Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


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Fuhrmann mit erschrecktem Gesicht.

      »Pst! Das will ich Euch zeigen, wenn Ihr mit mir kommen wollt.«

      Der Fuhrmann begleitete ihn, ohne noch ein Wort zu sagen. Sie gingen über einen Hof, wo die Sterne schienen, und traten durch eine kleine Hintertür in Tackletons Bureau, von wo man durch eine Glastür, die des Nachts geschlossen war, in den Laden sehen konnte. Im Bureau war kein Licht, aber es brannten Lampen in dem langen schmalen Warenlager, so daß das Fenster erleuchtet war.

      »Einen Augenblick!« sagte Tackleton. »Könnt Ihr durch das Fenster blicken? Glaubt Ihr, Ihr könntet’s?«

      »Warum nicht?« versetzte der Fuhrmann.

      »Noch einen Augenblick«, sagte Tackleton. »Begeht keine Gewalttat. Würde nichts nützen. Ist zudem gefährlich. Ihr seid ein kräftiger Mann und könntet einen Mord begehen, bevor Ihr es selbst wißt.«

      Der Fuhrmann sah ihn ins Gesicht und wich einen Schritt zurück, als hätte er einen Schlag bekommen. Mit einem Sprung war er an der Glastür und sah … O welch ein Schatten auf dem Herde! O treues Heimchen! O treuloses Weib!

      Er sah sie mit dem alten Mann – was sag’ ich: alt! Keineswegs! Jung und gerade und schön war er, in der Hand die falschen weißen Haare haltend, die ihm Zugang verschafft zu ihrem fortan einsamen und traurigen Herd. Er sah, wie sie ihm lauschte, während er sich zu ihr herabneigte, um ihr ins Ohr zu flüstern; wie sie ihn seine Hand um ihre Taille legen ließ, während sie langsam die dunkle Holzgalerie auf die Tür zugingen, durch die sie eingetreten waren. Er sah sie stehenbleiben, er sah seine Frau sich umwenden – oh, dieses Gesicht sich so gegenüber zu sehen, dieses Gesicht, das er so sehr liebte! … Und er sah sie mit ihren eigenen Händen ihm die täuschende Perücke auf dem Kopfe zurechtrücken … und sie lachte, während sie dies tat, lachte ohne Zweifel über die vertrauensvolle, leichtgläubige Natur ihres Mannes!

      Anfangs ballte er seine starke Rechte, als wolle er einen Löwen niederschlagen. Aber er öffnete sie sofort wieder und hielt sie vor Tackletons Augen – denn er liebte sie noch, liebte sie selbst noch in diesem Augenblick; und dann, als sie verschwunden waren, sank er auf ein Pult nieder und weinte wie ein kleines Kind …

      Er war schon bis ans Kinn eingehüllt und mit dem Pferde und den Paketen beschäftigt, als Dot wieder in das Zimmer trat, um sich zur Heimfahrt zu rüsten.

      »Nun vorwärts, lieber John! … Gute Nacht, May! Gute Nacht, Bertha!«

      Hatte sie noch das Herz, sie zu küssen? Konnte sie beim Abschied noch vergnügt und guter Laune sein? Hatte sie noch die Stirn, ihnen ohne Erröten ins Gesicht zu sehen? Ja, Tackleton beobachtete sie genau – und zu alledem hatte sie den Mut.

      Tilly summte das Kindchen in Schlaf, und sie ging immer wieder am Tackleton vorüber, wohl ein dutzendmal, und wiederholte schläfrig:

      »Hat denn, daß sie sein Weibchen soll werden, fast ihr gebrochen das Herzchen entzwei? Und hat Väterchen vom Wiegelchen an sie getäuscht, um endlich ihr Herzchen zu brechen?«

      »Nun, Tilly, gib mir das Kind. Gute Nacht, Mr. Tackleton. Wo ist John? Gott, wo ist er denn?«

      »Er will zu Fuß gehen, vorn neben dem Pferde her«, sagte Tackleton, der ihr auf den Wagen half.

      »Aber lieber John, zu Fuß gehen? Bei Nacht!«

      Die vermummte Gestalt ihres Mannes machte ein hastiges Zeichen der Bejahung; und als auch der verräterische Fremde und die kleine Wärterin ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sich das alte Pferd in Trab, der nichtsahnende Boxer lief voraus, lief wieder zurück, lief immer von neuem um den Wagen und bellte dabei so triumphierend und lustig wie immer.

      Als auch Tackleton sich entfernt hatte, um May und ihre Mutter nach Hause zu begleiten, setzte sich der arme Kaleb neben seine Tochter ans Feuer, das Herz zerrissen von Angst und Gewissensbissen, und in einem fort, während er sie traurig ansah flüsterte er vor sich hin:

      »Hab’ ich sie denn nur darum von der Wiege an getäuscht, um ihr am Ende das Herz zu brechen!«

      Die Spielsachen, die man, um das Kindchen zu amüsieren, in Bewegung gesetzt hatte, waren alle längst stehengeblieben und abgelaufen. In dem Dämmerlicht und der Stille machten die Puppen mit ihrer unerschütterlichen Ruhe, die vorhin so wilden Schaukelpferde mit den weit geöffneten Augen und Nüstern; die alten Herren, die, auf ihren Knien und Schenkeln halb zusammengeklappt, an den Straßentüren standen; die Nußknacker mit ihren Grimassen, ja sogar die Tiere, die paarweise in die Arche spazierten, wie wenn eine Pension spazieren geführt wird – sie alle machten ein Gesicht, als wären sie mit phantastischer Unbeweglichkeit geschlagen worden, als sie das doppelte Wunder einer treulosen Dot und eines geliebten Tackleton, unter welchem Zusammentreffen von Umständen auch immer, sahen.

      Drittes Zirpen

       Inhaltsverzeichnis

      Die Schwarzwälder Uhr in der Ecke schlug zehn, als der Fuhrmann sich wieder an seinem Herde niederließ. So verstört und kummervoll, daß er sogar den Kuckuck zu erschrecken schien, der, nachdem er seine zehn melodischen Ankündigungen so kurz wie möglich geschlagen, rasch in den maurischen Palast zurückstürzte und seine kleine Tür hinter sich zuschloß, als könne er es nicht ertragen, dies ungewohnte Schauspiel länger mit anzusehen.

      Wäre der kleine Heumäher mit der schärfsten aller Sensen bewaffnet gewesen und hätte er sie bei jedem Schlage dem Fuhrmann ins Herz gestoßen, er hätte es nimmer so grausam zerreißen und verwunden können, wie Dot getan hatte.

      Es war ein Herz so voll Liebe zu ihr, so eng und fest vereinigt mit dem ihren durch unzählige Fäden liebevoller Erinnerungen – gesponnen aus ihren Vorzügen, die ebenso zahlreich wie fesselnd, die darauf zielten, es mit jedem Tage fester zu machen –; es war ein Herz, so einfach und so wahr, so stark im Guten, so schwach im Bösen, daß es anfangs weder Zorn noch Rache hegen konnte und nur noch existierte, um darin das zerbrochene Bild seines Abgottes zu bewahren.

      Aber allmählich, wie der Fuhrmann nachdenklich an seinem jetzt kalten und finstern Herde saß, begann ein anderer wilderer Gedanke sich seiner Gedanken zu bemächtigen, wie ein böser Sturmwind sich mitten in der Nacht erhebt. Der Fremde befand sich unter seinem entehrten Dache. Drei Schritte führten ihn an seine Tür. Ein einziger Schlag genügte, sie einzustoßen. »Ihr könntet einen Mord begehen, bevor Ihr daran denkt«, hatte Tackleton gesagt. Wie konnte es ein Mord sein, wenn er dem Elenden Gelegenheit gab, mit ihm Brust an Brust zu ringen! War er nicht jünger?

      Es war ein schlimmer Gedanke, doppelt schlimm bei der finstern Stimmung seines Gemüts. Es war ein böser Gedanke, der ihn zu einer Rachetat verleiten wollte, die seine fröhliche Behausung in eine jener berüchtigten Höhlen verwandeln würde, vor der einsame Wanderer in der Nacht vorüberzugehen sich fürchten und wo der Furchtsame durch die zerschlagenen Fenster Schatten sehen will, wenn der Mond sich hinter Wolken versteckt und wo man bei stürmischem Wetter wilde Stimmen hören kann.

      Er war jünger! Ja, ja, ein Geliebter, der das Herz gewonnen hatte, das nie für »ihn« geschlagen hatte. Irgendein Geliebter aus früherer Zeit, an den sie gedacht und von dem sie geträumt, nach dem sie geschmachtet und geseufzt hatte, während er sich eingebildet hatte, daß sie an seiner Seite glücklich sei! O welche Herzensangst, nur daran zu denken!

      Sie war mit dem Kinde hinaufgegangen, um es zu Bett zu bringen. Während er da brütend am Herde saß, kam sie dicht an seine Seite, ohne daß er sie auch nur bemerkte – in den Folterqualen seines großen Elends hatte er den Sinn für alle anderen Töne verloren – und stellte ihren kleinen Stuhl neben seine Füße. Er bemerkte es erst, als er ihre Hand auf der seinen fühlte und ihre Augen nach seinem Gesicht emporblicken sah.

      Mit Erstaunen? Nein. Das war sein erster Eindruck, und er mußte sie noch einmal ansehen, um sich zu überzeugen, daß es wirklich so war. Nein, nicht mit Erstaunen. Mit einem neugierig fragenden Blick; aber nicht mit Erstaunen. Anfangs war dieser Blick unruhig und ernst; dann machte er einem seltsamen, wilden, schrecklichen Lächeln Platz,