Alexander von Humboldt

Kosmos


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den Causalzusammenhang der geognostischen Erscheinungen übersichtlich zu schildern, beginnen wir mit denen, deren Hauptcharakter dynamisch ist, in Bewegung und räumlicher Veränderung besteht. Erdbeben, Erderschütterungen zeichnen sich aus durch schnell auf einander folgende senkrechte, oder horizontale, oder rotatorische Schwingungen. Bei der nicht unbeträchtlichen Zahl derselben, die ich in beiden Welttheilen, auf dem festen Lande und zur See erlebt, haben die zwei ersten Arten der Bewegung mir sehr oft gleichzeitig geschienen. Die minenartige Explosion, senkrechte Wirkung von unten nach oben, hat sich am auffallendsten bei dem Umsturze der Stadt Riobamba (1797) gezeigt, wo viele Leichname der Einwohner auf den mehrere hundert Fuß hohen Hügel la Cullca, jenseits des Flüßchens von Lican, geschleudert wurden. Die Fortpflanzung geschieht meist in linearer Richtung wellenförmig, mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 7 geographischen Meilen in der Minute; theils in Erschütterungskreisen oder großen Ellipsen, in denen wie aus einem Centrum die Schwingungen sich mit abnehmender Stärke gegen den Umfang fortpflanzen. Es giebt Gegenden, die zu zwei sich schneidenden Erschütterungskreisen gehören. Im nördlichen Asien, in welchem der Vater der Geschichte Herod. IV, 28. Gegen das alte Vorurtheil (Plin. II, 80), daß Aegypten frei von Erdbeben sei, spricht schon der eine wiederhergestellte Coloß des Memnon (Letronne, la statue vocale de Memnon 1833 p. 25–26); aber freilich liegt das Nilthal außerhalb des Erschütterungskreises von Byzanz, dem Archipel und Syrien (Ideler ad Aristot. Meteor. p. 584)., wie später Theophylactus Simocatta Saint-Martin in den gelehrten Noten zu Lebeau, hist. du Bas Empire T. IX. p. 401., die scythischen Länder frei von Erdbeben nannte, habe ich den südlichen metallreichen Theil des Altai-Gebirges unter dem zwiefachen Einflusse der Erschütterungsheerde vom Baikal-See und von den Vulkanen des Himmelsgebirges (Thian-schan) gefunden Humboldt, Asie centrale T. II. p. 110–118. Ueber den Unterschied der Erschütterung der Oberfläche und der darunter liegenden Erdschichten s. Gay-Lussac in den Annales de Chimie et de Physique T. XXII. p. 429.. Wenn die Erschütterungskreise sich durchschneiden, wenn z. B. eine Hochebene zwischen zwei gleichzeitig in Ausbruch begriffenen Vulkanen liegt, so können mehrere Wellensysteme gleichzeitig existiren und, wie in den Flüssigkeiten, sich gegenseitig nicht stören. Selbst Interferenz kann hier, wie bei den sich durchkreuzenden Schallwellen, gedacht werden. Die Größe der fortgepflanzten Erschütterungswellen wird an der Oberfläche der Erde nach dem allgemeinen Gesetze der Mechanik vermehrt, nach welchem bei der Mittheilung der Bewegung in elastischen Körpern die letzte, auf einer Seite frei liegende Schicht sich zu trennen strebt.

      Die Erschütterungswellen werden durch Pendel und Sismometer-Becken ziemlich genau in ihrer Richtung und totalen Stärke, keineswegs aber in der inneren Natur ihrer Alternanz und periodischen Intumescenz untersucht. In der Stadt Quito, die am Fuß eines noch thätigen Vulkans (des Rucu-Pichincha) 8950 Fuß über der Meeresfläche liegt, und schöne Kuppeln, hohe Kirchengewölbe und massive Häuser von mehreren Stockwerken aufzuweisen hat; bin ich oft über die Heftigkeit nächtlicher Erdstöße in Verwunderung gerathen, welche so selten Risse in dem Gemäuer verursachen, während in den peruanischen Ebnen viel schwächer scheinende Oscillationen niedrigen Rohrhäusern schaden. Eingeborne, die viele hundert Erdbeben erlebt haben, glauben, daß der Unterschied weniger in der Länge oder Kürze der Wellen, in der Langsamkeit oder Schnelligkeit »Tutissimum est cum vibrat crispante aedificiorum crepitu; et cum intumescit assurgens alternoque motu residet, innoxium et cum concurrentia tecta contrario ictu arietant quoniam alter motus alteri renititur. Undantis inclinatio et fluctus more quaedam volutatio infesta est, aut cum in unam partem totus se motus impellit.« Plin. II, 82. der horizontalen Schwingung, als in der Gleichmäßigkeit der Bewegung in entgegengesetzter Richtung liege. Die kreisenden (rotatorischen) Erschütterungen sind die seltensten, aber am meisten gefahrbringend. Umwenden von Gemäuer ohne Umsturz, Krümmung von vorher parallelen Baumpflanzungen, Verdrehung von Aeckern, die mit verschiedenen Getreidearten bedeckt waren: sind bei dem großen Erdbeben von Riobamba, in der Provinz Quito (4 Februar 1797), wie bei dem von Calabrien (5 Februar – 28 März 1783) beobachtet worden. Mit dem letzteren Phänomen des Verdrehens oder Verschiebens der Aecker und Culturstücke, von welchen gleichsam eines den Platz des andern angenommen, hängt eine translatorische Bewegung oder Durchdringung einzelner Erdschichten zusammen. Als ich den Plan der zerstörten Stadt Riobamba aufnahm, zeigte man mir die Stelle, wo das ganze Hausgeräth einer Wohnung unter den Ruinen einer andern gefunden worden war. Das lockere Erdreich hatte sich wie eine Flüssigkeit in Strömen bewegt: von denen man annehmen muß, daß sie erst niederwärts, dann horizontal und zuletzt wieder aufwärts gerichtet waren. Streitigkeiten über das Eigenthum solcher viele hundert Toisen weit fortgeführten Gegenstände sind von der Audiencia (dem Gerichtshofe) geschlichtet worden.

      In Ländern, wo die Erdstöße vergleichungsweise seltener sind (z. B. im südlichen Europa), hat sich nach einer unvollständigen Induction Selbst in Italien hat man angefangen die Unabhängigkeit der Erdstöße von den Witterungs-Verhältnissen, d. h. von dem Anblick des Himmels unmittelbar vor der Erschütterung, einzusehen. Friedrich Hoffmann’s numerische Angaben stimmen ganz mit den Erfahrungen des Abbate Scina von Palermo überein; s. des Ersteren hinterlassene Werke Bd. II. S. 366–375. Röthliche Nebel am Tage des Erdbebens, kurz vor demselben, habe ich einige Male selbst beobachtet; ja am 4 Nov. 1799 habe ich zwei heftige Erdstöße in dem Augenblicke eines starken Donnerschlages erlebt (Relation hist. liv. IV chap. 10); der Turiner Physiker Vasalli Eandi hat bei den langdauernden Erdbeben von Pignerol (vom 2 April bis 17 Mai 1808) Volta’s Electrometer heftig bewegt gesehen (Journal de Phys. T. LXVII. p. 291). Aber diese Zeichen des Nebels, der veränderten Luft-Electricität, der Windstille dürfen nicht als allgemein bedeutsam, als mit der Erschütterung nothwendig zusammenhangend betrachtet werden: da man in Quito, Peru und Chili, wie in Canada und Italien so viele Erdbeben bei dem reinsten, völlig dunstfreien Himmel, bei dem frischesten Land-und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens selbst oder einige Tage vorher kein meteorologisches Zeichen die Erschütterung verkündigt; so ist doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahrs-und Herbst-Aequinoctien), des Eintritts der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechsels der Moussons, für die der allgemeine Volksglaube spricht, nicht darum ganz wegzuläugnen, weil uns bis jetzt der genetische Zusammenhang meteorologischer Processe mit dem, was in dem Innern der Erdrinde vorgeht, wenig klar ist. Numerische Untersuchungen über die Vertheilung der Erdbeben unter die verschiedenen Jahreszeiten: wie sie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angestellt worden sind, sprechen für die Epochen der Tag-und Nachtgleichen. – Auffallend ist es, wie Plinius am Ende seiner phantastischen Erdbeben-Theorie die ganze furchtbare Erscheinung ein unterirdisches Gewitter nennt: nicht sowohl wegen des rollenden Getöses, welches die Erdstöße so oft begleitet; sondern weil die elastischen, durch Spannung erschütternden Kräfte sich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn sie in dem Luftkreise fehlen! »Ventos in causa esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et cavernas ejus occulto afflatu. Neque aliud est in terra tremor, quam in nube tonitruum; nec hiatus aliud quam cum fulmen erumpit, incluso spiritu luctante et ad libertatem exire nitente.« (Plin. II, 79.) In Seneca (Nat. Quaest. VI. 4–31) liegt übrigens ziemlich vollständig der Keim von allem, was man bis zur neuesten Zeit über die Ursachen der Erdbeben beobachtet und gefabelt hat. der sehr allgemeine Glaube gebildet, daß Windstille, drückende Hitze, ein dunstiger Horizont immer Vorboten der Erscheinung seien. Das Irrthümliche dieses Volksglaubens ist aber nicht bloß durch meine eigene Erfahrung widerlegt: es ist es auch durch das Resultat der Beobachtungen aller derer, welche viele Jahre in Gegenden gelebt haben, wo: wie in Cumana, Quito, Peru und Chili, der Boden häufig und gewaltsam erbebt. Ich habe Erdstöße gefühlt bei heiterer Luft und frischem Ostwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. Auch die Regelmäßigkeit der stündlichen Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel und im Luftdrucke Beweise, daß der Gang der stündlichen Barometer-Veränderungen vor und nach den Erdstößen nicht gestört werde, habe ich gegeben in Relat. hist. T. I. p. 311 und 513. blieb zwischen den Wendekreisen an dem Tage der Erdstöße ungestört. Damit stimmen die Beobachtungen überein, welche Adolph Erman in der gemäßigten Zone bei einem Erdbeben