Wilhelm Walloth

Seelenrätsel


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zugebracht, abgerechnet, hatte er immer nur im Walde gelebt. Des alten Mannes Körper war gleichsam ein Waldgewächs, das ohne die belaubten Stämme verdorren mußte. Ja, aus einer gewissen Entfernung betrachtet, nahm sich der Vater sehr gemütvoll aus, konnte man ihn schon lieben, in der Nähe änderte sich Manches. Ist er nicht seltsam so ein Lebenslauf? Wer sind die geheimen Mächte, die ihn leiten? Umgeben sie mich jetzt in der offenen Natur? Kann ich sie hier belauschen? Ich sitze als elfjähriger Junge in meines Vaters Zimmer und zeichne einen schlechten Kupferstich ab. Der Bediente des Grafen, der meinem Vater einen Befehl zu überbringen hat, sieht mich zeichnen. Er sagt dem Grafen davon, dieser verlangt meine Zeichnung zu sehen und erwirkt mir, als ich den Schulbesuch beendet, ein Stipendium. War es auch von Vorteil für ihn, daß jener Lakai den Elfjährigen zeichnen sah? Merkwürdig, daß mein Schicksal von einem alten Lakaien abhing.

      Bald darauf kamen die Beiden an eine Lichtung, von der herüber Stimmen erschallten, Äxte erklangen. Näher kommend, gewahrte Eduard seinen Vater, wie er im Schweiße seines Angesichtes den Arbeitern beim Baumfällen half, sie zurecht wies oder lobte. Hier war der Vater mehr am Platze als zu Hause im Zimmer, hier hatte die Art, wie er mit seinen Leuten sprach, etwas Patriarchalisches, Ehrwürdiges, ließ ihn als einen thatkräftigen, gefürchteten Feldherrn erscheinen.

      »So, Ihr Männer,« rief er voll Feuer, »er muß fallen, sägt zu und Ihr dort haltet die Stricke fest – noch nicht ziehen – Geduld —«

      Der eifrige Mann war, von der Wichtigkeit des Werkes durchdrungen, überall zugleich, stets seinen kräftigen Lieblingsausdruck: »Ihr Männer!« im Munde. Die gewaltige Tanne ächzte bei jedem Zug der Säge, ins innere Mark getroffen, wie ein lebendes Wesen, und dieser trotzig klagende Ton schien den Förster in eine Art Kampfeslust zu versetzen, Obgleich er seinen Sohn in der Nähe wußte, nahm er absichtlich nicht die mindeste Notiz von dessen Gegenwart, und erst als unter vielen Schwierigkeiten, die die ganze Aufmerksamkeit des Alten in Anspruch genommen, die Tanne zu Boden schmetterte, ohne einen Unfall herbeigeführt zu haben, erst dann schritt er auf den Sohn zu.

      »Ein schöner Baum, nicht wahr?« sagte er, seine Schnupftabaksdose ziehend, »gutes Holz, würde einen trefflichen Mastbaum abgeben.«

      Eduard bemühte sich ein vergnügtes Gesicht zur Schau zu tragen und pries im Stillen den Vater glücklich, der so ganz in der Freude dieser körperlichen Arbeit aufging, so völlig mit sich zufrieden war.

      »Darf ich Dir ein wenig helfen, Vater?« frug er dann.

      Der Alte lachte in seiner gewohnten, näselnden Weise, eine Prise nehmend.

      »Machʼ, daß Du fort kommst,« entgegnete er, sich den Schnurrbart von dem Schnupftabak reinigend, »helfen, solche Leute wie Du bist können wir bei der Arbeit nicht brauchen. Sieh doch nur Deinen Rock oder Deine Finger an. Du willst uns helfen; ha, ha! geh! doch! gehʼ doch!«

      Dabei klopfte er ihm gutmütig auf die Schulter und sagte leise begütigend:

      »Nun, nun, will Dich nicht beleidigen, kräftig genug wärst Du ja wohl, wärst auch sonst nicht mein Sohn, aber – weißt Du – hem! solche Arbeit schickt sich nicht mehr für Dich, Du bist ein feiner Herr, die mußt Du schon dem ungebildeten, alten Waldkerl überlassen.«

      »Aber, lieber Vater —«

      »Nur still,« fiel er ihm behaglich in die Rede, »machʼ, daß Du fortkommst, ich weiß, was Du denkst. Du weißt ja dabei doch, daß der alte Arbeiter Dein Vater war und es noch ist. Dürfte mich auch keiner ungebildet nennen, weißt Du, außer wenn ich es selbst thue. Schau meine Hände – geltʼ die sind rauh, ungehobelt? Und doch haben sie Dich so weit gebracht, als Du jetzt bist, und Du wirst noch manchmal an die Hände denken.«

      Er ging ohne Gruß zur Arbeit zurück, während in Eduardʼs Erinnerung, als er dem Vater nachblickte, eine alte Kunde auftauchte. Sollte es dennoch möglich sein, was ihm die Mutter einst erzählt? Der Vater konnte so gutmütig sein, daß man ihm eine solche Handlungsweise nicht zutraute. Und dennoch neben dieser Gutmütigkeit, diese Härte. Der Vater habe von seiner ersten Frau eine Tochter gehabt, die er durch sein rauhes Benehmen so weit gebracht, daß sie Haus und Hof verlassen und dem Manne ihrer Wahl, der nicht ihres Vaters Wahl gewesen, in die Fremde gefolgt sei. Unglückliches Mädchen! Du bist begraben, Dein Name darf nie erwähnt werden.

      Eduard schritt, ein dumpfes Unbehagen in der Brust, weiter, schlug sich jedoch mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft den Gedanken an jene Stiefschwester aus dem Sinn, auf einmal, da er sich umblickte, mit einer gewissen Befriedigung wahrnehmend, daß sich Ludwig heimlicher Weise von ihm weggeschlichen. Das laute in den Wald Hineinrufen gab seinem Grübeln eine willkommene Ablenkung. Der Aerger über das Davonlaufen des Jungen machte ihm sozusagen Spaß, er ärgerte sich mit Behagen und nährte diesen Aerger mit allem, was ihn umgab. Es ist wirklich an der Zeit, daß ich dem Jungen eine Ohrfeige versetze, er verliert allen Respekt, läßt mich da stehen, damit ich mir den Hals wund rufe. Und wenn er sich zu guterletzt verirrt. Ich bin wahrlich ein schlechter Pädagog, was kann eine Ohrfeige schaden, alle Sachverständigen sind darüber einig, daß ohne ein gewisses Maß von Prügeln ein Knabe garnicht zu erziehen ist. Und ernsthaft darüber nachdenkend, ob er in diesem Falle nicht seinen Widerwillen gegen körperliche Züchtigung überwinden müsse, kam ihm zugleich die Lust darüber nachzusinnen, was das wohl für eine Befriedigung gewähren möge, sich Vater nennen zu hören. Vater! hm! Das klingt mir so seltsam, mir wird ordentlich unheimlich, stelle ich mir vor, man dürfe mir diesen Ehrentitel beilegen. Warum nur? Tauge ich nicht zu diesem Beruf? Alle meine Freunde haben, sobald es ihre Mittel erlauben, nichts Eiligeres zu thun, als sich zum Familienvater zu entwickeln, warum wird denn mir so weh zu Mut, so als begehe ich ein Unrecht gegen die Natur, wenn ich mir vorstelle, ich vermehre die leidende Menschheit um ein neues Exemplar? Vielleicht stelle ich mir zu deutlich vor, daß es nicht zu den Annehmlichkeiten gehört geboren zu werden! Kurz, ich weiß nicht, die ganze Sache widert mich an. Er dankte Gott, daß er nicht Ludwigs Vater zu sein brauchte und wie er über sein eigentümliches Verhältnis zu dem Jungen nachdachte, trat jener Abend, an welchem er ihn auf der Straße gefunden, lebhaft vor seine Seele. Er war einst in München gegen Abend über die Isarbrücke gegangen, die Hände in der Tasche, den Kopf zur Erde gebeugt. Im Scheine einer mit dem Nebel kämpfenden Laterne, gewahrte er einen auf dem Pflaster langausgestreckten, schlafenden, sehr dürftiggekleideten Knaben von etwa acht Jahren, dessen leidende Züge ihn lebhaft an den berühmten jungen Bettler von Murillo gemahnten. Er blieb stehen. Da wäre ja ein prächtiges Modell gefunden, sagte er sich, um sein Mitleid zu unterdrücken. Der Junge öffnete verschlafen die Augen und als er einen Menschen vor sich stehen sah, streckte er die kränkliche Hand aus, eine gewohnheitsgemäße Bitte murmelnd. Der Maler half dem Durchfrorenen auf die Beine, frug wo er wohne und ging, die Blicke der Vorübergehenden ignorirend, mit dem zerlumpten Jungen nach Hause. Jetzt noch errötete er, da er an das Gesicht seiner Hauswirtin dachte, wie es so fragend auf ihn nebst seine Begleitung gerichtet war. »Und ich habe es nie bereut, mich des Kindes angenommen zu haben,« murmelte der nachdenkliche Spaziergänger vor sich hin, »einen solchen Sohn lasse ich mir gefallen, der wird einmal dankbar und hat auch Grund dazu, es zu werden.«

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