die schwere Hausthür hinter ihm ins Schloß; dann herrschte tiefes Schweigen wie zuvor. Ich machte eine gewaltsame Anstrengung, meine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen und kehrte zu dem ersten Schrank unter dem Repositorium zurück.
Er war in zwei Hälften getheilt.
Die obere Hälfte enthielt nichts als Cigarrenkisten, während in der unteren sich eine Muschelsammlung befand. Sonst war in dem ersten Schrank nichts Verdächtiges zu entdecken.
Als ich den zweiten Schrank öffnete, fiel es mir plötzlich auf, daß es dunkel geworden war.
Ich sah nach dem Fenster. Es war mittlerweile Abend geworden. Die plötzliche Verfinsterung war durch Wolken hervorgebracht worden, die sich am Himmel zusammengezogen hatten. Schwere Regentropfen schlugen gegen die Fensterscheiben; der Herbstwind pfiff traurig durch die Raume des öden Hofes. Ich schürte das Feuer ein wenig an, ehe ich meine Nachforschungen erneuerte.
Trotz des wieder auflodernden Feuers war mir eiskalt, als ich zu dem Repositorium zurückkehrte. Meine Hände zitterten, ich wußte mir die Ursache dieser plötzlichen Nervenverstimmung nicht zu erklären.
Das zweite Spind enthielt in seiner oberen Hälfte einige sehr schöne, aber nicht geschnittene Kameen. In einer Ecke bemerkte ich ein sauber geschriebenes Manuscript. Ich griff schnell danach, aber nur um einer neuen Enttäuschung zu begegnen. Das Manuseript enthielt nichts als einen Katalog über die Kameen.
Zu der unteren Hälfte übergehend fand ich schon kostbarere Kuriositäten, schön geschnittene Elfenbeinsachen aus Japan und feine Lacksachen aus China. Die Durchsuchung der Schätze des Majors begann mich abzuspannen. Als ich das zweite Spind schloß, empfand ich kaum Neigung, das dritte zu öffnen. Endlich that ich es dennoch.
Auf dem obersten Fach entdeckte ich ein einziges großes prachtvoll gebundenes Buch, in blauem Sammet mit zierlich ciselirten Klammern, die so fest in ihre Oesen gedrückt waren, als hätten sie die Ausgabe, den Inhalt des Bandes vor neugierigen Augen zu schützen.
Die Blätter waren vom feinsten Velimpapier, rund herum mit geschmackvoll gezeichneten Illustrationen. Und was enthielten diese kostbar geschmückten Seiten? Zu meinem unaussprechlichen Erstaunen, zu meinem tiefsten Widerwillen enthielten sie nur Haarlocken welche in der Mitte eines jeden Blattes mit zierlichen Seidenstichen befestigt waren Unter denselben bemerkte ich Zuschriften welche mir bewiesen daß die verschiedenen Haarlocken Liebes- und Erinnerungszeichen von Damen waren, welche des Majors leicht entzündliches Herz in verschiedenen Perioden bezaubert hatten Die Unterschriften waren außer in der englischen in verschiedenen anderen Sprachen geschrieben.
So zeigte die erste Seite eine Locke vom allerhellblondesten Haar mit der Unterschrift: »Meine angebetete Madeleine Ewige Treue. 22. Juli 1839!« Andere Locken in Braun, Schwarz und Roth trugen italienische, französische und spanische Unterschriften. Endlich legte ich das Buch entrüstet nieder und war eben im Begriff, mich dem Repositorium zuzuwenden, als ich fast instinctiv den Band noch einmal in die Hand nahm.
Ich wandte alle Blätter um, bis ich zu dem ersten leeren gelangte. Nachdem ich die Entdeckung gemacht, daß die folgenden Blätter ebenfalls nicht von Locken beschwert waren, faßte ich das Buch vorsichtig an beiden Seiten des Rückens und schüttelte es in der Hoffnung, daß vielleicht lose Blätter darin sein möchten die ich beim ersten Durchsehen nicht entdeckt.
Diesmal wurde meine Geduld durch eine Entdeckung belohnt, welche mich unbeschreiblich irritirte und betrübte.
Eine kleine Photographie in Visitenkartenformat fiel aus dem Buch.
Bei dem ersten flüchtigen Blick bemerkte ich sofort die Portraits zweier Personen auf der Karte.
In der einen dieser Personen erkannte ich meinen Gatten.
Die andere Figur stellte eine Frau dar.
Ihr Antlitz war mir vollständig unbekannt. Sie war nicht mehr jung. Sie saß auf einem Stuhl, und mein Gatte stand hinter ihr und beugte sich über sie, indem er eine ihrer Hände hielt. Die Züge der Frau waren hart geschnitten und häßlich, mit unverkennbaren Zeichen heftiger Leidenschaften und großer Willenskraft. Trotz ihrer großen Häßlichkeit preßte mir die Eifersucht das Herz zusammen als ich den ruhig gütigen Blick meines Mannes bemerkte, der auf sie gerichtet war.
Eustace hatte mir in den Zeiten unseres Verlobtseins die Mittheilung gemacht, daß er sich früher, ehe er mich gekannt, öfters in dem Glauben befunden habe, verliebt zu sein. Sollte dies so wenig anziehende Weib ein Glied in der Kette jener Damen bilden denen er früher seine Bewunderung geschenkt? Hatte sie ihm nahe genug gestanden um ihn zu dem Entschluß zu bringen sich Hand in Hand mit ihr photographiren zu lassen? Je länger ich die beiden Portraits anschaute, desto weniger vermochte ich ihren Anblick zu ertragen. Ich warf die Photographie unwillig in eine Ecke des Schrankes. Ich war ernstlich böse aus meinen Gatten; ich haßte von ganzem Herzen und von ganzer Seele jenes Weib, dessen Hand er in der seinen hielt, jenes unbekannte Weib mit den harten häßlichen Zügen.
Während dieser ganzen Zeit wartete der untere Raum des Schrankes vergebens auf Besichtigung. Ich kniete nieder, um das Versäumte nachzuholen und um durch andere Eindrücke die entwürdigende Eifersucht zu verbannen die von meinem ganzen Wesen Besitz genommen.
Unglücklicherweise enthielt die untere Abtheilung des Schrankes nichts als Reliquien aus, des Majors militärischer Vergangenheit Degen, Pistolen, Epauletten, Schärpen u.s.w. u.s.w., was Wunder, daß meine Augen wieder nach dem oberen Raum wanderten und daß meine Hände die Photographie wieder herausholten, deren Anblick mich sofort aufregte und verletzte. Dies-mal bemerkte ich, was ich vorhin unbeachtet gelassen, einige von Frauenhand geschriebene Zeilen auf der Rückseite der Karte:
»Dein Major Fitz-David mit zwei Vasen Von seinen Freunden S. und E. M.«
War eine von diesen Vasen vielleicht die zerbrochene gewesen? Hatte die Veränderung der Miene, die ich am Major bemerkte, hiermit in Zusammenhang gestanden? Weit mehr als die Beantwortung dieser beiden Fragen beschäftigten mich die Initialen auf der Rückseite der Karte.
»S. und E. M.?« Die letzteren beiden Buchstaben konnten für die Initialen des wahren Namens meines Mannes gelten: Eustace Macallan In diesem Fall bedeutete wohl der erstere Buchstabe S. ihren Namen. Mit welchem Recht durfte sie sich in dieser Weise mit meinem Manne associiren? Ich dachte einen Augenblick nach. Mein Gedächtniß half mir, Eustace hatte mir ja erzählt daß er Schwestern besäße. War ich thöricht genug gewesen mich seiner Schwestern wegen mit Eifersucht zu martern? Es mochte wohl sein. Das S. bedeutete jedenfalls den Vornamen einer seiner Schwestern. Ich fühlte mich tief beschämt nach dieser Reflexion. Welch ein Unrecht hatte ich in Gedanken Beiden zugefügt! Bereuend und traurig ließ ich noch einmal einen Blick auf die beiden Portraits fallen um sie diesmal mit milderem Urtheil zu prüfen.
Ich konnte auch nicht die geringste Familienähnlichkeit zwischen den beiden Köpfen finden. Im Gegentheil sie waren einander so verschieden wie es Gesichter überhaupt nur sein können. War sie denn überhaupt seine Schwester? Ich blickte genauer auf die Hände Ihre rechte Hand war von der meines Gatten umschlossen die linke ruhte auf ihrem Schooß. Auf dem dritten Finger derselben trug sie einen Trauring. War denn eine der Schwestern meines Mannes verheirathet? Ich hatte ihm früher diese Frage vorgelegt und ich entsann mich jetzt deutlich, daß er sie verneinte.
Sollte meine erste instinctive Eifersucht mich dennoch auf den richtigen Weg geführt haben? Wenn dem so war, welcher Zusammenhang bestand zwischen den drei Initialen? Was bedeutete der Trauring? Gott im Himmel! Blickte ich auf das Portrait einer Nebenbuhlerin in meines Gatten Neigung, und war diese Nebenbuhlerin sein Weib?
Mit einem Schrei des Entsetzens warf ich die Photographie von mir. Für den ersten Moment glaubte ich den Verstand zu verlieren. Die Liebe zu Eustace ließ mich meine Geistesgegenwart und Vernunft behalten. Meine besseren und edleren Gefühle gewannen die Oberhand. War der Mann den ich in meines Herzens Herz eingeschlossen der elenden Handlung fähig, mich neben einer zweiten geheirathet zu haben? Nein! Ich war die Elende, die nur für einen Augenblick sich durch einen solchen Gedanken erniedrigen konnte.
Ich nahm die unglückliche Photographie vom Boden auf und legte sie in das Buch zurück. Hastig schloß ich den Schrank wieder zu, holte die kurze Leiter und lehnte sie gegen das Repositorium. Ich wollte durch neue Eindrücke