jetzt laut schnarchenden »Onkel« eifrigst beobachtete. Eduard schabte mit dem Spachtel an seiner Arbeit, die Mutter schlich auf den Zehen ab und zu, das leere Geschirr des Mittagstisches hinwegzutragen; an dem Pfosten der geöffneten Thüre her strich die Hauskatze in das schwüle, noch von den Gerüchen der Mahlzeit durchduftete Gemach. Selbst Eduard wandelte lebhaftes Schlafbedürfnis an in dieser schwülen Mittagsruhe, er legte sein Werkzeug hinweg und sah träumerisch auf den sonnigen Hof. Draußen scheuerte die Magd einen Kessel am Brunnen. Der Hund schlief vor seiner Hütte, die Hühner saßen verschlafen auf dem Brunnentrog, überall auf Stein und Mauer, auf Dach und Treppe lag die blendend grelle Sonne eines warmen Septembertages, Wie einschläfernd die Physiognomie des Brunnens herüberschaute, es war ein gutmütiger alter Brunnen, dem immer ein wenig Wasser im Munde stand, der Baum neben ihm breitete wie schützend seine Äste über den kühlen Ort. Eduard ärgerte sich über jene Lüge, die er eben vorgebracht. Warum er nur in jenem Augenblick: nein! statt: ja! gesagt, Thorheit! Es ging ihm das: Ja! nicht von der Zunge. Doch schlafen wir ein wenig, dachte er, ich bin mit Allem unzufrieden, mit der Gräfin nicht zum wenigsten. Es ist recht seltsam, daß sie meines Vaters Herrin ist, freilich ist es ebenso seltsam, daß ich ich, d. h, meines Vaters Sohn bin. Da schlug näherkommender Hufschlag an sein träumendes Ohr. Eine Ahnung stieg in ihm auf, er wußte in seiner Schlaftrunkenheit selbst nicht warum, aber es war ihm, als wisse er genau, wer sich zu Roß dem Hofe nahe. Richtig, es war so selbstverständlich, da ritt sie zum Thore herein, von einem Lakaien gefolgt, die junge Gräfin Isabella. Nun muß sie auch noch kommen, dachte er und riß, als er Ludwig so gemüthlich rauchen sah, dem Jungen die Pfeife aus dem Mund. »Was machst Du,« rief er barsch, dämpfte jedoch gleich seine Stimme, als der Förster sich regte. Die Hunde schlugen an, der schlafende Förster reckte sich seufzend, während seine Frau sogleich hinausgeschlüpft war, den Gast zu bewillkommnen. Eduard erhob sich unschlüssig, was er thun sollte, da Ludwig, die Pfeife wegwerfend, in den Hof gestürzt war, die Pferde zu bewundern.
»Ich werde nicht gehen,« dachte der Künstler, »warum auch!« Hiermit setzte er sich vor seine Staffelei, um sich einzureden, die Gräfin interessiere ihn nicht, übrigens sei sie auch schwerlich seinetwegen in dem Forsthause erschienen.
Gleich darauf eilte Frau Enger aufgeregt in das Gemach zurück.
»Sie ist da, die Gräfin, Eduard, so komm doch,« sagte sie, »sprich mit ihr, oder soll ich den Vater wecken?«
»Nein,« sagte Eduard, »er ist den ganzen Tag verdrießlich, wenn man ihm den Mittagsschlaf raubt, laß ihn schlafen. Was will sie denn?«
»Die Gräfin? ich weiß nicht! Vielleicht eine Laune, vielleicht hat sie Aufträge für den Vater. Aber es muß doch jemand mit ihr reden, sieh nur, wie erstaunt sie sich in dem leeren Hof umblickt. Geh doch, geh doch!«
Eduard wollte hinausgehen.
»So wie Du da bist, willst Du mit der Gräfin reden,« frug die Mutter, »in Hemdsärmeln? Das geht nicht an. Ich will Dir Deinen Rock holen —«
Eduard ließ sich nicht irre machen, er schritt langsam auf Isabella zu, deren sehr erhitztes Gesicht erkennen ließ, wie sie heftiges Herzklopfen unterdrückte. Sie hatte einstweilen vom Pferde herab freundlich lächelnd ein Gespräch mit Ludwig angeknüpft. Wie sich die Familie befinde, wie er sich selbst befinde, ob Frau Enger zu sprechen sei, ob Herr Enger zu Hause sei; alle diese Fragen richtete sie an den blöde Dʼreinschauenden, der sie mit einem verlegʼnen; »Ich weiß nicht!« abfertigte.
»Nicht wahr, die Pferdchen gefallen Dir,« frug sie dann, welche Frage der Junge mit einem Kopfnicken bejahte.
»Möchtest Du eines davon besitzen?« frug sie weiter.
»Ja,« erwiderte der Kleine gedehnt.
»Möchtest Du ein wenig reiten?«
»Ja.«
»Nicht wahr, das gefiele Dir – nun, wir wollen es einmal versuchen, wie?«
Des Knaben Augen begannen zu leuchten, er zitterte vor Erwartung. Der Diener mußte auf den Befehl des Fräuleins absteigen und den Knaben auf den Sattel heben, was sich dieser mit glückseligem Lächeln gefallen ließ.
»Sieh,« rief der kleine Reiter, als er Eduardʼs ansichtig ward, »sieh doch, – wie schön —«
»Du wirst gleich herunterfallen,« rief Eduard, um nur irgend etwas zu sagen, worauf Ludwig aus Leibeskräften zurückschrie: »nein! nicht wahr – Du hast es mir erlaubt, Fräulein Gräfin, nicht wahr?«
Isabella lachte, um sich ihre Fassung zu erringen, länger als nötig schien, brach dann aber dies Gelächter mit nervöser Herbheit ab.
»Konrad,« redete sie den Diener an, »halte den Knaben fest.« Hierauf preßte sie die ein wenig zitternden Lippen aufeinander, indeß Eduard näher tretend den Jungen mit einem Ernst, über den er sich zu anderer Zeit lustig gemacht haben würde, frug, ob er wüßte, wie man ein gnädiges Fräulein anrede. Das: »ein gnädiges Fräulein!« klang auffallend ehrerbietig.
»Ich freue mich, daß er es nicht weiß,« entgegnete sie, ein wenig geschmeichelt. Als hierauf ein beklemmendes Stillschweigen von beiden Seiten einzutreten drohte, erinnerte sie sich daran, daß sie als Dame von Welt diesem armen Maler imponiren müsse. Sie möchte ihn gar zu gern einmal in Verlegenheit sehen, wie er sich nur dabei ausnehmen würde. Bis jetzt hatte sie immer die Verlegene spielen müssen.
»Ich wollte,« sagte sie tief Atem holend, »auf meinem Spazierritt nicht versäumen, unser altes, gutes Forsthaus zu besuchen. Ich hoffe, Ihre Eltern befinden sich wohl?«
»Gewiß, gnädiges Fräulein.« Eduard blickte von der Sonne geblendet zu ihrem von einem breiten Hutrande beschatteten Gesicht empor. Dies Gesicht war von feinen, goldgelben Sommersprossen überdeckt, die indeß, weit entfernt es häßlich zu machen, ihm einen eigentümlich kühlen, kränkelnden Reiz verliehen. Da dem Maler die Augen in dem scharfen Licht zu thränen begannen, legte er die Hand über die Stirne ob dieses Thränens, das doch mit seiner inneren, gänzlich gleichmütigen Seelenstimmung in gar keinem Zusammenhang stand, tief errötend. »Wie einfältig,« dachte er, »muß mir auch das noch passiren.« Er drückte mit den Fingern verstohlen die Thränen aus den Wimpern und versuchte zu lächeln, damit die Gräfin nicht etwa auf den absurden Gedanken verfallen möge, er weine.
Die Gräfin hatte mit ihrem unruhig gewordenen Pferde zu thun, bemerkte aber dennoch die Feuchtigkeit in des Künstlers Augen. »Endlich habe ich meinen Zweck erreicht. So also sieht er aus, wenn er verlegen ist,« dachte sie, »sie steht ihm ganz gut, diese Röte auf den blassen Wangen, auch der kindlich verwirrte Ausdruck seiner Augen ist reizend.« Sie wußte nun recht gut, daß diese Thränen lediglich der grellen Sonne ihr Dasein verdankten. Dennoch wirkte der Kampf, den der Jüngling mit seiner Schwäche kämpfte, seltsam beunruhigend auf ihr Herz. Sie wünschte ihn dieser Beklemmung überhoben zu sehen. Sie kam in eine ähnliche Verwirrung wie Eduard, der sich um alles in der Welt nicht abwandte, sondern, wie um die Festigkeit seiner Sehnerven zu prüfen, zu dem schmalen Gesichte der Reiterin emporstarrte, dem schmalen, reizend-vornehmen Gesichte. Schließlich überkam sie geradezu ein bereuendes Mitleid.
»Herr Enger,« sagte sie möglichst gleichgültig, mit der Reitgerte ihres Rosses Mähne streichelnd.
»Gnädiges Fräulein —«
»Ich habe mich müde geritten —«
»Oh, ich vergaß,« unterbrach sie der Maler, »bitte, wollen Sie nicht absteigen – warum steigen Sie nicht ab – ?«
»Nein, nein!« rief sie, »ich will mich nicht lange aufhalten, da man auf mich im Schlosse wartet. Wie viel Uhr mag es wohl sein – o, bitte, bleiben Sie nur, ich möchte Sie nur um ein Glas Milch ersuchen – Sie haben gewiß gute Milch hier – ich bin so durstig —.«
Kaum hatte die am Fenster lauschende Frau Enger dies Wort vernommen, als sie sogleich die Magd nach der gewünschten Milch in den Keller schickte
»Einen Teller, um das Glas darauf zu stellen,« befahl sie, indeß Eduard bereits in das Haus geeilt war, das Verlangte zu holen. Ludwig wurde nun wieder vom Pferde herunter gehoben, was ihn sicherlich zum Weinen gebracht haben würde, hätte nicht ein für ihn sehr interessanter Gegenstand seine