Blicke zugeworfen hätte.
Vickers mit einer Verbeugung gegen Frere begleitete seine Frau bis auf’s Deck und ging dann, um seine Tochter zu holen.
Sie war ein zartes Kind von sechs Jahren mit blauen Augen und lichtem Haar. Obgleich sie von ihrem Vater verwöhnt war und von ihrer Mutter verzogen, so hatte ihre natürliche Liebenswürdigkeit sie bisher davor beschützt, unangenehm zu werden und die Wirkung ihrer Erziehung zeigte sich nur in tausend kleinen, launischen Zierlichkeiten, die sie zum Liebling des ganzen Schiffes machten. Die kleine Miß Sylvia satte die Erlaubniß, überall hinzugehen und Alles zu thun. Selbst die Verbrecher wagten kein schlechtes Wort in ihrer Gegenwart.
Das Kind lief zu seinem Vater, schwatzte mit der Geläufigkeit geschmeichelter Selbstgefälligkeit, lief hierhin und dahin, fragte, erfand Antworten, lachte, sang, sprang, guckte in das Compaßhäuschen, befühlte die Taschen des Mannes am Ruder, steckte ihre kleine Hand in die große Tasche des wachthabenden Offiziers und lief selbst aus das Quarterdeck um die Schöße der Schildwache zu zupfen.
Endlich, des Umherlaufens müde, nahm sie einen kleinen, gestreiften Lederball aus ihrer Rocktasche, rief ihrem Vater zu und warf ihm den Ball hin, als er auf dem Hinterdeck stand. Der Vater warf den Ball zurück und das Kind fing ihn auf und war unermüdlich in dem Spiel, wobei sie glückselig lachte und in die Hände klatschte.
Die Gefangenen, deren Zeit in frischer Luft zu Ende ging, verfolgten eifrig mit ihren Blicken diese neue Quelle des Vergnügens. Unschuldiges Lachen und kindisches Plaudern waren ihnen ganz fremd. Einige lächelten und nickten voller Interesse bei den Glücksfällen des Spieles.
Ein junger Bursche konnte sich kaum enthalten, in die Hände zu klatschen. Es war, als ob in der drückenden Hitze ein erfrischender Hauch über das Schiff gezogen war. Mitten in dieser Lustigkeit blickte der wachthabende Offizier nach dem glühendrothen Horizont, fuhr plötzlich zusammen, legte seine Hand über die Augen und blickte gespannt nach Westen. Frere, der Mrs. Vickers Unterhaltung etwas langweilig fand, sah öfter nach seinem Kameraden hin, als ob er irgend eine Unterbrechung erwartete und bemerkte dessen Bewegung.
»Was gibt es, Mr. Best?«
»Ich weiß es nicht genau. Es sieht aus wie eine Rauchwolke.«
Und das Glas aufhebend, blickte er wieder nach dem Horizont. »Lassen Sie mich sehen!« sagte Frere und blickte auch hin.
Am äußersten Horizont, gerade links neben der sinkenden Sonne, ruhte oder schien eine ganz kleine schwarze Wolke zu ruhen. Das rothglühende Gold des Himmels überfluthete Alles und machte eine sichere Aussicht ganz unmöglich.
»Ich kann nichts ausfindig machen,« sagte Frere und gab das Teleskop zurück. »Wenn die Sonne unter ist, können wir genau sehen, was es ist.«
Dann mußte Mrs. Vickers natürlich auch durchsehen und war sehr bedenklich wegen des Focus und sah endlich mit vielem Kichern durch das Glas, hielt ein Auge zu und konnte doch schließlich »nichts als Himmel« sehen, so daß sie glaubte, dieser böse Mr. Frere »thäte es mit Absicht.«
Nun kam auch Kapitän Blunt herbei, nahm das Glas von dem Offizier und sah lange und sorgfältig hindurch. Dann wurde der Mann auf dem Mast angerufen, aber er erklärte, er könne nichts sehen. Endlich ging die Sonne mit einem plötzlichen Sprung unter, als ob sie durch einen Riß in das Meer versunken sei und der schwarze Fleck verschwand in dem aufziehenden Dunst und war nicht mehr zu sehen.
Als die Sonne gesunken war, kam die Ablösung durch die Hinterdeckluken herauf und die abgelöste Wache schickte sich an, die Gefangenen hinab zu begleiten.
In diesem Augenblicke vermißte Sylvia ihren Ball, welcher bei einem plötzlichen Schwanken des Schiffes über die Barrikade gesprungen war. Hier rollte er vor die Füße von Rufus Dawes, der noch, in Gedanken versunken, seitwärts stand. Der helle bunte Ball, wie er über das weiße Deck rollte, fesselte seinen Blick und sich fast mechanisch bückend nahm er ihn auf und trat vor, um ihn zurück zu geben. Die Thür der Barrikade stand offen und die Schildwache, ein junger Soldat, der nach der Ablösung hinblickte, bemerkte nicht, wie der Gefangene hindurchschritt. Im nächsten Augenblick stand dieser auf dem geheiligten Quarterdeck.
Erhitzt vom Spiel, mit glühenden Wangen und blitzenden Augen, ihr goldenes Haar lang herabflatternd, wandte sich Sylvia, um ihrem Schatze nachzueilen, als aus dem Schatten der Kajütsthür ein runder weißer Arm und eine feine Hand auftauchte und das Kind am Gürtel zurückzog.
Im nächsten Augenblick legte der junge Mann in der grauen Kleidung den Ball in Sylvia’s Hand.
Maurice Frere, der gerade die Hinterdeckleiter hinabstieg, hatte dies nicht gesehen, bemerkte aber, als er auf das Deck trat, die ihm unerklärliche Gegenwart des Gefangenen.
»Danke,« sagte eine Stimme, als Rufus Dawes vor der kleinen schmollenden Sylvia stand.
Der Gefangene hob seinen Blick und sah ein junges Mädchen von achtzehn bis neunzehn Jahren, groß, wohlgebildet, die in ein Kleid von weißem Stoffe, mit großen, offenen Aermeln gekleidet, vor ihm stand. Sie hatte schwarzes Haar, das um ihren kleinen Kopf geschlungen war , einen kleinen Fuß, weiße Haut, schön geformte Hände und große, braune Augen. Als sie ihn jetzt anlächelte, ließen ihre frischen, rothen Lippen die schönen, weißen Zähne sehen. Er kannte sie sogleich. Es war Sara Purfoy, Mrs. Vickers’ Mädchen, aber er war ihn noch nie so nahe gewesen und sie erschien ihm wie eine herrliche, tropische Blume, die einen betäubenden Geruch ausströmt.
Einen Augenblick blickten Beide einander an, dann fühlte Rufus sich von hinten im Genick gepackt und heftig zu Boden geworfen. Wieder auf seine Füße springend, war sein erster Gedanke, sich auf seinen Angreifer zu stürzen, aber er sah das gefällte Bajonett der Schildwache blitzen und beherrschte sich. Sein Angreifer war Mr. Maurice Frere.
»Was zum Teufel habt hier zu suchen,« brüllte dieser Herr mit vielen Flüchen. »Er fauler, schleichender Hund, was macht er hier ? Wenn ich ihn noch ein Mal treffe, wenn er einen Fuß auf das Quarterdeck setzt, so kriegt er eine Woche in Eisen.«
Rufus Dawes, bloß vor Wuth und Aerger, wollte sich rechtfertigen, aber die Worte erstarben auf seinen Lippen. Wozu?
»Hinunter mit Euch und denkt an das, was ich gesagt habe,« rief Frere und begreifend, was vorgefallen, prägte er sich den Namen der schuldigen Schildwache fest in sein Gedächtnis.
Der Gefangene wischte sich das Blut vom Gesicht, drehte sich ohne ein Wort zu sprechen um und ging durch die schwere Eichenthür wieder hinein in seine Höhle.
Frere beugte sich vor und nahm des Mädchens weiße Hand in die seine, aber sie entzog sie ihm schnell mit einem Blitz aus ihren schwarzen Augen.
»Sie Feigling,« sagte sie.
Der Soldat in ihrer Nähe hörte das und seine Augen lachten.
Frere biß sich im Aerger auf die dicken Lippen und folgte dem Mädchen in die Kajüte. Aber das Mädchen nahm die Hand der erstaunten Sylvia und glitt mit verächtlichem Lachen an ihm vorüber, hinein in ihrer Herrin Kajüte, deren Thür sie hinter sich schloß.
Zweites Capitel.
Sara Purfoy
Die Deportierten waren sicher wieder eingesperrt und gingen zu Bett, wozu die Regierung dem Manne sechzehn Zoll Raum gestattete, der allerdings wegen verschiedener Verhältnisse aus dem Schiffe noch etwas verkürzt wurde.
Die Kajüte brachte ihre Abende mitunter recht vergnügt zu. Mrs. Vickers war poetisch und besaß eine Guitarre und da sie auch musikalisch war, sang sie dazu. Kapitain Blunt war ein lustiger, etwas gewöhnlicher Herr; Sergeant Pine hatte eine wahre Wuth, Geschichten zu erzählen und wenn Vickers auch meist langweilig erschien, so war Frere doch fröhlich. Ueberdies war die Tafel gut bedient und mit Mittagessen, Tabak, Whist, Musik und Branntwein und Wasser gingen die Abende mit einer Schnelligkeit vorüber, von der die wilden Thiere dort unter dem Deck, die zu Sechsen in einem Raume von fünf Fuß drei Zoll zusammen gedrängt waren, keine Vorstellung hatten.
An diesem Abend aber war die Kajüte etwas verstimmt. Das Mittagessen ging still vorüber und die Unterhaltung war ohne Lebhaftigkeit.
»Kein Anzeichen von Wind, Mr. Best?