und keinen Keil zwischen mich und Tobias treibst.«
»Ich treibe keinen Keil zwischen euch, ich tue nur meine Pflicht. Darum fordere ich dich noch einmal mit allem Nachdruck auf, von nun an jeden Kontakt mit dem Jungen zu meiden, in seinem Interesse.«
»Olaf, du enttäuscht mich schwer. Neulich warst du erheblich verständnisvoller.«
»Neulich war ich nicht ganz zurechnungsfähig. Du hast mich ja regelrecht besoffen geredet. So ein Quatsch! Zieht sich die zukünftige Ehefrau aus dem Lostopf! Nein, mein Lieber, ich bin Realist. Dass du in Kürze als verheirateter Mann herkommst, um die Adoption einzuleiten, ist reines Wunschdenken. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Also, von nun an muss ich dir leider untersagen, das Heim und das Gelände zu betreten.«
Ulrich wurde totenblass. »Ist das dein letztes Wort?«
»Nach reiflicher Überlegung – ja.«
Ulrich starrte den Heimleiter so eindringlich an, als wollte er bis auf den Grund seiner Seele schauen.
»Ich glaube, allmählich dämmert es mir«, murmelte er. »Du warst in Bettina auch verliebt, als sie bei euch arbeitete, nicht wahr? Sie hat dich abblitzen lassen, und jetzt wäre es für dich eine äußerst fatale Vorstellung, wenn ich mehr Glück bei Bettina Lühr hätte. Du gönnst sie mir nicht.«
Die Gestalt des blonden bärtigen Mannes straffte sich. »Stimmt. Ausgerechnet Bettina! Sie ist zu schade für dich. Ich gönne ihr einen besseren Ehemann.«
Ulrich maß den ehemaligen Schulfreund mit einem langen Blick von oben bis unten, dann drehte er sich wortlos um und verließ den Garten. Als er in seinem Wagen saß, krampften sich seine Hände um das Lenkrad, als suche er einen Halt. So war das also. Und er hatte sich eingebildet, Olaf Neumann sei sein Verbündeter.
Er dachte an Tobias, an die flehenden Augen des Jungen, und ein glühender Strom schoss ihm zum Herzen. Das Schicksal forderte ihn heraus. Es ging um den Jungen, der ihm vertraute.
Und unerbittlich verrann die kostbare Zeit.
*
Am Montag war es Ulrich fast unmöglich, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er saß im Direktionsbüro der Früchtegold-Marmeladen-Werke, traf mechanisch einige Entscheidungen, leistete Unterschriften, führte Telefonate doch unentwegt grübelte er unterdessen, was er tun konnte, um Bettina näherzukommen.
Die Zeit drängte. Armer kleiner Tobias …
Als Ulrich am Abend die Firma verließ, regnete es in Strömen. Die Traurigkeit des Himmels senkte sich mehr und mehr in das Herz des verzweifelten Mannes.
Irgendetwas musste geschehen. Aber was?
In seinem leeren Haus lief Ulrich wie ein gefangener Tiger auf und ab. Immer wieder blieb er an den Fenstern stehen und starrte hinaus in die regendurchtränkte Dunkelheit. Und plötzlich durchzuckte ihn eine Idee. Ja, ungewöhnliche Situationen erforderten ungewöhnliche Maßnahmen!
Schon verließ er aufgeregt die Villa, schwang sich hinter das Lenkrad und jagte aus der Stadt. Es dauerte nicht lange, und die dunklen schweigenden Wälder nahmen ihn auf. Da er die Gegend inzwischen recht gut kannte, fiel es ihm nicht schwer, einen versteckten Nebenweg zu finden, in dem er seinen Wagen verbergen konnte.
»Fortuna, sei auch diesmal auf meiner Seite«, murmelte er, als er ausstieg und die Autotür abschloss.
Der Regen rauschte noch immer ins Blätterdach und tropfte von allen Zweigen. Als Ulrich wenige Minuten später das einsame Forsthaus erreichte, war er pudelnass. Mit hochgeschlagenem Jackenkragen, die Haare nass in der Stirn, so stand er vor der Tür und läutete.
Schon vernahm er leichte graziöse Schritte. Sein Herz tat einen kleinen Sprung, vor Schreck und Freude. Bettina öffnete. Sie stand im erleuchteten Flur und kam dem Mann schöner denn je vor.
»Guten Abend«, begann er mit einem mühsamen Lächeln.
Bettinas Gesicht verschloss sich, wurde kühl und abweisend. »Sie?«
»Ja, ich. Verzeihen Sie bitte die Störung, aber ich bin mit dem Wagen steckengeblieben, eine Panne.«
»Eine Panne? Ausgerechnet hier?«
»Ein Stück entfernt. Ich habe in der Gegend zu tun«, erklärte Ulrich mit dem Mut der Verzweiflung. »Ihr Haus war das Erste, auf das ich traf. Darf ich – darf ich telefonieren?«
Bettina warf den Kopf trotzig in den Nacken. »Bis zum Dorf ist es nicht mehr weit. Das werden Sie leicht schaffen. Dort finden Sie eine Telefonzelle.«
»Wie können Sie so herzlos sein? Ich …«
»Herzlos? Ihre faulen Tricks ziehen bei mir nicht. Ich habe Sie durchschaut!«
»Wenn Sie mich durchschaut hätten, Bettina, könnten Sie in mein Herz sehen und wüssten …«
»Wer ist denn da?«, ertönte plötzlich die raue Stimme des pensionierten Forstmeisters aus dem Hintergrund. Der alte Herr schlurfte auf Filzpantoffeln aus der Wohnstube in den Flur.
»Nichts Wichtiges, Opa«, versuchte Bettina ihren Großvater abzulenken. »Du brauchst dich nicht zu bemühen. Ich erledige das schon.«
»Aber der Herr ist ja völlig durchnässt! – Kommen Sie herein, kommen Sie, oder wollen Sie sich den Tod holen?«
»Oh, vielen Dank.« Bereitwillig wollte Ulrich eintreten, doch Bettina gab den Weg nicht frei.
»Merken Sie nicht, dass Sie unerwünscht sind?«
»Aber Betti!«, rief der alte Forstmeister entrüstet. »So kenne ich dich ja gar nicht! Man jagt keinen Hund bei so einem Wetter vor die Haustür. Kommen Sie nur, Herr, treten Sie näher.« Rudolf Lühr schob seine Enkelin energisch beiseite.
»Danke. Hoffentlich mache ich nicht alles nass und schmutzig.«
»Am besten Sie ziehen sich aus, und wir trocknen Ihr Zeug. Kennen wir uns nicht?« Der Alte musterte den Besucher mit schräggeneigtem Kopf.
»Richtig, Sie waren doch auf dem Fest!«
»Das stimmt. Mein Name ist Ulrich Warner«
»Lühr – Betti, am besten, du holst den Morgenmantel, den du mir zu Weihnachten geschenkt hast, den ich aber noch nie angezogen habe.«
Bettina zögerte einen Augenblick, doch dann gehorchte sie schulterzuckend.
Ulrich kam sich wie der verlorene Sohn vor. Mit rührender Fürsorge tat der alte Forstmeister alles nur erdenkliche, damit sich der durchnässte Gast nicht erkältete. Bald saßen sie sich vor dem rasch entzündeten kleinen Kamin gegenüber.
»Betti!«, rief der Alte. »Sei doch so lieb und bereite uns einen schönen steifen Grog!«
Bettina, die gerade aus dem Zimmer eilen wollte, zuckte zusammen. »Bin ich etwa das Dienstmädchen dieses Herrn?«
Rudolf Lühr machte Anstalten, sich aus seinem Lehnsessel zu rappeln. »Tja, dann muss ich eben selber …«
»Lass nur, Opa.«
Wenig später servierte sie die dampfenden, aromatisch duftenden Gläser.
»Danke, mein Kind. Nur zwei Gläser? Möchtest du nicht auch? Komm, setz dich wenigstens zu uns.«
»Ich habe noch zu tun.« Sie eilte hinaus.
»Na, denn!« Der Alte griff nach seinem Henkelglas, und sie prosteten einander zu.
Generationen trennten die beiden Männer voneinander, doch sie plauderten bald so angeregt, als wären sie durch viele gemeinsame Erinnerungen verbunden. Rudolf Lühr berichtete, wie er dieses Revier als ganz junger Förster übernommen hatte, wie ihm der Wald ans Herz gewachsen war, jeder einzelne Baum. Unvermittelt verschattete sich sein Gesicht.
»Tja, und das wird nun alles bald vorbei sein«, murmelte er.
»Warum denn, Herr Lühr, was sind denn das für trübe Gedanken?«
Der