Ulrich schüttelte den Kopf. »An Klatsch und Tratsch beteilige ich mich nicht. Aber wenn du deine Nachbarin kennenlernen willst, können wir beide ja in den nächsten Tagen mal unser Glück versuchen.«
Lucius willigte ein, und er machte keinen Versuch mehr, seinen Onkel zu weiteren Auskünften zu drängen. Das war aussichtslos und würde nur für Verstimmungen sorgen, die er ihnen beiden gern ersparen wollte.
So trennten sie sich eine Stunde später in bestem Einvernehmen und mit einer Verabredung für das kommende Wochenende.
*
»Herr zu Randerhausen ist da, Herr von Hoyningen.« Iris Aldekamp hatte die Stimme gesenkt, als sie ihrem Chef diese Ankündigung machte.
Der Notar Dr. Robert von Hoyningen zuckte kaum merklich zusammen, seiner Sekretärin entging diese Reaktion nicht. »Sagen Sie, ich bin in einer Besprechung, Frau Aldekamp.«
»Das habe ich schon, aber er …«
Die Tür wurde geöffnet und Alexis zu Randershausen erschien. »Besprechung, soso«, bemerkte er, während er seinen Blick im Zimmer umhergleiten ließ. »Lassen Sie uns allein, Frau Aldekamp, Ihr Chef hat jetzt nämlich eine Besprechung – mit mir!«
Iris Aldekamp warf dem Notar einen unsicheren Blick zu. Er nickte, und so zog sie sich zurück.
Alexis ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Was soll das?«, fragte er wütend. »Sie haben für mich jederzeit zu sprechen zu sein, und das wissen Sie auch.«
»Was wollen Sie noch, Herr zu Randershausen?«, fragte Robert von Hoyningen. Seine Stimme klang belegt, die Augen hinter der dicken Brille zuckten unruhig. Er war ein dicker kleiner Mann mit beginnender Glatze und weißer Haut. Ein Mann, den die meisten Frauen übersahen – bis sie erfuhren, wie erfolgreich im Beruf er war und wie viel er verdiente. Sobald sie im Besitz dieser Informationen waren, änderte sich ihr Verhalten ihm gegenüber schlagartig. Nur war bisher keine seiner »Beziehungen« von Dauer gewesen, obwohl ihn jede einzelne ein kleines Vermögen gekostet hatte.
»Sie wissen genau, was ich will – und Sie wissen auch, dass Sie es mir beschaffen werden«, erklärte Alexis unbekümmert. »Es hat schon einmal wunderbar geklappt, es wird auch beim zweiten Mal wunderbar klappen. Sie und ich werden noch viel reicher werden, und das ist es doch, was wir wollen, oder?«
Der Notar schluckte. »Mir reicht, was ich habe«, sagte er. »Und ich möchte es gern dabei belassen.«
Alexis’ Augen wurden schmal, als er sich vorbeugte und ihn fixierte. »Was soll das denn heißen?«, fragte er mit scharfer Stimme. »Los, sagen Sie es: Was soll das heißen?«
»Ich möchte mich an solchen … solchen Dingen nicht mehr beteiligen. Bitte, suchen Sie sich jemanden anders, Herr zu Randershausen.«
Alexis’ Hand schoss nach vorn und legte sich mit festem Griff auf den Arm des Notars. Seine schönen blauen Augen glitzerten gefährlich. »Ich denke gar nicht daran«, erklärte er. »Außerdem kann ich weitere Mitwisser nicht gebrauchen. Sie und ich, das reicht. Im Grunde genommen ist es schon einer zu viel, aber das lässt sich ja nun einmal nicht ändern. Also hören Sie auf, so einen Unsinn zu reden. Wir machen weiter – und zwar so lange, bis ICH genug habe. Was SIE wollen, spielt dabei leider keine Rolle. Haben wir uns verstanden?«
»Bitte, ich habe keine Nerven für …«
Alexis sprang auf und wischte dieses Argument weg, bevor es ganz ausgesprochen worden war. »Sie lernen das schon, mein Lieber. Das erste Mal ist immer am schwersten, aber wenn sich erst eine gewisse Routine einstellt …«
Im Nacken des Notars hatte sich Schweiß angesammelt, der ihm jetzt in den Kragen seines blütenweißen gestärkten Hemdes lief. »Mein Magen«, stammelte er, »ich habe einen nervösen Magen. Ich möchte das nicht mehr machen, es raubt mir die Ruhe. Schlafen kann ich auch nicht mehr.«
Alexis stellte sich direkt vor ihn, der Blick seiner schönen Augen war kalt, ebenso wie seine Stimme. »Tut mir leid«, sagte er, »aber aussteigen können Sie nicht. Ich lasse Sie sofort hochgehen, wenn Sie es versuchen, und das wissen Sie natürlich auch. Also hören Sie auf mit die-sem Gezeter, ich finde es lächerlich. Reißen Sie sich zusammen. Ich bin ja kein Unmensch und verlange Unmögliches von Ihnen. Und Sie sind nun einmal ziemlich gut, ich vertraue Ihnen.«
Er betrachtete den kleinen dicken Mann, der zusammengesunken vor ihm saß und nicht aufblickte, mit kaum verhohlener Verachtung, bevor er sich abwandte und zum Fenster spazierte. »Also, können wir uns jetzt endlich über die Einzelheiten unserer nächsten Transaktion unterhalten? Ich habe nicht ewig Zeit.«
»In Ordnung«, erwiderte der Notar mit kaum vernehmbarer Stimme.
»Fein!« Alexis strahlte. »Also, dann hören Sie mir mal genau
zu …«
Als er eine halbe Stunde später die Kanzlei verließ, war er bester Laune, ließ aber einen am Boden zerstörten Robert von Hoyningen zurück.
Iris Aldekamp öffnete vorsichtig die Tür und stellte ihrem Chef einen Becher Kamillentee hin. Als er ihr dankte, sah sie, dass er Tränen
in den Augen hatte.
Erschrocken setzte sie sich zu ihm. »Was will er von Ihnen?«, fragte sie. »Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit, Herr von Hoyningen. Ich spüre doch, dass da etwas nicht stimmt.«
Er zitterte am ganzen Körper, während er ihrer Aufforderung nachkam. Zwischendurch trank er in kleinen Schlucken seinen Kamillentee und wischte sich immer wieder mit dem Taschentuch über die schweißnasse Stirn. Als er seinen Bericht beendet hatte, blieb es lange still.
Endlich sagte Iris Aldekamp mit klarer Stimme: »Das dürfen Sie auf gar keinen Fall tun, Herr von Hoyningen!«
*
»Frau zu Randershausen ist soeben eingetroffen, Frau Baronin«, kündigte Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Schloss Sternberg an.
»Franziska?«, fragte Baronin Sofia von Kant erfreut, doch der Butler schüttelte den Kopf.
»Nein, Frau Baronin«, erklärte er mit ruhiger Stimme, »Nora zu Randershausen bittet darum, von Ihnen empfangen zu werden.«
»Oh!« Sofias Blick begegnete demjenigen des Butlers, der auch jetzt keine Miene verzog. »Bitte, führen Sie sie herein, Herr Hagedorn«, sagte sie nach kurzem Überlegen.
Er nickte und zog sich zurück. Der Baronin blieben noch einige Augenblicke, sich auf die Besucherin vorzubereiten. Ihr Mann, Baron Friedrich, war mit dem Verwalter unterwegs, wie sie wusste, es waren einige wichtige Entscheidungen zu fällen. Die Kinder waren in der Schule, sie würde sich also allein mit Nora unterhalten müssen.
Es war nicht so, dass sie Nora nicht mochte – aber als Freundinnen konnte man sie auch nicht bezeichnen. Friedrich und sie waren früher gut mit Noras Mann Johannes befreundet gewesen. Diese Freundschaft hatte selbstverständlich auch Franziska eingeschlossen, Johannes’ Tochter aus erster Ehe. Nora hatte dann dafür gesorgt, dass die Beziehung zu Johannes abkühlte, aus welchen Gründen auch immer. Nur Franziska hatte es immer wieder durchgesetzt, dass sie nach Sternberg fahren durfte. Seit sie erwachsen war, konnte es ihr ja ohnehin niemand mehr verbieten.
In den vergangenen Jahren waren sie Nora und Johannes gelegentlich auf Empfängen und Bällen begegnet, wobei Johannes durchaus den Eindruck gemacht hatte, dass ihm daran lag, seine Freundschaft zu den Sternbergern wieder aufleben zu lassen. Doch dazu war es nicht mehr gekommen, sein Herzinfarkt hatte allen eventuellen Überlegungen in dieser Richtung ein Ende bereitet.
Und nun kam Nora also zu Besuch – unangemeldet. Das war eine große Überraschung.
»Frau zu Randershausen, Frau Baronin«, hörte sie Eberhard Hagedorn sagen. Eine sehr elegant gekleidete Blondine mit schönen blauen Augen kam auf sie zu. Nora war einige Jahre älter als Sofia, was man ihr aber nicht ansah. Sie musste sich den Fünfzig nähern, wirkte aber gut und gern zehn Jahre jünger.
»Willkommen auf Sternberg, Nora«, begrüßte Sofia ihre Besucherin. »Trinkst