sagte sich, dass es sich bei der Staatsanwältin wohl um eine alte, vertrocknete Jungfer handeln müsse, da sie sie offensichtlich nicht mochte. Cleo konnte nicht ahnen, dass sie gerade eine Situation unterbrochen hatte, der sich die Staatsanwältin sehr gerne hingegeben hätte.
„Aber es spricht alles dafür, dass meine Vermutung stimmt!“
Die Staatsanwältin stieß den jungen Mitarbeiter, der sich ihr bei den letzten Worten wieder genähert hatte und seine Arbeit von vorne beginnen wollte, von sich.
„Wir machen nachher weiter, Paul! Lass mich jetzt mal alleine.“
Paul verzog zuerst das Gesicht und dann sich selbst. Er verließ das Büro, obwohl seine Hose noch etwas angespannt war.
„Frau Brecht, wenn es wirklich so ist, sollten Sie nach Hamburg fahren.“
In der Hoffnung, dass die Polizistin damit einige Zeit verbringen würde, gab sie ihr diese Empfehlung.
Brecht war begeistert.
„Ok. Das mache ich. Vielen Dank, Frau Staatsanwältin. Aber ich brauche auch hier einen Kollegen. Alleine ist das nicht zu schaffen.“
Das hatte die Staatsanwältin befürchtet. Sie seufzte.
„Ok, Frau Brecht. Ich spreche mit Ihrem Vorgesetzten.“
„Gut. Dann will ich mich mal auf den Weg machen.“
„Ach, Frau Brecht. Wo wollen Sie eigentlich in Hamburg ansetzen?“
„Na, wenn das Mädchen in Hamburg gelandet ist, ist doch anzunehmen, dass hier die Fäden gezogen werden. Alleine ist sie doch nicht auf die Idee gekommen, das Kokain zu schmuggeln. Außerdem ist hier ihr Bruder ebenfalls ums Leben gekommen. Unter mysteriösen Umständen. Leider wurde er eingeäschert, sodass eine Obduktion ...“
„Ja, ja. Ist schon gut. Da ist nichts mehr herauszubekommen. Konzentrieren Sie sich auf das Mädchen.“
„Ok. Mach ich, Frau Staatsanwältin.“
Sie beendete auch dieses Gespräch, welches der Staatsanwältin noch einige Zeit Kopfzerbrechen bereitete. Erst danach und nach einer Tasse Kaffee rief sie ihren Mitarbeiter Paul wieder ins Büro.
Cleo telefonierte zum dritten Male. Sie rief in Hamburg an. War sie als einer der besten Absolventen der Polizeiakademie erst vor kurzem von der Schule abgegangen, so kannte sie sich in Hamburg bestens aus. Ihr Mentor und alter Freund Peter Hannes Petersen hielt große Stücke auf sie und wollte ihr nun behilflich sein, als sie ihn fragte, wo sie in diesem Falle ansetzen sollte. Sie erklärte ihm den Fall und die bisherigen Ermittlungsergebnisse.
Petersen hatte seine lockere Art mit Azubis, wie er die Absolventen der Akademie nannte, umzugehen. Er nahm sie oft hoch und hatte immer einen Witz auf Lager.
„Deern, da brauchts ´ne Menge Fingerspitzengefühl. Die Ganoven hier in Hamburg sind sensibler als im Bundesdurchschnitt. Gerade bei den Drogen fangen die gleich an zu heulen. Nimm denen bloß nichts von dem Pulver weg. Das verkraften die nicht.“
Cleo musste lachen.
„Nee, nee mach ich schon nicht. Aber sagen Sie mir mal, wem ich etwas wegnehmen könnte?“
„Aha, die Deern ist ja eine ganz Schlaue. Denkt, ich verplappere mich und verrate ihr, wer hier in Hamburg die Fäden zieht.“
„Ach kommen Sie, Herr Petersen! Einen Tipp können Sie Ihrer Lieblingsschülerin doch geben.“
„Ich glaub es ja nicht! So plump wollen Sie mich um den Finger wickeln?“
Cleo machte gerade ein etwas enttäuschtes Gesicht, als Petersen antwortete.
„Reingefallen! Klar kriegst du einen Tipp. Aber nur, wenn ich dich zum Abendessen einladen darf.“
„Danke. Danke. Also, wer hat hier das Sagen?“
„Komm erst mal hier an. Willst du wieder in der Pension bei Mutter Anna wohnen? Dann lasse ich dir ein Zimmer reservieren und wir treffen uns dort.“
„Ok. So machen wir‘s.“
Als man am Abend bei einem Essen in einem der Fischrestaurants in Altona am Fischmarkt saß, kam die Sprache wieder auf die Geschehnisse um die tote Drogenschmugglerin.
Cleo gab ihre Kenntnis preis.
„Der Beamte in Chile sagte mir, dass hier junge Mädchen als Au-pair angeworben und als Drogenkuriere eingesetzt werden. Habt ihr eine Vermutung, ob da eine Organisation dahintersteckt? Es können gut und gerne mehrere Personen sein.“
Peter Petersen machte ein nachdenkliches Gesicht.
„Hm. Da kann ich nicht viel zu sagen. Hamburgs Innenstadt, insbesondere das Bahnhofsviertel, ist ein Drogenbrennpunkt. In St. Georg haben wir jeden Tag über einhundert Dealer, die weit über dreihundert Abhängige versorgen. Das Ganze bei sechzig Drogentoten pro Jahr. Wir haben letztes Jahr über zweihundertfünfzig Razzien machen müssen und mussten viele Personen wieder laufen lassen.“
„Warum das?“
„Ein Gramm Kokain im Besitz ist erlaubt. Die Personen, die mehr haben, werfen es schnell weg. Dann können wir selten zugreifen. Wir konzentrieren uns hier aber im Wesentlichen auf den Schmuggel im großen Stil. Erst kürzlich haben wir in einem Container sechshundert Kilo Stoff gefunden. Da war die rückwärtige Wand mit einer zweiten Wand davor zugeschweißt. Seit kurzem gibt es am Hafen aber ein riesiges Röntgengerät, das alle Container blitzschnell erfassen kann. Aber solch kleine Mengen Koks, die geschluckt werden, sind kaum erfassbar und da lohnt es sich auch nicht, einen noch größeren Aufwand zu betreiben. Die Leute haben wir einfach nicht dafür.“
„Ja, verstehe. Wird so ein Container entdeckt, verlieren die Dealer gleich einen hohen Betrag. Aber nehmen wir mal an, es steckt doch eine Logistik bei den Au-pairs dahinter. Es werden zwar nur kleine Mengen geschmuggelt, aber dies sehr oft. Kleinvieh macht auch Mist!“
„Da kannst du schon Recht haben, Deern. Und sie verlieren, wenn einer auffliegt, nur einen kleinen Teil. Es gibt aber keine Statistik darüber.“
„Brauch ich auch nicht. Ich will nur wissen, wer in der Lage ist, so ein Geschäft zu organisieren.“
„Na, da haben wir die Hells Angels, zum Bleistift.“
„Nein, nein. Die sind eher für die Verteilung des Stoffs zuständig, nicht für die Beschaffung von Übersee.“
Cleos Gesprächspartner wurde nachdenklich.
„Vielleicht hast du Recht. Da gibt es eine Autowerkstatt in Wilhelmsburg. Der Inhaber ist nicht ganz koscher. Wir haben ihn schon zweimal verhaftet, mussten ihn aber immer wieder freilassen. Es war ihm nichts nachzuweisen.“
„Weswegen habt ihr ihn verhaftet?“
„Wir haben vermutet, dass die Werkstatt eine Tarnfirma ist. Dort werden Gelder gewaschen. Es sind undurchsichtige Mitarbeiter beschäftigt, manche sogar legal mit richtiger Anmeldung ...“
„Aber?“
„Da könnten Drogen eine Rolle spielen, obwohl wir bei der Durchsuchung nicht fündig geworden sind.“
„Du bist so nachdenklich. Ist da noch etwas?“
„Ja. Wie soll ich es sagen? Ich habe die Vermutung, dass die dort mit Auftragsmorden zu tun haben.“
„Auftragsmord. Und gleich mehrere?“
„Ja. Wir konnten nichts nachweisen. Wir haben zwar das Telefon und Handys abgehört. Nur Vermutungen – nichts Konkretes!“
„Die schau ich mir mal an!“
„Sei ja vorsichtig, Deern. Wenn es zutrifft, dass die da was mit Auftragsmorden zu tun haben, dann sind dort Killer am Werk. Dagegen ist das bisschen Koks ein Fliegenschiss!“
9. Verabredung zum Tod