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Sie hielt ein und ließ den Satz unvollendet. Ihre Augen wendeten sich langsam von ihrem Herrn ab und blickten nach dem Kamin hin. Wenn sie eine weniger vortreffliche und erfahrene Haushälterin gewesen wäre, so hätte sich Mr. Wilding einbilden können, daß ihre Aufmerksamkeit schon am Anfang ihrer Unterredung abzuschweifen beginne.
»Acht Uhr ist meine Frühstückszeit,« nahm er das Gespräch wieder auf. »Es ist eine meiner Tugenden, daß mir gebratener Speck nie überdrüssig wird und eines meiner Laster, daß ich Eier stets mit Mißtrauen betrachte.« Mrs. Goldstraws Augen kehrten wieder zu dem Sprechenden zurück, aber sie weilten. nur halb auf ihrem Herrn und zur andern Hälfte auf ihres Herrn Kamin. »Ich trinke Thee,« fuhr Mr. Wilding fort; »und bin, was denselben anbetrifft, krankhaft peinlich; ich trinke ihn in einer genau abgemessenen Zeit nach seinem Fertig werden. Wenn mein Thee zu lange steht —«
Er hielt jetzt seinerseits ein und ließ den Satz unvollendet. Wenn er nicht im Besprechen eines Gegenstandes von so ungemeiner Wichtigkeit, als sein Frühstück begriffen gewesen wäre, so hätte Mrs. Goldstraw sich einbilden können, daß auch seine Aufmerksamkeit schon im Anfang des Gesprächs abzuschweifen beginne.
»Wenn Ihr Thee zu lange steht »Sir?« half die Haushälterin ein, höflich den Faden des Gesprächs wieder aufnehmend.
»Wenn mein Thee zu lange steht« – wiederholte der Weinhändler mechanisch, aber sein Geist verlor sich weiter und weiter hinweg vom Frühstück und seine Augen hefteten sich immer forschender auf die Züge der Haushälterin. »Wenn mein Thee – Himmelt Himmel! Mrs. Goldstraw Woran erinnert mich Ihre Art und Weise und Ihre Stimme? Es ergreift mich heute noch mehr als gestern, wo ich Sie zum ersten mal sah. Was kann es sein?«
»Was kann es sein?« wiederholte Mrs. Goldstraw.
Sie sprach die Worte und dachte augenscheinlich an ganz etwas anderes, als an das, was sie sprach. Der Weinhändler der sie noch immer forschend ansah, bemerkte, daß ihre Augen wieder und wieder nach der Kaminwand hinschweiften. Sie blieben an dem Portrait seiner Mutter hängen, welches sich dort befand und blickten es an. Sie zog ihre Brunnen leicht zusammen, wie man es bei einer kaum bewußten Anstrengung des Denkvermögens zu thun pflegt. Mr. Wilding erklärte:
»Meine geliebte verstorbene Mutter ist ihrem fünfundzwanzigsten Jahre.«
Mrs. Goldstraw bedankte sich mit einer leichten Kopfbewegung für die Mühe, die er sich nahm, ihr das Bild zu erklären und sagte wieder mit freier Stirn, daß es das Portrait einer sehr schönen Dame wäre.
Mr. Wilding fiel in sein früheres Sinnen zurück und versuchte auf’s Neue seine Erinnerungen aufzufrischen, die so genau und so unerklärlich sich an die Stimme und an die Art und Weise der neuen Haushälterin knüpften.
»Entschuldigen Sie eine Frage, welche freilich nichts mit mir oder meinem Frühstück zu thun hat,« sagte er. »Darf ich wissen, ob Sie je eine andere Stellung inne gehabt haben als die einer Haushälterin?«
»Ja, Sir. Im Anfange meiner Laufbahn war ich Kinderwärterin im Findelhause.«
»Ha! da ist es!« rief der Weinhändler seinen Stuhl zurückstoßend. »Beim Himmel. An deren Art und Weise erinnern Sie mich.«
Mrs. Goldstraw sah, ihn verwundert an und wechselte die Farbe. Dann nahm sie sich gewaltsam zusammen, senkte Je Augen zur Erde und verharrte schweigend und bewegungslos.
»Was ist Ihnen?« fragte Mr. Wilding.
»Verstehe ich Sie recht, Sir? Sie sind im Findelhause gewesen?«
»Gewiß. Ich schäme ich nicht, es einzugestehen.«
»Unter dem Namen, den Sie noch führen?«
»Unter dem Namen Walter Wilding.«
»Und die Dame?« – Mrs. Goldstraw hielt ein und warf einen Blick, der augenscheinlich von Angst und Unruhe sprach, auf das Portrait.
»Ist meine Mutter,« unterbrach sie Mr. Wilding.
»Ihre – Mutter,« wiederholte die Haushälterin gezwungen, »nahm Sie aus dem Findelhause? Wie alt waren Sie da,Sir?«
»Zwischen elf und zwölf Jahren. Es ist eine ganz romantische Geschichte, Mrs. Goldstraw.«
Er erzählte in seiner unbefangenen mittheilsamen Weise, wie eine Dame während der Tischzeit mit ihm gesprochen habe, als er und die andern Knaben im Findelhause beim Mittagbrod gewesen seien, und welche Folgen sich daran für ihn geknüpft hätten. »Meine arme Mutter würde mich nicht herausgefunden haben,« setzte er hinzu, »wenn nicht eine der Aufseherinnen, mit der sie gerade zusammentraf, Mitleiden gehabt hätte. Dieselbe willigte ein, den Knaben, welcher Walter Wilding genannt wurde, beim Herumgehen um die Tische anzufassen – und auf diese Art erhielt meine Mutter mich wieder, nachdem sie an der Thür des Findelhauses aus ewig Abschied von mir genommen hatte, als ich ein ganz kleines Kind gewesen bin.«
Bei diesen Worten sank Mrs. Goldstraw’s Hand vom Tisch, auf dem sie lag, in ihren Schooß. Die Haushälterin saß, ihren neuen Herrn anstarrend, mit einem Gesicht das todtenbleich geworden war und mit Augen da, die unsäglichen Schrecken ausdrückten.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Weinhändler. »Halt!« rief er. »Es steht vielleicht noch etwas aus meiner Vergangenheit mit Ihnen in Beziehung. Ich erinnere mich, daß meine Mutter mir von einem Mädchen aus dem Findelhause erzählte, dem sie zu großem Dank verpflichtet war. Damals, als sie sich von mir getrennt hatte, verrieth eine der Kinderwärterinnen den Namen, der mir in dem Institut zuertheilt worden. Waren Sie die Kinderwärterin?«
»Gott vergebe mir, Sir – ich war es.«
»Gott vergebe Ihnen?«
»Wir thäten besser, Sir, wenn ich so frei sein darf, das auszusprechen, zu den Pflichten, die ich im Hause übernehmen soll, zurückzukehren,« sagte Mrs. Goldstraw. »Um acht Uhr frühstücken Sie. Nehmen Sie Mittags ein zweites Frühstück oder Ihr Diner ein?«
Die dunkle Röthe, die Mr. Bintrey in das Antlitz seines Clienten hatte aufsteigen sehen, begann sich aufs Neue zu zeigen. Mr. Wilding faßte mit der Hand an die Stirn und kämpfte eine augenblickliche Verwirrung, die dort herrschte, nieder, ehe er zu sprechen anfing.
»Mrs. Goldstraw! sagte er, »Sie verheimlichen etwas vor mir!«
Die Haushälterin wiederholte beharrlich: »Wollen Sie nicht so gütig sein, mir zu sagen, Sir, ob Sie Mittags ein zweites Frühstück einnehmen oder dinieren?«
»Ich weiß nicht, was ich Mittags thue. Ich bin nicht eher im Stande auf häusliche Angelegenheiten einzugehen, Mrs. Goldstraw, bis ich nicht erfahren habe, warum Sie die Freundlichkeit, die Sie meiner Mutter erwiesen haben, bereuen, eine Freundlichkeit, deren meine Mutter dankbar bis zu ihrem Lebensende gedachte. Sie erzeigen mir keinen Dienst mit ihrem Schweigen. Sie regen mich auf und beunruhigen mich. Sie beschwören das Sausen in meinem Kopf herauf!« Seine Hand faßte wieder nach der Stirn, und die Röthe in seinem Antlitz wurde tiefer und tiefer.
»Es ist traurig für mich, Sir,« sagte die Haushälterin, »gerade beim Eintritt in Ihren Dienst etwas gestehen zu sollen, was mir Ihre gute Meinung kosten kann. Bitte, wollen Sie sich erinnern, wie es auch enden mag, daß ich nur spreche, weil Sie darauf bestehen, und weil ich sehe, wie sehr ich Sie durch mein Schweigen beunruhige. Als ich der armen Lady, deren Portrait dort oben hängt, den Namen verrieth, den man ihrem Kinde im Findelhause gegeben hatte, verletzte ich allerdings meine Pflicht, und ich sehe, schreckliche Folgen – Folgen, die mich entsetzten – sind daraus erwachsen. Ich will die Wahrheit eingestehen, so gut ich es vermag. Wenige Monate, nachdem ich der Lady den Namen ihres Kindes verrathen hatte, erschien eine Dame vom Lande, eine Fremde, in dem Institut, welche den Wunsch aussprach eines unserer Kinder zu adoptieren. Die nöthige Erlaubniß dazu brachte sie mit, und nachdem sie eine Menge unserer Zöglinge gesehen hatte, ohne sich entschließen zu können, erfaßte sie eine plötzliche Zuneigung zu einem derselben – einem Knaben, – der unter meiner Aufsicht stand. Bitte, suchen Sie sich zu fassen, Sir, das Verheimlichen ist nicht mehr möglich. Das Kind, welches die Fremde mit sich nahm, war das Kind jener Dame, deren Bild hier hängt.«
Mr. Wilding starrte den Boden an. »Unmöglich!« rief er mit aller