Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman


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sie wenig später vor dem Försterhaus aus dem Auto stieg, atmete Bettina tief auf. Geschafft! Ihr war zumute, als sei sie einer Gefahr entronnen – einer lockenden Gefahr.

      Etwas Weiches berührte ihre Beine. Bettina bückte sich rasch und nahm ihren schwarzen Kater auf die Arme. »Da bist du ja, Schnubbelchen! Hast du dich schon nach Herrchen und Frauchen gebangt?« Sie schmiegte ihr Gesicht gegen das seidenweiche Fell des schwarz-weißen Tieres, als müsse sie angestaute Zärtlichkeit verströmen. Ein paar Augenblicke lang ließ der Kater sich die Liebkosungen gefallen, dann stemmte er die Samtpfötchen energisch gegen Bettinas Kinn und ließ einen unwilligen Laut hören.

      »Ach, Schnubbelchen«, seufzte sie, »du magst es nicht, wenn man dich auf den Arm nimmt, du magst nicht schmusen, was bist du nur für ein komischer kleiner Kerl!« Sie setzte ihn auf den Boden.

      »Prinz Schnubbel«, wie Bettina das eigenwillige Tierchen getauft hatte, strich noch einmal wie um Entschuldigung bittend an ihren Beinen entlang, dann trollte er sich und verschwand in den undurchdringlichen Schatten.

      Als Bettina in ihrem Bett lag und den Fremden zu vergessen suchte, lauschte sie dem Rauschen der Wipfel und den Rufen des Kauzes, der schon seit Jahren in der Nähe des Forsthauses nistete. Sie mochte alle Tiere, doch Eulen und Katzen waren ihr besonders ans Herz gewachsen. Sie fühlte eine hintergründige Verwandtschaft mit diesen geheimnisvollen Geschöpfen der Nacht, deren Augen so unergründlich waren, dass kein Mensch sie zu enträtseln vermochte. So unergründlich wie die Augen des Fremden, dachte Bettina, schon halb im Schlaf.

      Eine weiche dunkle Wolke hüllte das blonde Mädchen ein und trug es schwebend in die Weiten des Traumes.

      *

      Sonntagmorgen!

      Obwohl es im Wald immer still war, vertiefte sich am Sonntag das Schweigen zu andächtiger Feierlichkeit. Man hörte beim Erwachen die Vögel freudiger zwitschern und jubilieren. Warmer und goldener flirrte der Sonnenglanz zwischen den Zweigen und tanzte wie kleine Lichtelfen durch die Fenster.

      Bettina blinzelte und reckte sich. Sonntags genoss sie es besonders, eine Weile im Halbschlaf zu verdämmern.

      Plötzlich fuhr sie in die Höhe. Die Erinnerungen trafen sie wie ein Hieb.

      Der Fremde! Seine Zärtlichkeit, seine sprechenden dunklen Augen …

      Schade, dass er so ein Hallodri war!

      Einer, der sich einbildete, er müsste nur mit dem kleinen Finger winken!

      »Nicht mit mir!«, sagte Bettina halblaut und schwang sich energisch aus den Federn.

      Als sie wenig später in einem weißen Kleid mit schwingendem Rock die steile Treppe hinuntereilte, hörte sie ihren Großvater in der Küche rumoren. »Guten Morgen, Opa!« Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf die unrasierte Wange. »Du, ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich gestern Abend einfach im Stich gelassen habe.«

      Der Alte winkte verschmitzt lächelnd ab. »Das schlechte Gewissen kannst du dir schenken, Deern. Der Kreisjägermeister hat mich nach Hause gebracht. Zusammen mit dem alten Lotzkat haben wir noch ein paar Runden Skat gedroschen. Hoffentlich waren wir nicht zu laut.«

      »Ich habe nichts gehört.« Sie nahm dem pensionierten Forstmeister den Teekessel aus der Hand. »Lass mich das machen, das ist meine Aufgabe.«

      »Sei doch nicht so eigensinnig, Kind! Meinst du, dass du besseren Kaffee kochen kannst?«

      »Ich werde mich hüten, so etwas zu behaupten. Aber du musst dich schonen, besonders nach einem so anstrengenden Tag wie gestern.«

      »Papperlapapp. Was heißt anstrengend! Ich gehöre noch längst nicht zum alten Eisen. Wir haben zwar alle einen über den Durst getrunken – aber immer senkrecht! Übrigens, wer war denn der nette junge Mann?«

      »Du kennst ihn auch nicht?«, fragte Bettina, während sie sich angelegentlich auf das Kaffeebrühen konzentrierte.

      »Woher wohl? Hab’ ihn vorher nie gesehen. Ich dachte, du kennst ihn näher.«

      »Keine Spur.«

      »Tatsächlich nicht? Ihr habt beim Tanzen so angeregt geplaudert, und plötzlich wart ihr verschwunden, alle beide.«

      Bettina spürte, dass eine flüchtige Röte in ihre Wangen stieg. »Ich bin sofort nach Hause gefahren. Mir taten schon die Füße weh, das kannst du mir glauben.«

      »Aber schön war es doch, oder? Jedenfalls warst du die netteste Heidekönigin seit Menschengedenken, das haben alle gesagt.«

      »Du übertreibst, Opa.«

      »Überhaupt nicht! Die ältesten Einwohner konnten sich nicht an eine so hübsche und liebe Königin erinnern, jawohl! Und morgen stehst du in der Zeitung!«

      »Na prima! Dann hast du ja morgen auch noch deinen Spaß. Ich bin froh, dass der Rummel vorbei ist.«

      Ihr Großvater musterte sie von der Seite. »Ärger gehabt, Betti? Mit dem jungen Mann?«

      »Ärger? Wie kommst du denn darauf? Keine Spur!«

      »Umso besser.«

      Nach dem Frühstück erledigte Bettina noch rasch den Abwasch, während ihr Großvater es sich auf der Couch bequem machte und bald friedlich einschlummerte. Die Dreiundzwanzigjährige betrachtete ihn liebevoll.

      Lautlos schlich Bettina sich aus der Küche. Der warme Sonnenschein hüllte sie wie in einen goldenen Zaubermantel. Ihr Haar schimmerte wie ein kostbarer Schatz.

      Sie schlug den Waldweg ein, den sie besonders liebte. Wie ein lichterfüllter grüner Tunnel schlängelte sich dieser kaum begangene Pfad durch das Dickicht. Nirgendwo sonst spürte Bettina die Verzauberung des Waldes so intensiv wie hier. Die Bäume und Sträucher nahmen sie auf wie ihresgleichen, schützten sie mit ihren Zweigen und Blättern und hielten alle schlechten Gedanken von ihr fern.

      Bettina fühlte sich nicht einsam. Der Wald war ihr Gefährte. Überall regte sich Leben.

      Sie gelangte an ihren Lieblingsplatz Ein Bach durchrieselte eine kleine, sonnige Lichtung. »Märchenwiese« nannte sie diese Stelle, an der sie schon als kleines Mädchen oft vor sich hingeträumt hatte. Geträumt von einem geheimnisvollen dunkelhaarigen Prinzen mit zärtlichen Augen …

      Sie schleuderte die Sandalen von den Füßen, setzte sich ans Ufer und ließ die nackten Füße ins kalte kristallklare Wasser baumeln.

      Plötzlich hörte sie ein knackendes Geräusch. Wie ein gewarntes Wild blickte Bettina blitzschnell zur Seite.

      Ihr Herz begann zu trommeln. Ihre Wangen glühten. Am Rande der Lichtung stand – er.

      Ulrich Warner. Groß und herausfordernd.

      Bettina schnellte in die Höhe. Sie war so durcheinander, dass sie kaum Worte fand. Ihre Gedanken kreiselten.

      »Also, das ist doch eine Frechheit!«, stieß sie hervor.

      Langsam kam Ulrich Warner näher. »Eine Frechheit? Wieso, ich habe heute Morgen doch noch nicht den geringsten Versuch gemacht, Sie zu küssen.«

      »Sie haben mich heimlich verfolgt, Sie unverschämter Mensch! Es ist ja wohl kein Zufall, dass Sie mich hier treffen!«

      »Nicht Zufall, sondern Schicksal.«

      »Bleiben Sie mir bloß mit Ihren Kalendersprüchen vom Leibe! Was bilden Sie sich überhaupt ein!«

      »Ich bilde mir bald gar nichts mehr ein, denn Sie haben genau die richtige Art, einen Mann vom hohen Pferd zu holen und winzig klein zu machen.«

      Sie warf trotzig und mit spöttisch gewölbten Lippen den Kopf in den Nacken. »Dazu gehört nicht viel!«

      »Möglich. Aber eine Königin soll auch großmütig sein und den Kleinen eine Chance geben.«

      »Was reden Sie nur immer von Chance? Außerdem fühle ich mich heute nicht mehr als Königin und auch nicht als öffentliches Eigentum, das man ungeniert anstarren darf. Bitte,