deren Familie, wie Sie sehr gut wissen, der niedrigsten Gesellschaftsschicht angehört, mit einer Frau, deren Manieren nichts weniger als distinguirt sind, und die nichts Höheres kennt, als ihre Kinderstube, ihre Küche, ihr Piano und ihre Bücher. Ist das eine Frau, die mir dazu verhelfen kann, mir eine angemessene Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen, die mir die socialen und politischen Hindernisse hinwegräumen und mir den Weg zum Oberhause bahnen kann? Bei Gott! Wenn je ein Mann Ursache gehabt hat, seine Frau vor den Augen der Welt zu verbergen, wie Sie es nennen, so bin ich es. Und wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen, nur weil ich sie hier nicht hinreichend verborgen halten kann, will ich dieses Haus verlassen. Sie hat eine verwünschte Art, überall, wohin wir kommen, Bekanntschaften zu machen. Wenn ich noch lange hier bleibe, so wird sie auch hier bald einen Kreis von Freunden um sich versammelt haben, von Freunden, die sich ihrer als der berühmten Opernsängerin erinnern, und die sehen werden, wie ihr schuftiger Schwindler von Vater, sobald ich den Rücken kehre, betrunken in’s Haus kommt, um Geld von ihr zu borgen. Ich sage Ihnen, meine Heirath hat meine Aussichten vernichtet. Es nützt mir nichts, daß man mir von den Tugenden meiner Frau erzählt. Mit all’ ihren Tugenden ist sie für mich nur ein Block am Bein. Wenn ich nicht ein Schwachkopf gewesen wäre, hätte ich gewartet und eine Frau geheirathet, die mir etwas hätte nützen können; eine Frau von vornehmer Familie —.«
Kendrew unterbrach seinen Wirth, indem er ihm plötzlich die Hand auf den Arm legte, mit den Worten: »Um es kurz zu machen, eine Frau wie Lady Jane Parnell.«
Vanborough stutzte. Zum ersten Mal wichen seine Blicke denen seines Freundes aus.
»Was wissen Sie von Lady Jane?« fragte er.
»Nichts. Ich Verkehre nicht mit Lady Janes Gesellschaft, – aber ich besuche bisweilen die Oper, und da habe ich Sie gestern Abend mit ihr in ihrer Loge sitzen gesehen und mit angehört, was im Parquet um mich her gesprochen wurde. Man sprach ungenirt von Ihnen als dem Begünstigten, den Lady Jane vor allen andern Männern auszeichnet. Sagen Sie sich selbst, was daraus entstehen müßte, wenn Ihrer Frau das zu Ohren käme. Sie thun Unrecht, Vanborough, in jeder Weise Unrecht, Sie beunruhigen Sie betrüben mich. Ich habe diese Erklärung nicht gesucht, aber jetzt, wo ich dazu gedrängt worden bin, mich auszusprechen, scheue ich mich nicht, meine ganze Meinung zu sagen. Prüfen Sie selbst Ihr Benehmen, bedenken Sie als gewissenhafter Mann, was Sie gegen mich geäußert haben, sonst kann ich nicht länger Ihr Freund sein. Nein! Ich wünsche jetzt nicht weiter über die Sache zu reden. Wir ereifern uns Beide und würden uns zu Aeußerungen hinreißen lassen, die besser unausgesprochen bleiben. Noch einmal, lassen Sie uns von etwas Anderem reden. Sie schrieben mir, daß Sie meine Gegenwart heute wünschten, weil Sie meines Raths in einer wichtigen Angelegenheit bedürfen. Um was handelt es sich?«
Es entstand eine Pause. In Vanboroughs Zügen verrieth sich eine gewisse Verlegenheit Er schenkte sich ein zweites Glas Wein ein und leerte es aus einen Zug, bevor er antwortete.
»Nach der Art, wie Sie mit mir über meine Frau gesprochen haben, ist es nicht ganz leicht für mich Ihnen zu sagen, um was es sich handelt«
Kendrew sah ihn erstaunt an. »Betrifft die Sache Mrs. Vanborough?« fragte er.
»Ja«
»Weiß sie davon?«
»Nein.«
»Haben Sie die Sache um ihretwillen bis jetzt geheim gehalten?«
»Ja«
»Habe ich ein Recht, Ihnen dabei einen Rath zu ertheilen?«
»Sie haben das Recht eines alten Freundes.«
»Warum geh’n Sie dann nicht offen mit der Sprache heraus?«
Vanborough war ersichtlich wieder verlegen. »Sie erfahren«, antwortete er, »die Sache besser aus dem Munde eines Dritten, den ich hier jeden Augenblick erwarte. Er kennt alle in Betracht kommenden Thatsachen ganz genau und kann sie Ihnen besser mittheilen, als ich.«
»Und wer ist dieser Dritte?
»Mein Freund Delamayn.«
»Ihr Advokat?«
»Ja, der jüngere Associé in der Firma Delamayn, Hawke und Delamayn. Kennen Sie ihn?«
»Oberflächlich. Die Familie seiner Frau war vor seiner Verheirathung mit der meinigen befreundet. Ich mag ihn nicht.«
»Sie sind heute schwer zu befriedigen. Wenn je ein Mensch eine große Zukunft vor sich hatte, so ist es Delamayn. Ein Mann, vor dem sich eine bedeutende Carriére eröffnet und der die nöthige Energie hat, um sie zu verfolgen. Er ist im Begriff, aus der Firma auszutreten und sein Glück als plaidirender Advokat zu versuchen. Jedermann ist überzeugt, daß er es weit bringen wird. Was haben Sie gegen ihn?«
»Durchaus nichts. Es begegnet ja uns Allen, daß wir Menschen schon bei der ersten Bekanntschaft nicht mögen, ohne uns über unsere Antipathie Rechenschaft geben zu können. Und so geht es mir mit Delamayn, ich mag ihn nicht, ohne recht zu wissen, warum.«
»Und doch müssen Sie sich ihn heute Abend gefallen lassen, er wird gleich hier sein.«
Und in demselben Augenblick öffnete der Diener die Thür und meldete: – Mr. Delamayn.«
III
Schon in der äußeren Erscheinung des Mr. Delamayn kündigte sich der Mann an, der seinen Weg im Leben unbeirrt zu verfolgen entschlossen ist. Sein bartloses Gesicht mit den scharfen Zügen, seine klaren grauen Augen, seine dünnen, fest geschlossenen Lippen sprachen deutlich: »Ich bin entschlossen, in der Welt fortzukommen; und, wenn Ihr mir im Wege seid, so müßt Ihr mir gutwillig oder mit Gewalt weichen.«
Mr. Delamayn war in der Regel gegen Jedermann höflich, aber kein Mensch hatte ihn je, auch nicht zu seinem besten Freunde, ein einziges überflüssiges Wort sagen hören. Er war ein Mann von seltener Begabung, ein Mann von nach den Gesetzen der Welt unbescholtenem Ruf, aber kein Mann, dem man vertraulich hätte die Hand reichen mögen. Es wäre Niemandem zu rathen gewesen, sich wegen eines Darlehns an ihn zu wenden, aber unbedenklich hätte man ihm eine Summe ungezählten Goldes anvertrauen dürfen. In Verlegenheiten privater und persönlicher Natur würde man Anstand genommen haben, ihn um seinen Beistand zu bitten; aber bei Verlegenheiten, die sich zu einer öffentlichen Verhandlung eigneten, würde Jeder sich gern an Delamayn gewandt und gesagt haben: »Das ist mein Mann« Er war ein Mann des sichern Erfolgs, man brauchte ihn nur anzusehen, um davon überzeugt zu sein.
»Mr. Kendrew ist einer meiner ältesten Freunde«, sagte Mr. Vanborough, zu dem Advokaten gewandt. »Was Sie mir auch zu sagen haben, sprechen Sie es ruhig vor ihm aus. Nehmen Sie ein Glas Wein?«
»Nein, ich danke.«
»Bringen Sie mir etwas Neues?«
»Ja.«
»Haben Sie die Gutachten der beiden von uns consultirten Advokaten bei sich?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil wir ihrer nicht bedürfen. Wenn die von Ihnen angegebenen Thatsachen richtig sind, so kann über die Anwendbarkeit des betreffenden Gesetzes auf dieselben nicht der geringste Zweifel obwalten.«
Mit diesen Worten zog Mr. Delamayn ein Schriftstück aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch.
»Was ist das?« fragte Mr. Vanborough.
»Die schriftliche Darlegung der Ihre Verheirathung begleitenden Umstände.«
Mr. Kendrew stutzte und fing erst jetzt an, sich für die Unterhaltung zwischen Vanborough und seinem Advokaten zu interessiren, von der er bisher keine Notiz genommen hatte.
Mr. Delamayn sah ihn einen Augenblick an und fuhr dann fort:
Es ist die Darlegung Ihres Falls, wie Sie ihn selbst vorgetragen haben und wie ihn unser erster Schreiber zu Papier gebracht hat.«
»Wozu soll uns das jetzt noch nützen? fragte Vanborough; »Sie haben ja die nöthigen Erkundigungen über die Nichtigkeit meiner Angaben eingezogen, nicht wahr?«
»Und haben gefunden, daß ich im Rechte bin?«
»Ich habe gefunden, daß Sie im Rechte sind, wenn