Alexander von Humboldt

Kosmos


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finden sich häufiger von Süden nach Norden als von Westen nach Osten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine sibirische Reise vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika sich einer ungewöhnlichen Wärme erfreute. Es ist eine ganz willkührliche Annahme, daß auf einen strengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge.« Die so verschiedenartig entgegengesetzten Witterungs-Verhältnisse neben einander liegender Länder oder zweier kornbauenden Continente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preisen vieler Producte des Wein-und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allen Kämtz in Schumacher’s Jahrbuch für 1838 S. 285. (Ueber Gegensätze der Wärme-Vertheilung in Osten und Westen, Europa und Nordamerika, s. Dove, Repertorium der Physik Bd. III. S. 392–395.) Luftschichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußersten Grenze der Atmosphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht: während das Thermometer und Psychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermischen und hygrometrischen Modificationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder aërostatischen Reisen fehlen, nur aus hypothetischen Combinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und Feuchtigkeits-Bestimmer dienen kann. Wichtige Witterungs-Veränderungen haben nicht eine örtliche Ursach an dem Beobachtungsorte selbst; sie sind Folgen einer Begebenheit, die in weiter Ferne durch Störung des Gleichgewichts in den Luftströmungen begonnen hat, meist nicht an der Oberfläche der Erde, sondern in den höchsten Regionen: kalte oder warme, trockene oder feuchte Luft herbeiführend, die Durchsichtigkeit der Luft trübend oder aufheiternd, die gethürmte Haufenwolke in zartgefiederten Cirrus umwandelnd. Weil also Unzugänglichkeit der Erscheinungen sich zu der Vervielfältigung und Complication der Störungen gesellt, hat es mir immer geschienen, daß die Meteorologie ihr Heil und ihre Wurzel wohl zuerst in der heißen Zone suchen müsse: in jener glücklichen Region, wo stets dieselben Lüfte wehen, wo Ebbe und Fluth des atmosphärischen Druckes, wo der Gang der Hydrometeore, wo das Eintreten electrischer Explosionen periodisch wiederkehrend sind.

      Nachdem wir, den ganzen Umfang des anorganischen Erdenlebens durchlaufend, den Planeten in seiner Gestaltung, seiner inneren Wärme, seiner electromagnetischen Ladung, seinem Lichtprocesse an den Polen, seiner, Vulcanismus genannten Reaction gegen die starre, mannigfach zusammengesetzte, äußere Rinde, endlich in den Erscheinungen seiner zwiefachen äußeren Hüllen (des Oceans und des Luftmeers) in wenigen Zügen geschildert haben; könnte nach der älteren Behandlung der physischen Erdbeschreibung das Naturbild als vollendet betrachtet werden. Wo aber die Weltansicht zu einem höheren Standpunkte sich zu erheben strebt, würde jenes Naturbild seines anmuthigsten Reizes beraubt erscheinen, wenn es uns nicht zugleich die Sphäre des organischen Lebens in den vielen Abstufungen seiner typischen Entwickelung darböte. Der Begriff der Belebtheit ist so an den Begriff von dem Dasein der treibenden, unablässig wirksamen, entmischend schaffenden Naturkräfte geknüpft, welche in dem Erdkörper sich regen: daß in den ältesten Mythen der Völker diesen Kräften die Erzeugung der Pflanzen und Thiere zugeschrieben, ja der Zustand einer unbelebten Oberfläche unsres Planeten in die chaotische Urzeit kämpfender Elemente hinaufgerückt wurde. In das empirische Gebiet objectiver sinnlicher Betrachtung, in die Schilderung des Gewordenen, des dermaligen Zustandes unsres Planeten, gehören nicht die geheimnißvollen und ungelösten Probleme des Werdens.

      Die Weltbeschreibung, nüchtern an die Realität gefesselt, bleibt nicht aus Schüchternheit, sondern nach der Natur ihres Inhaltes und ihrer Begrenzung den dunkeln Anfängen einer Geschichte der Organismen Die Geschichte der Pflanzen, welche auf eine geistreiche Art und mit wenigen Zügen Endlicher und Unger geschildert haben (Grundzüge der Botanik 1843 S. 449–468), habe ich vor einem halben Jahrhundert in den meiner »unterirdischen Flora« angehängten Aphorismen auf folgende Weise von der Pflanzen-Geographie getrennt: Geognosia naturam animantem et inanimam vel, ut vocabulo minus apto, ex antiquitate saltem haud petito, utar, corpora organica aeque ac inorganica considerat. Sunt enim tria quibus absolvitur capita: Geographia oryctologica quam simpliciter Geognosiam vel Geologiam dicunt, virque acutissimus Wernerus egregie digessit; Geographia zoologica, cujus doctrinae fundamenta Zimmermannus et Treviranus jecerunt; et Geographia plantarum quam aequales nostri diu intactam reliquerunt. Geographia plantarum vincula et cognationem tradit, quibus omnia vegetabilia inter se connexa sint, terrae tractus quos teneant, in aerem atmosphaericum quae sit eorum vis ostendit, saxa atque rupes quibus potissimum algarum primordiis radicibusque destruantur docet, et quo pacto in telluris superficie humus nascatur, commemorat. Est itaque quod differat inter Geognosiam et Physiographiam, historia naturalis perperam nuncupatam, quum Zoognosia, Phytognosia et Oryctognosia, quae quidem omnes in naturae investigatione versantur, non nisi singulorum animalium, plantarum, rerum metallicarum vel (venia sit verbo) fossilium formas, anatomen, vires scrutantur. Historia Telluris, Geognosiae magis quam Physiographiae affinis, nemini adhuc tentata, plantarum animaliumque genera orbem inhabitantia primaevum, migrationes eorum compluriumque interitum, ortum quem montes, valles, saxorum strata et venae metalliferae ducunt, aerem, mutatis temporum vicibus, modo purum, modo vitiatum, terrae superficiem humo plantisque paulatim obtectam, fluminum inundantium impetu denuo nudatam, iterumque siccatam et gramine vestitam commemorat. Igitur Historia zoologica, Historia plantarum et Historia oryctologica, quae non nisi pristinum orbis terrae statum indicant, a Geognosia probe distinguendae.« (Humboldt, Flora Fribergensis subterranea, cui accedunt aphorismi ex Physiologia chemica plantarum, 1793, p. IX–X.) Ueber die sich selbst bestimmenden Bewegungen, von denen weiter unten im Texte die Rede ist, vergl. die merkwürdige Stelle des Aristoteles de Coelo II, 2 p. 284 Bekker, wo der Unterschied der belebten und unbelebten Körper in den inneren oder äußeren Bestimmungssitz der Bewegung gesetzt wird. Von der »ernährenden Pflanzenseele«, sagt der Stagirite, geht keine Bewegung aus, weil die Pflanzen in einem »stillen, nicht zu erweckenden Schlummer liegen« (Aristot. de generat. Animal. V, 1 p. 778 Bekker) und keine Begierden haben, die sie zur Selbstbewegung reizen (Aristot. de somno et vigil. cap. 1 p. 455 Bekker). fremd: wenn das Wort Geschichte hier in seinem gebräuchlichsten Sinne genommen wird. Aber die Weltbeschreibung darf auch daran mahnen, daß in der anorganischen Erdrinde dieselben Grundstoffe vorhanden sind, welche das Gerüste der Thier-und Pflanzen-Organe bilden. Sie lehrt, daß in diesen wie in jener dieselben Kräfte walten, welche Stoffe verbinden und trennen, welche gestalten und flüssig machen in den organischen Geweben: aber Bedingungen unterworfen, die noch unergründet unter der sehr unbestimmten Benennung von Wirkungen der Lebenskräfte nach mehr oder minder glücklich geahndeten Analogien systematisch gruppirt werden. Der naturbeschauenden Stimmung unsers Gemüthes ist es daher ein Bedürfniß, die physischen Erscheinungen auf der Erde bis zu ihrem äußersten Gipfel, bis zur Form-Entwickelung der Vegetabilien und der sich selbst bestimmenden Bewegung im thierischen Organismus zu verfolgen. So schließt sich die Geographie des Organisch-Lebendigen (Geographie der Pflanzen und Thiere) an die Schilderung der anorganischen Naturerscheinungen des Erdkörpers an.

      Ohne hier die schwierige Frage zu erörtern über das »sich selbst Bewegende«, d. h. über den Unterschied des vegetabilischen und thierischen Lebens: müssen wir zuerst nur darauf aufmerksam machen, daß, wenn wir von Natur mit microscopischer Sehkraft begabt, wenn die Integumente der Pflanzen vollkommen durchsichtig wären, das Gewächsreich uns nicht den Anblick von Unbeweglichkeit und Ruhe darbieten würde, in welcher es jetzt unseren Sinnen erscheint. Die inneren Theile des Zellenbaues der Organe sind unaufhörlich durch die verschiedenartigsten Strömungen belebt. Es sind: Rotations-Strömungen: auf-und absteigend, sich verzweigend, ihre Richtungen verändernd, durch die Bewegung körnigen Schleims offenbart, in Wasserpflanzen (Najaden, Characeen, Hydrochariden) und in den Haaren phanerogamischer Landpflanzen; eine wimmelnde, von dem großen Botaniker Robert Brown entdeckte Molecular-Bewegung, welche freilich außerhalb der Organe bei jeder äußersten Theilung der Materie ebenfalls bemerkbar wird; die kreisende Strömung der Milchsaft-Kügelchen (Cyclose) in einem System eigener Gefäße; endlich die sonderbaren, sich entrollenden, gegliederten Fadengefäße in den Antheridien der Chara und den Reproductions-Organen der Lebermoose und Tang-Arten, in welchen der, der Wissenschaft zu früh entrissene Meyen ein Analogon der Spermatozoen der animalischen Schöpfung