Klabund

Kreidekreis


Скачать книгу

Bruder! Gib ihm fünfzehn Taels, Mutter. Der heilige Geist meines Vaters wird mich nicht verlassen.

      (Tschang ling streicht zwanzig Taels katzenhaft ein und verschwindet.)

      TONG: Ein etwas sonderbarer Herr, Ihr Herr Bruder! Er war so unhöflich, sich mir nicht einmal vorzustellen. Aber erlauben Sie mir, Ihnen den goldenen Käfig zu zeigen, in dem Sie singen und Ihr schönes Gefieder spreizen sollen. Bitte, hier.

      (Er zieht den Vorhang zu dem vierten leeren Käfig. Umarmung von Mutter und Tochter. Tong geleitet die Mutter hinaus. Haitang im Käfig singt.)

      HAITANG:

      Am Ufer hinter Weiden steht das Haus,

      Ein zartes Mädchen sieht zur Tür hinaus.

      An der Voliere steht der Mandarin,

      Ein zarter Vogel singt und hüpft darin.

      Verschließ den Käfig! Hüte gut das Haus!

      Sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus!

      (Pao, ein junger Prinz, betritt den Raum. Tong vor ihm her in vielen rückwärtigen Bücklingen verschwindet in der Kulisse.)

      PAO:

      Ich bin ein Abenteurer,

      Ein Trunkener dieser Welt,

      Ein müder Tat Befeurer,

      Ein träumerischer Held.

      Ich schwinge tausend Schwerter,

      Die ich dem Feinde bot,

      Wie dennoch unbewehrter

      Mein Herz der Liebe loht.

      Ob ich den Kampf ersehne,

      Die Schwerter senk ich schwer,

      Bricht eine Kantilene

      Singend über mich her.

      Ich bin der kaiserliche Prinz Pao. Einer von den vielen kaiserlichen Prinzen. Es gibt deren so viele wie Regentropfen an einem Apriltage. Die Kaiserwahl ist eine Art Staatslotterie. Das Los entscheidet unter den Prinzen, wer als Sohn des Himmels den Drachenthron besteigen soll. Ich bin dem Ruf einer Nachtigall gefolgt. Sie sang so lockend, wie eine Nachtigall in Freiheit nicht singt. Nur gefangene und geblendete Nachtigallen singen so bezaubernd. Wo ist der Vogel, daß ich ihn fange und sein kleines Vogelherz ängstlich in meinen Händen pochen fühle?

      (Entdeckt Haitang.)

      Ich hörte eine Nachtigall, folgte ihrem Ruf und finde statt eines Vogels eine Blume. Ihr Duft verwirrt mich, sie trägt das weiße Gewand der Trauer und hält den Kelch geschlossen. Darf ich versuchen, Sie ein wenig zu erheitern und die Blüte zu öffnen?

      HAITANG: Sind Sie die Sonne? Nur der Sonne neigen die Blumen sich zu.

      PAO: O weit gefehlt, daß ich eine Sonne, wäre. Ich bin nicht einmal ein Stern, aber vielleicht das Kind eines Sternes und, als die Sternenmutter mich säugte, aus der Milchstraße gefallen .

      HAITANG: Vielleicht sind Sie nur eine Sternschnuppe. Sie glänzen auf, ziehen Ihre schmale goldene Bahn, ein, zwei, drei Sekunden, und erlöschen im Dunkeln wie ein Lampion, der beim Frühlingsfest ins Wasser fällt.

      PAO: Ein Erlöschen mit Ihnen im Dunkel, im Tode, würde ich einem einsamen Leben in Glanz und Helligkeit vorziehen.

      HAITANG: Diese bilderreichen Komplimente pflegen die jungen Herren in den Anstandsstunden von ihrem Hofmeister und Literaten zu lernen. Sie kommen von den Lippen und berühren nur leise das Ohr.

      PAO: Nun, machen Sie dieses wahr. Lassen Sie meine Lippen Ihr Ohr berühren. Ich will Ihnen etwas zuhauchen, was man mit Worten nicht sagen kann.

      HAITANG: Aus einem Hauch wird leicht ein Wind, und aus einem Wind ein Sturm. Denken Sie einmal nach, ob Sie nicht aussprechen können, was Sie dachten.

      PAO: Ich dachte nichts. Ich fühlte alles.

      HAITANG: Ein Gefühl ist ein Nachtschmetterling. Wie wollen Sie ihn bei Tage fangen?

      PAO: Schwingen Sie den Käscher, schöne Freundin!

      HAITANG: Ich bin kein Gelehrter, kein Zoologe und fange keine Schmetterlinge, sie aufzuspießen. Ich lasse sie in Licht und Luft leben und schweben, wie es ihnen paßt.

      PAO: Sie führen die Sprache einer Dame von erlesener Erziehung.

      HAITANG: Ich habe sehr wenig gelesen.

      PAO: In Büchern, aber mein Inneres liegt aufgeschlagen vor Ihnen, wie vor dem Philosophen das Taoteking. Wie lange weilen Sie schon in diesem Hause? War der feiste Bruder, der mir die Tür öffnete, Ihr Erzieher?

      HAITANG: Mein Vater erzog mich. Er trug einen einfachen, braunen Kittel, aber jedermann verneigte sich vor ihm.

      PAO: Darf ich ihm meine Aufwartung machen?

      HAITANG: Er ist tot.

      PAO: Gestatten Sie, daß ich sein Andenken ehre, indem ich die Erde dreimal mit der Stirn berühre.

      HAITANG: Wer sind Sie, daß Sie einem Mann niederen Standes Achtung bezeigen?

      PAO: Ich bin ein junger Mann, sonst nichts. Vielleicht nur dazu nütze, gut zu essen, lange zu schlafen, meinen Schneider zu besuchen und Schach zu spielen.

      HAITANG: Wollen Sie eine Partie Schach spielen? Hier steht ein Schachbrett schon aufgebaut.

      (Sie setzen sich nieder und machen einige Züge.)

      HAITANG. Weiß zieht an, Schwarz zieht nach.

      PAO: Schach der Dame.

      HAITANG: Ich bin keine Dame. Schach dem König.

      PAO: Ich bin kein König. Zug, Gegenzug. These, Antithese. Sie gehen scharf vor, wie ein Feldherr vieler Grade. Ich gebe das Spiel auf, aber nur, um ein besseres Spiel zu beginnen.

      HAITANG: Und welches Spiel?

      PAO: Das Spiel der Liebe.

      HAITANG: Das Spiel der Liebe? Ich wußte nicht, daß die Liebe ein Spiel sei. Als mein Vater sagte: Ich liebe dich, da war seine Stirn gefurcht, sein Auge glänzte, da spielte er nicht mit mir.

      PAO: Die Liebe des Vaters, die Liebe des Mannes: es ist ein Unterschied wie zwischen Blumenliebe und Tierliebe. Blumen lieben einander vielleicht wie Vater und Tochter. Löwen lieben einander wie Mann und Frau.

      HAITANG: Ich bin noch keine Frau, bin nur ein Mädchen. Soll ein Löwe eine Blume lieben? Seien Sie nur eine Vase, in die man eine Blume stellt für einige Stunden. Soll ich Ihnen das Blumenschiff unseres großen lyrischen Meisters Su Tung Po rezitieren?

      Im Meere hinter Brandungsschaum und Riff

      Schwimmt wie ein Kormoran das Blumenschiff.

      Ich bin nicht gegen seinen Duft gefeit.

      Ich heb den Arm. Das Schiff ist allzu weit.

      Mimosen hängen traubengleich am Bug.

      Ein Fächer schlägt den Takt zum Ruderzug.

      Ich werfe eine Blume in das Meer,

      Die treibt nun auf den Wellen hin und her.

      Vielleicht, daß, wenn der Wind sich abends dreht,

      Er meine Blume bis zur Barke weht . . .

      (Einen Augenblick Schweigen.)

      Können Sie mir dies Gedicht kommentieren?

      PAO: Ich wandle am Strand des Meeres. Die Wogen schäumen: Vergänglichkeit . . . Vergänglichkeit . . . Ich denke des blauen Meeres von Ku Ku-Noor, des toten Meeres, wo die Gebeine der Unbestatteten am Strande verwesen. Welches Kind, welcher Enkel soll mir die Ahnengebräuche erweisen, soll mich bestatten, da mir die Mutter meiner künftigen Kinder ihr jungfräuliches Herz verweigert? Wie die Wellen sich am Riff brechen, so bricht mein strömendes Herz am starren Herzen der Geliebten. Wie fern weilt sie mir! Auf den Wogen des Meeres, unerreichbar weit wie der Kormoran, gleitet, in der Silhouette einem Kormoran nicht unähnlich, dort nicht ein Schiff der Freude, des Gesanges und des Tanzes auf Bastschuhen, der leichten Lust und der schweren Liebe, ein Blumenschiff?