Tages hatte ich die Uhr unter der Diele unseres Zimmers hervorgeholt und wollte die silberne Rückseite derselben mit meinem alten semisch-ledernen Handschuh abreiben. David war in die Stadt, ich weiß nicht wohin gegangen; ich erwartete durchaus nicht, daß er bald zurückkehren würde . . . da trat er plötzlich zur Thüre hinein. Ich war so bestürzt, daß ich die Uhr beinahe hätte fallen lassen; ganz verwirrt und mit schmerzhaft geröthetem Gesichte fuhr ich mit der Uhr an der Weste umher – ich konnte die Tasche gar nicht finden.
David sah mich an und lächelte seiner Gewohnheit nach schweigend.
»Was ist Dir,« sprach er endlich. – »Du denkst, ich wußte nicht, daß die Uhr wieder bei Dir ist? Ich habe sie am ersten Tage, wo Du sie brachtest, gesehen.«
»Ich versichere Dich,« begann ich fast mit Thränen.
David zuckte die Achseln.
»Die Uhr ist Dein; Du kannst ja mit ihr thun, was Du willst.«
Nachdem er diese harten Worte gesprochen, ging er hinaus.
Verzweiflung erfaßte mich. Diesmal war schon kein Zweifel mehr; David verachtete mich wirklich.
Das konnte nicht so bleiben.
»Ich will es ihm beweisen,« dachte ich, die Zähne zusammenpressend. Ich begab mich sofort festen Schrittes in’s Vorzimmer, suchte unsern kleinen «Kosaken Juschka auf und schenkte ihm die Uhr! Juschka wollte sie zuerst nicht nehmen, aber ich erklärte ihm, wenn er sie nicht von mir annähme, würde ich sie den Augenblick zerdrücken, mit den Füßen zerstampfen in tausend Stücke zerbrechen und in die Kehrichtgrube werfen! Er bedachte sich, kicherte und nahm die Uhr. Ich kehrte in unser Zimmer zurück, und als ich David in einem Buche lesend fand, theilte ich ihm meine Handlung mit.
Ohne die Augen von der Seite abzuheben, auf welcher er las, sagte David, wieder mit den Achseln guckend und vor sich hin lächelnd, daß die Uhr ja mir gehöre und ich mit ihr schalten und walten könne, wie ich wolle.
Aber es schien mir doch, daß er mich schon etwas weniger verachtete.
Ich war vollkommen überzeugt, daß ich mich nie mehr einem neuen Vorwurfe der Charakterlosigkeit aussetzen würde, denn die Uhr, dieses Geschenk meines garstigen Taufvaters war mir plötzlich so widerwärtig geworden, daß sich durchaus nicht im Stande war, zu begreifen, wie ich die Uhr bedauern, wie ich sie irgend einem Trofimitsch abdringen konnte, der überdies noch im Rechte war zu denken, daß er sehr großmüthig an mir gehandelt habe.
Es vergingen einige Tage . . . Ich erinnere mich dessen, wie an einem derselben auch in unsere Stadt die große Nachricht drang: Der Kaiser Paul sei verschieden und sein Sohn Alexander, dessen Seelengröße und Menschenliebe so bekannt waren, habe den Thron bestiegen. Diese Nachricht regte David schrecklich auf; es stellte sich ihm sogleich die Möglichkeit eines Wiedersehens, eines nahen Wiedersehens mit seinem Vater dar. Auch mein Vater freute sich.
»Jetzt werden alle Verbannten ans Sibirien zurückberufen werden und auch Bruder Jegor wird wohl nicht vergessen werden,« wiederholte er, sich die Hände reibend, hüstelnd und dennoch etwas verzagt.
David und ich, wir gaben das Arbeiten und den Besuch des Gymnasiums sogleich auf; wir gingen nicht einmal spazieren, wir saßen nur immer in irgend einem Winkel und berechneten und erwogen, in wie vielen Monaten, Wochen und Tagen »Bruder Jegor« zurückkehren müsse, wohin man ihm schreiben, wohin ihm entgegengehen könne, und auf welche Weise wir dann unser Leben einrichten wollten? »Bruder Jegor« war Architekt; wir beschlossen mit David, daß er nach Moskau übersiedeln und dort große Schulen für arme Leute aufbauen müsse, wo dann wir seine Gehilfen sein wollten. Die Uhr hatten wir darüber natürlich ganz vergessen, zudem stellten sich für David neue Sorgen ein . . . davon jedoch später; der Uhr aber war es bestimmt, sich noch in Erinnerung zu bringen.
VII
Eines Morgens, wir hatten soeben erst gefrühstückt – ich saß allein am Fenster und dachte an die Rückkehr des Onkels – das April-Thauwetter dampfte und glitzerte auf dem Hofe – als plötzlich Pulcheria Petrowna in’s Zimmer hinein gelaufen kam. Sie war immer sehr flink und unruhig, sprach mit einem kreischenden Stimmchen und fuhr dabei mit den Händen in der Luft umher; diesmal aber stürzte sie förmlich auf mich los.
»Geh! geh’ sogleich zu Deinem Vater, mein Herr!« schmetterte sie. »Was hast Du da für Streiche angegeben, Du Unverschämter! Ihr sollt aber auch Beide dafür bekommen! Nastasei Nastaseitsch hat alle Eure Streiche an’s Tageslicht gebracht! . . . Geh! der Vater ruft Dich . . . gehe den Augenblick!«
Noch immer Nichts begreifend, folgte ich meiner Taute; – als ich über die Schwelle des Gastzimmers trat, gewahrte ich meinen Vater, der mit großen Schritten und zerzaustem Haare auf- und niederging; Juschka stand in Thränen an der Thüre und in einem Winkel auf dem Stuhle saß mein Taufvater, Nastasei Nastaseitsch mit dem Ausdruck einer ganz besonderen Schadenfreude in den aufgeblasenen Nasenlöchern und den brennenden, schielenden Aeuglein.
Sobald ich hereintrat, flog mein Vater auf mich zu.
»Du hast Deine Uhr Juschka geschenkt? rede?
Ich warf einen Blick auf Juschka . . .
»So rede doch,« wiederholte mein Vater, mit den Füßen stampfend.
»Ja,« erwiderte ich und erhielt sogleich eine weit ausgeholte Ohrfeige, die meiner Tante große Freude machte. Ich hörte, wie sie krächzte, als hätte sie einen Schluck heißen Thee genommen.
Mein Vater lief von mir zu Juschka hinüber.
»Und Du, Niederträchtiger! hättest Dich nicht erdreisten dürfen, das Geschenk der Uhr anzunehmen,« sprach er, ihn an den Haaren herumziehend. – Und Du Schurke, hast sie noch dem Uhrmacher verkauft!«
In der Einfalt seines Herzens hatte Juschka in der That, wie ich in der Folge erfuhr, die Uhr zu dem benachbarten Uhrmacher getragen. Der Uhrmacher hatte sie in’s Schaufenster gehängt ; Nastasei Nastaseitsch hatte sie im Vorübergehen dort gesehen, sie aber rückgekauft und zu uns in’s Haus gebracht.
Mein und Juschka’s Verhör dauerte indessen nicht lange; mein Vater war athemlos, fing an zu husten und das Zürnen war überhaupt nicht seine Art.
»Bruder, Porphyri Petrowitsch,« sagte meine Taute, sobald sie, gewiß nicht ohne Bedauern bemerkte, daß meines Vaters Zorn sich besänftigte; »regen Sie sich doch nicht mehr auf; es ist nicht der Mühe werth, daß Sie sich die Hände damit besudeln. Ich aber schlage Folgendes vor: mit der Zustimmung des geachteten Nastasei Nastaseitsch und in Anlaß der großen Undankbarkeit Ihres Sohnes werde ich diese Uhr zu mir nehmen; da er aber durch seine Handlung bewiesen hat, daß er unwürdig ist, dieselbe zu tragen und deren Werth nicht begreift, so werde ich sie in Ihrem Namen einem Menschen schenken, der Ihr Wohlwollen tief empfinden wird.«
»Wer ist das?« fragte mein Vater.
»Chrysanth Lukitsch,« erwiderte meine Tante etwas zaghaft.
»Dem Chrysaschka ?«« fragte mein Vater noch einmal, holte dann mit der Hand aus und fügte hinzu: »meinetwegen; und wenn Ihr sie in den Ofen werft!«
»Und Sie, Verehrter, sind Sie damit einverstanden?« wandte sich meine Taufe an Nastasei Nastaseitsch.
»Mit der vollkommensten Bereitwilligkeit,« erwiderte jener. – Während des ganzen »Verhörs« hatte er sich nicht von seinem Stuhle gerührt und hatte nur leise geschnauft, sich leise die Fingerspitzen gerieben und seine Augen abwechselnd auf mich, auf den Vater und auf Juschka gerichtet. Wir hatten ihm ein wahrhaftes Vergnügen bereitet.
Der Vorschlag meiner Taute hatte mich in tiefster Seele empört. Nicht, daß die Uhr mir Leid gethan hätte, aber der Mensch, dem sie dieselbe zu schenken beabsichtigte, war mir allzusehr verhaßt. Dieser Chrysanth Lukitsch dessen Familienname Tranquillilatin hieß, war ein gesunder, vierschrötiger, langgestreckter Seminarist, der, weiß der Teufel weshalb, sich gewöhnt hatte, zu uns ins Haus zu kommen! »Um sich mit den Kindern zu beschäftigen,« versicherte die Taute; mit uns konnte er sich indessen schon deshalb nicht beschäftigen, weil er selbst nichts gelernt hatte, und dumm war wie ein Pferd.
Er erinnerte überhaupt an ein Pferd: er stampfte mit den Füßen wie mit Hufen, lachte nicht,