Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman


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Bettina. An deiner Stelle würde ich nichts überstürzen.«

      »Mein Großvater meinte, er möchte gern noch etwas von Tobias haben, weil er den Jungen doch so ins Herz geschlossen hat. Manchmal beschleichen Opa düstere Ahnungen, als habe er nicht mehr lange zu leben. Er drängelte mich immer und immer wieder, doch einmal vorzufühlen. Darum bin ich hier.«

      Olaf Neumann sah das Mädchen gedankenvoll an. »Du bist also wirklich und wahrhaftig entschlossen, Ulrich Warner zu heiraten?«

      »Ja, wieso?«

      »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass eine patente, moderne junge Frau wie du – ausgerechnet du! – einmal unter so merkwürdigen, fast mittelalterlichen Umständen heiraten würde.«

      »Mittelalterliche Umstände? Ich verstehe kein Wort!«

      »Nun, anders kann man es doch wohl kaum nennen, wenn jemand beschließt, eine Frau zu heiraten, die er nie zuvor gesehen hat. In früheren Zeiten soll so etwas ja vorgekommen sein – aber heute?«

      »Sag mal, spinnst du?« Bettina musterte den Heimleiter verständnislos. Sie duzten einander zwar kollegial, doch Bettina hatte stets Distanz zu ihm gewahrt, vor allem deshalb, weil er seinerzeit nichts unversucht ließ, ihr »menschlich näherzukommen«, wie er sich auszudrücken pflegte.

      »Ja, hat dir Ulrich Warner denn nichts erzählt?«, fragte Olaf Neumann erstaunt.

      »Wieso? Was soll er mir erzählt haben? Sprich nicht in Rätseln!«

      »Wie er auf dich gekommen ist, als er verzweifelt nach einer Mutter für den Jungen suchte. Aber das kann er dir doch unmöglich verheimlicht haben!«

      Bettinas Miene verschloss sich. »Mein Verlobter und ich haben uns ganz zufällig kennengelernt, und zwar beim Heideblütenfest.«

      »Ganz zufällig?« Olaf Neumann lachte spöttisch. »Ulrich Warner hat deinen Namen gewissermaßen aus der Lotterie gezogen!«

      »Das soll wohl ein Witz sein?« Bettinas Augen wurden schmal.

      »Aber diese herrliche Geschichte kann Ulrich dir doch unmöglich vorenthalten haben!«

      »Wie ich sehe, brennst du darauf, mir diese herrliche Geschichte zu erzählen. Also, ich höre.« Bettina verschränkte die Arme.

      »Es wäre einfach nicht fair dir gegenüber, wenn du nicht wüsstest, wie alles begonnen hat. Ulrich ging es nämlich ausschließlich um den Jungen, um den kleinen Tobias, an dem er einen Narren gefressen hat.«

      »Ja, ja, ich weiß! Weiter, weiter!«

      »Ulrich Warner hatte den jähen Einfall, Tobias zu adoptieren. Dazu müsstest du erst einmal verheiratet sein, erklärte ich ihm logischerweise. Ja, dann heirate ich eben!, war seine spontane Reaktion. Da ihm seine zahlreichen flatterhaften Freundinnen zur Heirat jedoch nicht geeignet erschienen, kam er auf eine glorreiche Idee.«

      Der Heimleiter stockte. Offenbar wartete er auf eine Zwischenfrage. Doch Bettina grub die Zähne in die Unterlippe, bis es weh tat, und sie schwieg.

      Ihr war plötzlich zumute, als erwarte sie ein schweres Gerichtsurteil, das man über sie verhängt hatte.

      Olaf Neumann räusperte sich. »Nun, Ulrich meinte, es ginge vor allem darum, eine junge Frau zu finden, die bereits Erfahrung im Umgang mit Kindern habe. Er meinte, eines von den jungen Mädchen, die aushilfsweise bei uns im Kinderheim gearbeitet hatten, wäre genau die richtige. Und als ich – zugegebenermaßen etwas leichtsinnig – meine Akte hervorholte, begann er in fliegender Eile die Namen und Adressen der betreffenden Mädchen auf kleine Zettel zu schreiben. Diese ›Lose‹ warf er in die Blumenvase, fasste hinein – und zog dich heraus.«

      »Nein!«, stieß Bettina heiser hervor, und sie schüttelte den Kopf so heftig, dass ihr die Haarwellen dicht ins Gesicht fielen. »Nein, das glaube ich dir niemals! Niemals!«

      »Aber es ist die Wahrheit, die reine Wahrheit.« Olaf Neumann eilte zum Schrank, holte die Blumenvase herunter und schüttete den Inhalt auf den Schreibtisch. »Hier, schau selbst. Das sind noch die restlichen Lose. Sieh sie dir genauer an. Einige Namen wirst du kennen, einige der Mädchen waren zur gleichen Zeit mit dir hier. Deinen Namen wirst du nicht darunter finden, den hat Ulrich nämlich in die Tasche gesteckt.«

      Bettina starrte mit brennenden Augen ins Leere. Sie hatte das Gefühl, als müsse jeden Moment ein Erdbeben ausbrechen.

      »So, es ging Ulrich Warner also ausschließlich um den Jungen, um eine Mutter für Tobias.«

      »Ja, sicher! Ich habe dann noch mit Menschen- und Engelszungen versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wir sind nämlich alte Schulfreunde, musst du wissen. Schließlich war ich überzeugt, dass er nur einen Scherz gemacht hatte. Und außerdem sagte ich mir, ein Mädchen wie Bettina lässt sich doch nicht einwickeln!«

      Bettina wollte sich erheben, doch die Beine versagten ihr den Dienst.

      »Ich hielt es für richtig«, fuhr der Heimleiter mit erhobener Stimme fort, »dich einzuweihen, damit du dir selbst ein abschließendes Urteil bilden kannst.«

      »Dafür muss ich dir dankbar sein, nicht wahr?«

      »Hätte ich denn lieber schweigen sollen?«

      »Erstens wärst du dann geplatzt, und zweitens bin ich nicht für Vogelstraußpolitik.« Bettina riss sich zusammen und stand auf. »Auf Wiedersehen.«

      Mit einem Sprung war Olaf Neumann bei ihr. »Bettina, wenn ich irgendetwas für dich tun kann …«

      »Danke, du hast schon genug getan.« Sie eilte hoch aufgerichtet aus der Tür.

      Als sie in ihrem Auto saß, musste sie sich mit aller Gewalt zusammennehmen, um nicht weinend über das Lenkrad zu sinken.

      Erst als sie Olaf Neumann bemerkte, der sich ihrem geparkten Wagen zögernd näherte, ließ sie mit überstürzten Bewegungen den Motor an und startete.

      Von der nächsten Telefonzelle aus rief sie Ulrich Warner in der Firma an. »Ich bin in der Stadt und muss dich unbedingt sprechen«, erklärte sie knapp. »Können wir uns irgendwo treffen?«

      »Warum kommst du nicht her und schaust dir bei der Gelegenheit gleich einmal den Betrieb an?«

      »Einverstanden.«

      Zehn Minuten später erreichte Bettina das kleine Werk, das mit seinen hübschen Blumenrabatten und Rasenflächen einen sauberen und appetitlichen Eindruck machte. Der Pförtner war bereits informiert und griff zum Telefonhörer. Eine Minute später begrüßte Ulrich das geliebte Mädchen strahlend.

      »Du hast Einkäufe gemacht?«, erkundigte er sich.

      »Noch nicht.«

      »Schön, dass du gekommen bist.« Er hakte Bettina unter und führte sie in einen hellen freundlichen Raum. »Heute ist die erste Pflaumenladung eingetroffen. In dieser Anlage werden die Früchte vollautomatisch gewaschen und entsteint.«

      Bettina sah sich rasch um. Es war tatsächlich keine Menschenseele zu entdecken.

      Sie holte tief Luft. »Ich war soeben im Kinderheim und erfuhr beiläufig, dass du mich aus dem Lostopf gezogen hast.«

      »Dieses Waschweib!«, entfuhr es Ulrich. Sein Gesicht rötete sich. Ein verwirrtes, verlegenes Lächeln zuckte um seinen Mund. »Betti, ich hätte dir natürlich eines Tages davon erzählt – später.«

      »Tatsächlich?«

      »Ganz bestimmt!«

      »Vielleicht bei der Goldenen Hochzeit, wenn du es so lange mit deiner Wirtschafterin und Kindererzieherin ausgehalten hättest.«

      »Wie bitte? Ich verstehe nicht. Von wem sprichst du?«

      »Von mir.«

      »Aber du kannst doch nicht glauben …«

      »Was heißt hier glauben!« Sie lachte bitter auf. »Stimmt es, dass du beschlossen hast, eines der Mädchen, die im Heim