Klabund

Kreidekreis


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schwirren. Tausend Wespen werden seine Augen stechen, daß er erblindet.

      TONG: Die Dämonen des Südens mögen mich vor den Anschlägen der Dämonen des Nordens bewahren.

      (Leise Musik ertönt wieder.)

      HAITANG: Wer ist die Ursache dieser schönen Musik? Es klingt, als spiele die Göttin des Morgenrotes Harfe, und als gäbe ein Hirte mit seiner Flöte ihr Antwort: Meine Trauer beginnt in diesen Tönen zu schweben wie ein Schmetterling in der Luft.

      TONG: Es sind die Bewohnerinnen dieses Hauses, die Töchter der Freude, die diese einfachen, aber edlen Melodien auf ihren Instrumenten hervorlocken wie Grillen aus ihren Löchern.

      FRAU TSCHANG: Darum kam ich her, hochwohlgeborener Herr Tong, Sie zu bitten, meine Tochter Haitang als Tochter der Freude in Ihr achtbares und geachtetes Haus aufzunehmen.

      TONG: Ich bin auf das höchste überrascht und bitte Sie, mich fassen zu dürfen, ehe ich zu einem Entschluß komme.

      HAITANG: Ich habe mancherlei Fähigkeiten, ich weiß, sie sind noch gering; aber sie werden unter Ihrer Leitung wachsen, reifen und Früchte tragen.

      FRAU TSCHANG: Herr Tong, wir sind völlig ruiniert. Wovon sollen wir leben? Wir müßten verhungern. Ich bin gezwungen, meine Tochter zu verkaufen. Auf ihre Schönheit brauche ich Sie nicht besonders hinzuweisen. Sie sind ein Frauenkenner, Herr Tong.

      TONG: Sie schmeicheln und übertreiben, Frau Tschang.

      FRAU TSCHANG: Ich muß meine kluge, schöne und sittsame Tochter verkaufen, Herr Tong. Und wem sollte ich sie wohl lieber anvertrauen als Ihnen, der ungeachtet seines oft angezweifelten Berufes in der Stadt im besten Leumund steht?

      TONG: Ich fühle mich geehrt, daß Sie zuerst an mich denken, Frau Tschang. In der Tat ist mir die außerordentliche Schönheit Ihrer Fräulein Tochter nicht entgangen. Bei der Frühlingsfeier oder beim Laternenfest pflegen sich alle jungen Männer nach ihr umzudrehen, und niemand ist, dem ihr Anblick nicht einen wollüstig schmerzhaften Pfeil ins Herz jage.

      HAITANG: Ich spiele die Laute, die Flöte und das Instrument Kin. Das Schachspiel ist mir nicht fremd, und ich habe die Kalligraphie studiert. Ich vermag die zierlichsten Glückwunschkarten zum Neujahr und zum Geburtstag zu malen. Ich tanze und singe. Soll ich Ihnen vortanzen?

      FRAU TSCHANG: Tanze, mein Kind, damit Herr Tong deine Talente schätzen lernt.

      (Haitang tanzt nach der Musik, die wieder auftönt, ein Paar Takte und bricht zusammen. Sie bleibt am Boden liegen.)

      TONG: Vortrefflich, ausgezeichnet, eine seltene Begabung, ein fast dramatisches Talent. Was ist der Preis, den Sie für das Fräulein fordern?

      FRAU TSCHANG: Hundert Taels in Gold.

      TONG: Hm, hm, das ist eine immerhin bedeutende Summe, auch für ein so wohlsituiertes Unternehmen wie das meinige, verehrte Frau Tschang. Das Fräulein ist schön, daran ist kein Zweifel, aber wenn meine alten Augen mich nicht täuschen, so hat sie im Nacken einen kleinen, störenden Leberfleck. junge, verliebte Herren pflegen auf einen untadeligen Nacken viel Wert zu legen.

      FRAU TSCHANG: Neunzig Taels.

      TONG: Sie ist zwar klug und wohlgebildet, versteht zu tanzen, aber ihr Tanz war mir zu melancholisch es fehlt die leicht schwebende Lustigkeit, die die Männer fortreißt.

      FRAU TSCHANG: Sie ist noch unberührt, Herr Tong.

      TONG: Noch unberührt? Nun, sagen wir achtzig Taels. Soll der Handel gelten?

      FRAU TSCHANG: Er gilt.

      TONG (abgehend):

      Ich werde mir gestatten, Ihnen sofort die Summe auszuzahlen.

      TSCHANG LING (stürzt herein):

      Ich habe dich, Schwester, gesucht von Straße zu Straße. Abgefallene Blütenblätter einer weißen Chrysantheme haben mir den Weg gewiesen. Hier muß ich die Blüte völlig entblättert finden.

      HAITANG: Die Blüte, die ich im Gürtel trage, hat noch kein Blütenblatt verloren.

      TSCHAN LING: Ehe die Nacht um ist, wird sie welk sein.

      HAITANG: Meine Pflicht als Tochter gebietet mir, für meine Mutter zu sorgen.

      TSCHANG LING: Unsere Ahnen zurück bis ins siebente Glied sind durch literarische Erfolge bis zu den höchsten Ämtern emporgestiegen.

      HAITANG: Ach, bis zu dem Amt eines Gemüsegärtners und Seidenraupenzüchters. Aber dieser Gemüsegärtner war gebildeter und ein besserer Mensch als alle Gelehrten und Literaten und Mandarine erster Klasse.

      TSCHANG LING: Wie kann dein mütterliches Herz, Mutter, damit einverstanden sein, daß deine Tochter den entwürdigenden Beruf eines Teehausmädchens ergreift? Ist sie nicht auch meine Schwester, der ich doch gedenke, den Doktorgrad zu erwerben?

      FRAU TSCHANG: Warum sorgst du, ein Mann, so wenig für deine Mutter und deine Schwester und trägst nicht einen Kesch zu unserm Lebensunterhalt bei?

      HAITANG: Hast du das Buch der Sitten und Gebräuche, das Liki, vergessen? Hast du nicht in der Schule auswendig gelernt: Die Pflicht des Sohnes ist es, dafür Sorge zu tragen, daß Winters und Sommers die Eltern sich jeder Bequemlichkeit des Lebens erfreuen? jeden Abend soll der Sohn selbst das Lager betten, auf dem sie ruhen, jeden Morgen beim ersten Hahnenschrei sich auf das liebevollste nach ihrem Befinden erkundigen. Er soll sie oftmals im Laufe des Tages fragen, ob sie Kälte leiden, ob die Hitze sie quäle . . .

      FRAU TSCHANG: Es ist die Pflicht des Sohnes, die Mutter zu stützen und ihr Schirm und Schutz zu sein. Es ist seine Pflicht, die zu lieben, die von ihr geliebt, die zu ehren, die von ihr geehrt werden.

      HAITANG: Sohn und Tochter sollen selbst die Hunde, Vögel und Pferde lieben, die ihre Eltern lieben.

      FRAU TSCHANG: Solange die Mutter lebt, soll ohne ihre Einwilligung der Sohn sich nicht aus dem Hause entfernen.

      TSCHANG LING: Ich lächle und lache eurer Predigt. Ihr kennt die kleinen Pflichten des Sohnes und habt sie auswendig gelernt, wie Papageien die Stimme ihres Herrn. Aber es gibt noch größere Pflichten, die ein Sohn zu erfüllen hat. Sagt nicht das Buch Haiking: Der höchste Grad der kindlichen Liebe besteht darin, nach hohen Würden zu trachten und mit dem Ruhm seines Namens die kommenden Jahrhunderte zu erschüttern, wie der Sturm die Bäume erschüttert?

      FRAU TSCHANG: Strebst du vielleicht in den Schenken und Garküchen, in denen du herumlungerst, nach hohen Würden? Verluderst du nicht die paar Kesch, die du dir durch Abschreiben verdienst? Bringst du sie nicht in niedern Teehäusern unter die Mädchen? Du verkehrst mit Teehausmädchen und wagst, wenn deine Schwester den gleichen Beruf ergreift, Schmutz auf sie zu werfen?

      HAITANG: Bruder, ich will versuchen, auch für deinen Lebensunterhalt mitzusorgen. Das Haus des Herrn Tong ist ein angesehenes Haus. Es beherbergt stets wohlhabende und wohlmeinende Gäste.

      TSCHANG LING: Verworfenes Geschöpf! Willst du mich zu deinem Mitschuldigen machen?

      (Er schlägt sie ins Gesicht.)

      FRAU TSCHANG: Hättest du mich geschlagen ! Da ich euch gebar, bin ich an allem Unheil schuld. Hätte ich euch nie geboren, und wären doch meine Ahnen nie auf die Erde herniedergestiegen!

      TSCHANG LING: Macht den schimpflichen Handel rückgängig!

      HAITANG: Der Handel ist ehrlich abgeschlossen und ein ehrlich gegebenes Wort muß ehrlich gehalten werden. Die Wahrheit hat kein doppeltes Gesicht.

      FRAU TSCHANG: Dort kommt Herr Tong mit dem Geld.

      TSCHANG LING: Ich hasse euch. Mein Name wird durch alle Gassen der Stadt gezogen werden. Ich werde durchs Examen fallen und nie ein staatliches Amt bekleiden können.

      HAITANG: Ein Vogel bleibt ein Vogel, auch wenn man ihm die Flügel beschneidet.

      TONG: Hier ist das Geld, gnädige Frau.

      (Zählt es auf; Frau Tschang will das Geld einstecken, da fährt Tschang ling dazwischen.)

      TSCHANG LING: Achtzig Taels? Zehn für mich. Ihr seid mich los! Ich will in diesem Fall versuchen, auch meine moralischen Anschauungen