ganz hinter denselben zurücktreten läßt. Dies der Grund, warum so viele seiner Schriften pseudonym sind, andere halb pseudonym (indem er sich als Herausgeber nennt, wo er wohl mit der ganzen dargestellten Geistesrichtung in Übereinstimmung steht, aber nicht geradezu sich die entsprechende Existenz vindizieren und daher nicht wie in seinem eigenen Namen reden kann), während andere endlich seinen eignen Namen tragen.
Von Anfang an hat er das eine Ziel, »auf das Religiöse, das Christliche aufmerksam zu machen«, doch nicht in der Weise eines Apostels, der »Gewalt hat«, sondern nur in der Weise, daß er auf die Aufgabe hinweist, und es einem jeden überläßt, den gegebenen Wink zu verstehen, und sich selbst zu der rechten Erfassung hindurchzuarbeiten. Darum beginnt er, wie er selbst sagt, »mäeutisch«, mit der Darstellung des Ästhetischen, worin die meisten befangen sind, will auf diese Weise die Aufmerksamkeit fesseln, und dann den inneren Widerspruch dieser Lebensanschauung, in der man sich selbst verliert, weil man sich an die Außenwelt hingibt, zum Bewußtsein bringen, um von dem Ästhetischen hinweg, durch das Ethische hindurch, zum Religiösen hinzuführen. Letzteres »wird so, schnell eingeführt, daß diejenigen, welche, vom Ästhetischen bewegt, ihm zu folgen beschließen, plötzlich mitten in den entscheidenden christlichen Bestimmungen stehen, veranlaßt, wenigstens aufmerksam zu werden«. So will er durch »indirekte Mitteilung« in die Wahrheit hineinlocken und dem Sinnenbetrug, der von Anfang an da ist, daß man nämlich in der Christenheit sein, selbstverständlich als gleich erachte mit Christ sein, entgegenarbeiten. Nebenher aber geht in den erbaulichen Reden die »direkte Mitteilung«, die später, nachdem die Pseudonymen ihr Ziel erreicht haben, die allgemein herrschende wird. Und diese letztere möchte doch auch die am meisten fruchtbringende sein.
Wir nennen hier nur die wichtigsten seiner vielen Schriften. In »Entweder – Oder, ein Lebensfragment von Victor Eremita« (1842) stellt K. mit seiner psychologischer Charakterzeichnung ein ästhetisches und ethisches Lebensbild neben einander und hebt den Gegensatz beider Richtungen aufs stärkste hervor. Eins von beiden: die unklare Mischung ist Charakterlosigkeit. In »Furcht und Zittern, dialektische Lyrik von Johannes de silentio« (1843) erhebt sich der Pseudonymus kühn und sicher zu den höchsten Regionen des Lebens, um dann wieder einen scharfen Blick in die geheimen Tiefen der Seele zu werfen in dem »Begriff Angst, simple psychologisch hinweisende Erwägung in Beziehung auf das Problem der Erbsünde, von Vigilius Hafniensis« (1844). In den »Stadien auf dem Wege des Lebens, Studien von Verschiedenen zusammengebracht, zum Druck befördert und herausgegeben von Hilarius Buchbinder« (1845) werden wieder die verschiedenen Grundrichtungen dargestellt, und namentlich der Seelenkampf des Religiösen, der mit der Welt brechen muß, gezeichnet. – Die großen Probleme und Aufgaben des Christentums werden eingeschärft in den halb-pseudonymen Schriften, die den Namen des Climacus tragen: jener, dessen Existenz noch außerhalb des Christentums fällt, hat seinen Standpunkt eine Stufe tiefer, dieser, der aus religiöser Erfahrung und als Bußprediger redet, hat seinen Standpunkt eine Stufe höher als der wirkliche Verfasser, der sich deshalb auch nur als Herausgeber bezeichnet hat. Es sind folgende: »Philosophische Bissen oder ein Bischen Philosophie, von Johannes Climacus, herausgegeben von S. Kierkegaard« (1844); »Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Bissen, von H. Climacus, herausgegeben von S. K.« (1846); die »Krankheit zum Tode, eine christliche psychologische Entwickelung, von Anti-Climacus, herausgeg. von S. K.« (1849); »Einübung im Christenthum, von Anti-Climacus, herausgegeben von S. K.« (1850). – Die nicht pseudonymen Schriften endlich sind meist erbaulichen Inhalts: eine ziemliche Anzahl Reden in verschiedenen Heften (1843–1851), von denen aber die wenigsten wirklich gehalten sind; »erbauliche Reden in verschiedenem Geiste« (1847); »die Werke der Liebe, einige christliche Erwägungen in der Form der Rede« (1847); »christliche Reden« (1848); endlich das vorliegende Büchlein (1851). Über sein gesamtes Wirken hat sich K. selbst ausgesprochen in der Schrift: »über meine Thätigkeit als Schriftsteller« (1851); und in »der Gesichtspunkt für meine Thätigkeit als Schriftsteller, eine direkte Mitteilung, Rapport an die Geschichte« (nach seinem Tode 1859 herausgegeben).
S. K. zeigt, wo er theoretische Untersuchungen anstellt, eine überaus reiche Reflexion, die fast alle Erscheinungen des Lebens und alle psychologischen Rätsel in ihren Kreis zieht, eine scharfe unermüdliche, obwohl oftmals verwickelte Dialektik, und eine große Gewandtheit der wechselnden Darstellungsformen. Er spielt und glänzt vielfach mit Witz, Satire, Ironie und Humor, doch so, daß die tiefen, ernsten Grundakkorde je und je hindurch gehört werden, und er sich stets mit Ehrfurcht vor dem Christlichen als dem höchsten Phänomen und dem höchsten Ziele des Lebens beugt. In den Schriften mehr unmittelbar praktischer Tendenz redet er mit gewaltigem Ernste, in schlagenden Beispielen und treffenden Bildern (die allerdings mitunter unschön werden, gleichwie seine Vorliebe für Wortspiele zuweilen ermüdet), und sucht den Lesern so nahe zu kommen, so kräftig auf sie einzudringen, wie nur möglich, um sie nicht entschlüpfen zu lassen, sondern im Gewissen zu packen: um sie aus ihrer Lauheit, Gemächlichkeit, Selbstzufriedenheit aufzurütteln, vor falschem Vertrauen auf die Gnadezu warnen und zur Buße und Bekehrung aufzufordern. –
Während K. bisher nur bei einem Teile der philosophisch und theologisch Gebildeten, und, was seine erbaulichen Schriften betrifft, bei tieferen Gemütern Aufmerksamkeit und Beachtung gefunden hatte – wie denn vielleicht erst der Zukunft ein völligeres Verständnis seiner Schriften aufbehalten ist – so führte er den Kampf, den er als seine Lebensaufgabe betrachtete, in seinem letzten Lebensjahre auf eine Weise, die wenigstens die allgemeinste und lebhafteste Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Der hochverdiente Bischof von Seeland, Dr. J. P. Mynster, war am 30. Januar 1854 gestorben, und sein Nachfolger, Dr. Martensen, hatte ihm in der Gedächtnisrede das wärmste Lob gespendet, ihn als »Wahrheitszeugen«, als Glied der heiligen Kette der Apostel und Märtyrer und der Zeugen aus allen Jahrhunderten bezeichnet. S. K. glaubte sich verpflichtet, hiergegen die schärfste Einsprache zu erheben, indem er meinte, man dürfe nicht auf diese Weise einen Geistlichen mit dem höchsten Maßstabe messen, ohne zugleich den Abstand zwischen den Forderungen dieses Maßstabes und der Persönlichkeit, an welche man ihn gerade anlege, hervorzuheben, so sehr er auch früher gerade dem ehrwürdigenMynster Ehrerbietung gezollt hatte. Da das Christentum zu der Welt im entschiedensten Gegensatz und Widerspruch stehe, und das Vorbild, der Sohn Gottes, in Armut und Niedrigkeit, in Verachtung und Verkennung und Leiden auf Erden gewandelt habe, so könne von einem »Wahrheitszeugen,« von einem »Gliede der heiligen Kette« nur da die Rede sein, wo das Leben eines Menschen wirklich dieses ausdrücke, daß es der Welt ungleichartig sei, während dagegen das Leben des verstorbenen Bischofs in gutem Einvernehmen mit der Welt, mit ihrer Herrlichkeit, Macht und Ehre verlaufen sei. Durch solches Menschenlob also betrüge und belüge sich die Zeit, als ob sie dem Ideal genüge, und als ob das »bestehende Christentum« nicht bloß relative, sondern absolute Berechtigung habe: sie mache das Christentum der Welt gleichartig, d.h. sie schaffe das Christentum ab.
So wurde dieser Fall für K. Veranlassung, nicht bloß den einzelnen Geistlichen, sondern die Geistlichkeit überhaupt und das »offizielle Christentum« in Flugschriften, die für die Masse berechnet waren oder deren Polemik wenigstens von ihr nur zu gut verstanden und nur zu beifällig aufgenommen wurde, mit der maßlosesten Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit anzugreifen. Die Geistlichen seien ihrem Berufe untreu geworden, insgesamt Wölfe in Schafskleidern; das »bestehende Christentum« sei nicht das des N. T., sondern diene nur, die Seelen in Schlaf zu wiegen und drohe sie um ihre Seligkeit zu betrügen; wer am öffentlichen Gottesdienste nicht teilnehme, habe doch immer eine Sünde weniger auf dem Gewissen u.s.w. Diese und ähnliche Sätze wurden namentlich im »Augenblick, Nr. 1-9« (1855) unters Publikum hinausgeschleudert. Natürlich wurden sie von verschiedenen Seiten bekämpft, man beteiligte sich für und wider, und es entstand eine ganze Litteratur von Zeitungsartikeln und Broschüren. Mitten in der Hitze des Kampfes starb der Anführer, dessen Kraft erschöpft war, und das Geschrei des Streites verstummte allmählich.
Was an Kierkegaards Behauptungen Wahres war, hat, so weit sein Wort reichte, nicht verfehlt, manche der Diener der Kirche wie der jüngeren Theologen dazu zu führen, die hohe Verantwortlichkeit des geistlichen Amtes mehr zu fühlen, sich ernster auf ihre Aufgabe zu besinnen und der Erfüllung derselben nachzutrachten.
Wolle der Herr auch deutschen Lesern diese Blätter zum Segen gereichen lassen!
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