Alexander von Humboldt

Kosmos


Скачать книгу

aber die Neigung der Nadel war zu meinem Erstaunen um 48’ gemindert Humboldt, Rel. hist. T. I. p. 515–517.. Es blieb mir kein Verdacht eines Irrthums; und doch bei so vielen anderen Erdstößen, die ich auf dem Hochlande von Quito und in Lima erlebte, war neben den anderen Elementen des tellurischen Magnetismus auch die Neigung stets unverändert. Wenn im allgemeinen, was tief in dem Erdkörper vorgeht, durch keinen meteorologischen Proceß, durch keinen besonderen Anblick des Himmelsgewölbes vorherverkündigt wird; so ist es dagegen, wie wir bald sehen werden, nicht unwahrscheinlich, daß in gewissen sehr heftigen Erderschütterungen der Atmosphäre etwas mitgetheilt werde, und daß daher diese nicht immer rein dynamisch wirken. Während des langen Erzitterns des Bodens in den piemontesischen Thälern von Pelis und Clusson wurden bei gewitterlosem Himmel die größten Veränderungen in der electrischen Spannung des Luftkreises bemerkt.

      Die Stärke des dumpfen Getöses, welches das Erdbeben größtentheils begleitet, wächst keineswegs in gleichem Maaße als die Stärke der Oscillationen. Ich habe genau ergründet, daß der große Stoß im Erdbeben von Riobamba (4 Februar 1797) – einem der furchtbarsten Phänomene der physischen Geschichte unseres Erdkörpers – von gar keinem Getöse begleitet war. Das ungeheure Getöse (el gran ruido), welches unter dem Boden der Städte Quito und Ibarra, nicht aber dem Centrum der Bewegung näher in Tacunga und Hambato, vernommen wurde, entstand 18–20 Minuten nach der eigentlichen Catastrophe. Bei dem berühmten Erdbeben von Lima und Callao (28 October 1746) hörte man das Getöse wie einen unterirdischen Donnerschlag in Truxillo auch erst ¼ Stunde später und ohne Erzittern des Bodens. Eben so wurden lange nach dem großen von Boussingault beschriebenen Erdbeben von Neu-Granada (16 November 1827) im ganzen Cauca-Thale, ohne alle Bewegung, von 30 zu 30 Secunden mit großer Regelmäßigkeit unterirdische Detonationen gehört. Auch die Natur des Getöses ist sehr verschieden: rollend, rasselnd, klirrend wie bewegte Ketten, ja in der Stadt Quito bisweilen abgesetzt wie ein naher Donner; oder hell klingend, als würden Obsidian oder andre verglaste Massen in unterirdischen Höhlungen zerschlagen. Da feste Körper vortreffliche Leiter des Schalles sind, dieser z. B. in gebranntem Thon 10-bis 12mal schneller sich fortpflanzt als in der Luft, so kann das unterirdische Getöse in großer Ferne von dem Orte vernommen werden, wo es verursacht wird. In Caracas, in den Grasfluren von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, welcher in den Orinoco fällt: in einer Landstrecke von 2300 Quadratmeilen, hörte man überall am 30 April 1812, ohne alles Erdbeben, ein ungeheures donnerartiges Getöse, als 158 Meilen davon, in Nordosten, der Vulkan von St. Vincent in den Kleinen Antillen aus seinem Krater einen mächtigen Lavastrom ergoß. Es war also der Entfernung nach, als wenn man einen Ausbruch des Vesuvs im nördlichen Frankreich vernähme. Im Jahr 1744, bei dem großen Ausbruch des Vulkans Cotopaxi, hörte man in Honda am Magdalenenstrome unterirdischen Kanonendonner. Der Krater des Cotopaxi liegt aber nicht bloß 17000 Fuß höher als Honda: beide Punkte sind auch durch die colossalen Gebirgsmassen von Quito, Pasto und Popayan, wie durch zahllose Thäler und Klüfte, in 109 Meilen Entfernung getrennt. Der Schall ward bestimmt nicht durch die Luft, sondern durch die Erde aus großer Tiefe fortgepflanzt. Bei dem heftigen Erdbeben von Neu-Granada (Februar 1835) hörte man unterirdischen Donner gleichzeitig in Popayan, Bogota, Santa Marta und Caracas (hier 7 Stunden lang ohne alle Erschütterung); in Haiti, Jamaica und um den See von Nicaragua.

      Diese Schall-Phänomene, wenn sie von gar keinen fühlbaren Erschütterungen (Erdstößen) begleitet sind, lassen einen besonders tiefen Eindruck selbst bei denen, die schon lange einen oft erbebenden Boden bewohnt haben. Man harrt mit Bangigkeit auf das, was nach dem unterirdischen Krachen folgen wird. Das auffallendste, mit nichts vergleichbare Beispiel von ununterbrochenem unterirdischem Getöse, ohne alle Spur von Erdbeben, bietet die Erscheinung dar, welche auf dem mexicanischen Hochlande unter dem Namen des Gebrülles und unterirdischen Donners (bramidos y truenos subterraneos) von Guanaxuato Ueber die bramidos von Guanaxuato s. mein Essai polit. sur la Nouv. Espagne T. I. p. 303. Das unterirdische Getöse, ohne alle bemerkbare Erschütterung in den tiefen Bergwerken und an der Oberfläche (die Stadt Guanaxuato liegt 6420 Fuß über dem Meere), wurde nicht in der nahen Hochebene, sondern bloß in dem gebirgigen Theile der Sierra, von der Cuesta de los Aguilares unweit Marfil bis nördlich von S. Rosa gehört. Nach einzelnen Gegenden der Sierra, 6–7 Meilen nordwestlich von Guanaxuato, jenseits Chichimequillo bei der siedenden Quelle von San José de Comangillas, gelangten die Schallwellen nicht. Wunderbar gewaltsame Maaßregeln wurden vom Magistrat der großen Bergstadt schon den 14 Januar (1784), als der Schrecken über den unterirdischen Donner am größten war, angeordnet. »Jede Flucht einer Familie sollte bei Reichen mit 1000 Piastern, bei Armen mit 2 Monat Gefängniß bestraft werden. Die Miliz sollte die Fliehenden zurückholen.« Am denkwürdigsten ist die Meinung, welche die Obrigkeit (el Cabildo) von ihrem Besser-Wissen hegte. Ich finde in einer der Proclamas den Ausdruck: »die Obrigkeit würde in ihrer Weisheit (en su Sabiduria) schon erkennen, wenn wirkliche Gefahr vorhanden sei, und dann zur Flucht mahnen; für jetzt seien nur Processionen abzuhalten.« Es entstand Hungersnoth, da aus Furcht vor den truenos keine Zufuhr aus der kornreichen Hochebene kam. – Auch die Alten kannten schon Getöse ohne Erdstöße; Aristot. Meteor. II. p. 802, Plin. II, 80. Das sonderbare Getöse, welches vom März 1822 bis September 1824 auf der dalmatischen Insel Meleda (4 Meilen von Ragusa) vernommen wurde und über welches Partsch viel Licht verbreitet hat, war doch bisweilen von Erdstößen begleitet. bekannt ist. Diese berühmte und reiche Bergstadt liegt fern von allen thätigen Vulkanen. Das Getöse dauerte seit Mitternacht des 9 Januar 1784 über einen Monat. Ich habe eine umständliche Beschreibung davon geben können, nach der Aussage vieler Zeugen und nach den Documenten der Municipalität, welche ich benutzen konnte. Es war (vom 13–16 Januar), als lägen unter den Füßen der Einwohner schwere Gewitterwolken, in denen langsam rollender Donner mit kurzen Donnerschlägen abwechselte. Das Getöse verzog sich, wie es gekommen war, mit abnehmender Stärke. Es fand sich auf einen kleinen Raum beschränkt: wenige Meilen davon, in einer basaltreichen Landstrecke, vernahm man es gar nicht. Fast alle Einwohner verließen vor Schrecken die Stadt, in der große Massen Silberbarren angehäuft waren; die muthigeren, an den unterirdischen Donner gewöhnt, kehrten zurück und kämpften mit der Räuberbande, welche sich der Schätze bemächtigt hatte. Weder an der Oberfläche der Erde noch in den 1500 Fuß tiefen Gruben war irgend ein leises Erdbeben bemerkbar. In dem ganzen mexicanischen Hochlande ist nie vorher ein ähnliches Getöse vernommen worden, auch hat in der folgenden Zeit die furchtbare Erscheinung sich nicht wiederholt. So öffnen und schließen sich Klüfte im Inneren der Erde; die Schallwellen gelangen zu uns oder werden in ihrer Fortpflanzung gehindert.

      Die Wirkung eines feuerspeienden Berges, so furchtbar malerisch auch das Bild ist, welches sie den Sinnen darbietet, ist doch immer auf einen sehr kleinen Raum eingeschränkt. Ganz anders ist es mit den Erdstößen, die, dem Auge kaum bemerkbar, bisweilen gleichzeitig in tausend Meilen Entfernung ihre Wellen fortpflanzen. Das große Erdbeben, welches am 1 November 1755 Lissabon zerstörte und dessen Wirkungen der große Weltweise Immanuel Kant so trefflich nachgespürt hat: wurde in den Alpen, an den schwedischen Küsten, auf den antillischen Inseln (Antigua, Barbados und Martinique), in den großen Seen von Canada: wie in Thüringen und in dem nördlichen Flachlande von Deutschland, in kleinen Binnenwassern der baltischen Ebenen, empfunden. Ferne Quellen wurden in ihrem Lauf unterbrochen: eine Erscheinung bei Erdstößen, auf die im Alterthume schon Demetrius der Kallatianer aufmerksam gemacht hatte. Die Teplizer Thermen versiegten und kamen, alles überschwemmend, mit vielem Eisen-Ocher gefärbt, zurück. In Cadix erhob sich das Meer zu 60 Fuß Höhe, während in den Kleinen Antillen die, gewöhnlich nur 26 bis 28 Zoll hohe Fluth urplötzlich dintenschwarz 20 Fuß hoch stieg. Man hat berechnet, daß am 1 November 1755 ein Erdraum gleichzeitig erbebte, welcher an Größe viermal die Oberfläche von Europa übertraf. Auch ist noch keine andere Aeußerung einer Kraft bekannt geworden (die mörderischen Erfindungen unsres eignen Geschlechts mit eingerechnet), durch welche in dem kurzen Zeitraum von wenigen Secunden oder Minuten eine größere Zahl von Menschen (sechzigtausend in Sicilien 1693, dreißig-bis vierzigtausend im Erdbeben von Riobamba 1797, vielleicht fünfmal so viel in Kleinasien und Syrien unter Tiber und Justin dem Aelteren um die Jahre 19 und 526) getödtet wurden.

      Man hat Beispiele in der Andeskette von Südamerika, daß die Erde mehrere Tage hinter einander ununterbrochen erbebte; Erschütterungen aber, die fast zu jeder Stunde Monate lang gefühlt wurden, kenne