Wilhelm Walloth

Seelenrätsel


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er die düstre Kammer betrat, aus deren finsterstem Winkel eine schwache Stimme frug wer hier sei! Die untergehende Sonne gab jetzt mit ihrem letzten Strahl, der durch die papierverklebten Scheiben glomm, jenem Winkel eine graue Helle. Dort kauerte, die Hände unter der Schürze verborgen, ein junges Mädchen, das, als sie den Förster erblickte, ihre halberstarrten Glieder erhob und mit zitternder, frostblauer Lippe noch einmal frug, was man hier suche. Der junge Mann drängte das Mitleid gewaltsam zurück, das ihn ergreifen wollte und frug barsch, ob sie die Tochter des Ephraim sei. Wie im Halbschlafe, mit geschlossenen Augenlidern, nickte das Mädchen vor sich hin, die zitternden Arme fest um den Leib gepreßt.

      »Nehmt Euch in acht,« fuhr der Förster fort und gab nun in drohendem Tone zu verstehen, daß er, wenn er den Ephraim noch ein einziges Mal im Walde ertappe, kein Erbarmen mehr haben dürfe. Die Jüdin hob langsam ihre Augenlider und flüsterte, sie habe den Vater schon mehrmals gewarnt.

      »Nun,« sagte Enger mit möglichst heiterer Stimme, »wenn ich an Deinem Vater so handle, wie es mir das Gesetz vorschreibt, – rechnet Euch die Schuld bei, wenn es ein Unglück giebt. Du verstehst mich.«

      Er drückte seinen Hut ins Gesicht und wollte gehen, doch als ihn der ängstlich fragende Blick des Mädchens streifte, glaubte er sich vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben, er blieb stehen, murmelte noch einmal eine Warnung hervor und ging hierauf in seltsamer Stimmung, ärgerlich darüber, daß er es für nöthig gefunden, den heruntergekommenen Menschen, dem man eine Wohlthat erzeigte, wenn man ihn möglichst bald aus der Welt beförderte, zu warnen. »Was nütztʼs,« kaute er zwischen den Zähnen, »ich habe mir nur die Hand unsicher gemacht.«

      Wenige Tage später begegnete er richtig dem Ephraim im beschneiten Walde; er legte sein Gewehr an, ließ es jedoch wieder sinken: der andere aber im Glauben, er hätte die Absicht, zu schießen, sprang hinter einen Baumstamm und drückte ab. Des Försters Hund, den er an der Leine hielt, versetzte, indem er sich losreißen wollte, seinem Herrn einen Ruck; der Förster taumelte und der Wilddieb, wähnend, er habe seinen Feind verwundet, eilte aus seinem Versteck. Ohne sich zu besinnen, riß Enger das Gewehr an die Wange und gleich darauf lag der Jude stöhnend am Boden. Ephraim war nicht tötlich verwundet. Da man ihn am frühen Morgen in die Hütte seiner Tochter brachte, erhob diese ein kurzes Klagegeschrei, verstummte jedoch sogleich, als der Vater dem Förster zu fluchen begann. Ephraim mußte seine That mit einer langjährigen Gefängnisstrafe büßen, indeß seine Tochter auf die Mildthätigkeit ihrer Nachbarn angewiesen war. Eines Tages traf sie, da sie im Walde Holz las, mit dem Förster zusammen, der, als er sie gewahrte, sich rasch hinter einen Holzstoß zurückziehen wollte. Plötzlich kam er jedoch hastig auf die Dirne zugeschritten. Es war ein stürmischer Herbsttag, das Laub wirbelte am Boden, die Äste krachten, der Wind drang feuchtkalt durch die Kleider und das Mädchen stand mit nackten Füßen, wehendem Halstuche, in das sich ihre flatternden Haare verwickelt, vor dem starken Manne, dessen Auge scheu auf sie gerichtet war.

      »Hast Du Nachricht vom Vater,« frug er mit sehr lauter Stimme, als müsse er den rauschenden Wald übertönen. Dabei hielt er sich mit der Hand den Hut, als ob er ihm fortzufliegen drohe.

      »Ja,« sagte das Mädchen, nach einer anderen Richtung blickend.

      »Nun?« frug der Förster, und man wußte nicht, ob er vor Frost zitterte oder ob nur sein Mantel im Winde flatterte.

      »Er ist tot,« sagte das Mädchen ausdruckslos.

      Der Förster that, als schlucke er einen im Halse festsitzenden Gegenstand hinunter, der Wind riß ihm nun wirklich den Hut vom Kopf, er stand da, als wolle er sich sogleich entfernen.

      »Im Gefängnis gestorben?« frug er.

      Die Dirne nickte, ihr Holz zusammenlesend. Der Mann im grünen Kleide sah ihr schweigend zu. Sie war schlank gebaut, ihr Gesicht hatte einen orientalischen Schnitt, und wie sie sich so niederbückte, fielen ihr etliche sturmverwehte Blätter auf den feingebauten Hals, in den weißen Rücken hinab. Nun richtete sie sich auf und wollte gehen.

      »Fluchst Du dem, der Schuld an Deinem Elend trägt?« flüsterte der Mann wie verloren vor sich hin, den Blick an den Boden geheftet. Sie sah ihn mit großen, ahnungslosen Augen an, dann, als er nach einiger Zeit zu ihr aufblickte, schüttelte sie den Kopf, und die großen, regungslosen Augen füllten sich mit Thränen. Einen neuen Anlauf nahm der Sturm gegen die ächzenden Waldriesen, es begann zu regnen, ein kalter, nasser Schauer rauschte herab und der Jäger sah, wie das Mädchen sein Tuch fester um den fröstelnden Hals schlang.

      »Du hattest ihn gewarnt,« sagte sie und wollte gehen.

      »Gehe nicht,« bat er mit milderer Stimme, »folge mir. Willst Du?« Er reckte die Hand aus; die sie nicht erfaßte, aber sie nickte träumerisch vor sich hin, faßte ihr Holzbündel fester und folgte ihm.

      So weit hatte Frau von Pork die Familienchronik des gräflichen Försters erzählt, als sich der Wagen dem Schlosse näherte, wodurch die Aufmerksamkeit der Frau von Pork sehr durch den sie erwartenden Inspektor in Anspruch genommen wurde, welcher bereits lächelnd am Portale stand. Isabellas Neugierde war jedoch so heftig erregt, daß sie verlangte, nun in Kürze noch den Schluß der Erzählung zu hören und Frau von Pork in ihren Gedanken schon mit der Auspackung des Kaffeeservices, der Einrichtung mehrerer Gemächer, der Auswahl der Schlaf- und Wohnzimmer beschäftigt, berichtete, sich selbst oft unterbrechend, daß die Jüdin ein Jahr im Hause des Försters als Magd gedient habe und zwar mit solcher Gewissenhaftigkeit, daß der Förster nicht anstand, ihr nach Ablauf dieses Jahres die Hand vor dem Altare zu reichen, trotz aller Schwierigkeiten, die ein solches Verhältnis zwischen Christ und Jüdin dem ehrlichen Manne bereitet habe. Der Wagen fuhr bereits in die Thorhalle ein, als Isabella noch etliche Fragen in Bezug auf den Sohn des Försters zu stellen wagte, Frau von Pork jedoch erteilte, diese Fragen überhörend, ganz in ihre Pflichten vertieft, den Dienern bereits Aufträge. Erst am folgenden Tag erfuhr Isabella, daß Eduard, der Sohn des Försters, bis zu seinem 13. Jahre als Christ erzogen worden sei; als jedoch in Ungarn und anderen Orten Judenverfolgungen ausbrachen, empörte dies den Mann dergestalt, daß er, von seinem ersten Entschluß zurückkommend, den Christen zum Trotz, den Sohn in die jüdische Schule schickte, ihn vollständig israelitisch erziehen ließ. Frau von Pork tadelte diese Starrköpfigkeit des Försters sehr. Isabella jedoch meinte, gerade dieser Charakterzug gefiele ihr an dem Alten ausnehmend, übrigens könne man nicht wissen, ob Eduard in der That ein Jude sei, ob er nicht in späteren Jahren aus freien Stücken wieder den alten, christlichen Glauben angenommen.

* * *

      II

      Das Residenzschloß des Grafen Ibstein lag unweit des gräflichen Landstädtchens Ibstein, dicht am sogen. Ibsteiner See. Zuweilen ward das große im 15. Jahrhundert erneuerte und im Jahre 1685 nochmals umgebaute Renaissanceschloß von einigen Fremden seiner Rüstkammer halber besucht; auch ein Museum, eine Hirschgallerie, eine Grabkapelle und ein Rittersaal bildeten zuweilen Anziehungspunkte für Vorüberreisende. Rechts und links vor dem Portal stand je ein eiserner Hirsch; prächtige Eichen umrauschten seine reichornamentirten, rötlichen Facaden, und der wohlgepflegte Garten, der sich rings um seine altersgrauen Türme hinzog, verlor sich nach beiden Seiten in den wildromantischen Park, während er nach der nördlichen Seite eine Terrasse bildete, die senkrecht aus dem See emporstieg. Man bewahrte außer verschiedenen griechischen Altertümern, die der verstorbene Graf Leopold aus Italien, man darf wohl sagen entwendet hatte, den Sarg einer deutschen Kaiserin in der Grabkapelle auf. Das Museum, dessen Schätze ebenfalls dem Kunstsinn und dem Aneignungstalente des Grafen Leopold ihre Aufspeicherung verdankten, enthielt nebst einer ägyptischen Mumie, deren Byssusbinden eine neugierige Hand teilweise entfernt hatte, das Schweißtuch des Grafen August und den hohlen Zahn der Gräfin Leontine, welchen ihr, wie das Gerücht geht, einer ihrer Kavaliere nächtlicher Weile auf eine rätselhafte Weise ausgezogen haben soll. Eine prächtige Urne bewahrte die Nasenspitze des jungen Grafen Ulrich, die derselbe im Duell mit dem General X . . . . verloren hatte. In der Hirschgallerie war selbstverständlich das ganze Mobiliar aus Hirschgeweihen verfertigt, das hierdurch völlig unbrauchbar, ja geradezu häßlich wurde; der Kronleuchter z. B. bestand aus einem Zweiunddreißig-Ender, den der regierende Fürst erlegt hatte, nachdem sein ihn begleitender Förster mit ihm zugleich geschossen. Es war bereits gegen fünf Uhr abends, als Isabella, nachdem sie sich umgekleidet, durch die verschiedenen Gemächer