser Anastasius Anastasievitsch Putschkoff, – eigentlich Nastasei Nastaseitsch – Niemand nannte ihn anders als so.
Er war ein schrecklicher Ränkeschmieder und Rabulist, nahm unerlaubte Sporteln – er war ein ganz schlechter Mensch. Er war aus der Kanzlei des Gouverneurs fortgejagt worden und mehr als einmal vor Gericht gewesen; meinem Vater war er jedoch nothwendig . . . sie machten mit einander »Geschäfte.« Sein Aeußeres war rund und gedunsen; er hatte ein Gesicht wie ein Fuchs und eine Nase wie ein Pfriemen; die Augen waren hell und braun, ebenfalls wie bei einem Fuchse; und er bewegte diese Augen immer nach rechts und nach links, und auch die Nase, als schnuppere er in der Luft herum. Er trug Schuhe ohne Absätze und puderte sich täglich, was damals in der Provinz als große Seltenheit galt. Er behauptete, daß er nicht ohne Puder sein könne, weil er mit Generalen und Generalinnen umgehe.
Und siehe, mein Namenstag war herangekommen! Da tritt Nastasei Nastaseitsch zu uns in’s Haus und spricht: »Ich habe Dir, mein Taufsöhnchen, bis jetzt noch nie etwas geschenkt; sieh, was ich Dir dafür heute für ein Ding gebracht habe!«
Und er zog eine silberne, zwiebelförmige Uhr mit einer gemalten Rose auf dem Zifferblatte und einer bronzenen Kette aus der Tasche!
Ich war ganz starr vor Entzücken, – und die Tante, Pelageia Petrowna, schrie aus vollem Halse; – Küsse die Hand, küsse die Hand, Du Räudiger!«
Ich begann meinem Taufvater die Hand zu küssen und meine Tante hielt ihm vor:
»Ach, Herr Gott! Nastasei Nastaseitsch, warum verwöhnen Sie ihn so! Wie soll er mit einer Uhr umzugehen verstehen? Er wird sie ganz gewiß fallen lassen, zerschlagen oder zerbrechen!«
Mein Vater trat herein, sah die Uhr, dankte Nastaseitsch ziemlich nachlässig, und rief ihn zu sich in’s Cabinet. Ich hörte wie mein Vater gleichsam vor sich hin sprach:
»Wenn Du, Bruder, Dich damit abzufinden denkst . . .«
Aber ich hielt es nicht länger auf dem Platze aus, hing die Uhr um und stürzte Hals über Kopf davon, um David mein Geschenk zu zeigen.
III
David nahm die Uhr, öffnete sie und betrachtete sie aufmerksam. Er hatte große Anlage zur Mechanik; er liebte es sich mit Eisen, Kupfer und allerlei Metallen zu schaffen zu machen; er hatte sich verschiedene Instrumente angeschafft, und eine Schraube, einen Schlüssel oder sonst dergleichen zu bessern oder gar neu zu machen, war ihm eine Kleinigkeit.
David drehte sie in den Händen hin und her und murmelte zwischen den Zähnen (er war überhaupt nicht gesprächig):
»Alt . . . schlecht . . . – Woher?« fügte er hinzu. Ich sagte ihm, daß mein Taufvater sie mir geschenkt.
David schlug seine grauen Äuglein zu mir auf:
»Nastasei?«
»Ja; Nastasei Nastaseitsch.«
David legte die Uhr auf den Tisch und ging schweigend davon.
»Die gefällt Dir nicht?« fragte ich.
»Nein, das nicht . . . Aber, ich hätte an Deiner Stelle von Nastasei kein Geschenk angenommen.«
»Weshalb das?«
»Weil er ein elender Mensch ist und man sich einem elenden Menschen nicht verpflichtet fühlen sollte. Da soll man ihm noch danken Du hast ihm wohl gar die Hand geküßt?«
»Ja; die Tante hieß es mich thun.«
David lächelte eigenthümlich, durch die Nase. Das war so seine Gewohnheit! Er lachte niemals laut! das hielt er für ein Zeichen von Kleinmuth.
David’s Worte, sein stummes Lächeln betrübten mich tief. Er tadelt mich wohl innerlich, dachte ich! Ich bin wohl auch ein Elender in seinen Augen! Er selbst hätte sich nie so weit erniedrigt, er hätte nie eine Gabe von Nastasei angenommen! Aber was bleibt mir jetzt zu thun übrig? Die Uhr zurückgeben? Unmöglich!
Ich machte einen Versuch David zu sprechen, ihn um seinen Rath zu fragen. Er antwortete mir, daß er Niemand einen Rath gäbe, ich möge handeln wie ich wolle. – Wie ich wolle?! Ich erinnere mich, daß ich die ganze Nacht darauf nicht schlief: Bedenken quälten mich. Es that mir leid, mich von der Uhr zu trennen; ich hatte sie auf das Nachttischchen neben meinem Bette gethan; sie tickte so angenehm und lustig . . . aber ich fühlte, daß David mich verachtete . . . (Ja; ich konnte mich nicht darüber täuschen, er verachtete mich!) . . . Das schien mir ganz unerträglich! Gegen Morgen reifte ein Entschluß in mir . . . Es gab freilich Thränen – dafür schlief ich aber ein und, sobald ich erwachte, kleidete ich mich schnell an und lief auf die Straße hinaus. Ich hatte mich entschlossen, meine Uhr dem ersten besten Armen zu geben, dem ich begegnen würde.
IV
Ich war noch nicht weit von unserem Hause weggelaufen, als ich auch schon auf das stieß, was ich suchte. Es kam mir ein etwa 13jähriger barfüßiger, zerlumpter Knabe entgegen, der sich oft vor unseren Fenstern umhertrieb, Ich sprang sogleich zu ihm heran und, ohne ihm oder mir Zeit zum