Daniel ließ Sebastians Frau im Ungewissen. Er belog sie nicht, sagte aber auch nicht die ganze Wahrheit. Damit schürte er ihre Unsicherheit. Das war die einzige Chance, ihr klarzumachen, was sie gerade im Begriff war zu zerstören.
Mit einer weiteren Vielzahl vager Andeutungen, die sie so oder anders verstehen konnte, heizte er ihr schlechtes Gewissen so weit an, bis sich Melina endlich zu einer Entscheidung durchrang.
»Ich spreche sofort mit meinem Geschäftspartner und nehme den nächsten Flug nach Hause«, versprach sie heiser.
Damit gab sich Dr. Daniel Norden zufrieden und beendete das Telefonat mit einigen versöhnlichen Worten. Er hatte zwar noch nicht viel erreicht, aber zumindest war ein Anfang gemacht.
*
Wie geblendet saß Wendy an einem schön gedeckten Zweiertisch des sündhaft teuren Restaurants, in das Edgar von Platen sie eingeladen hatte. Leise Musik spielte im Hintergrund, das Licht war gedimmt und die Kerze zwischen ihnen zauberte einen geheimnisvollen Schimmer auf die Rosen in der Vase und in ihre geröteten Gesichter.
»Hat es Ihnen gemundet, Anna-Maria?«, fragte Edgar von Platen feierlich, als Wendy ihr Besteck zur Seite legte.
Er hatte keine Kosten gescheut und die exklusivsten Gerichte bestellt, die er auf der Karte finden konnte. Zu jedem einzelnen Gang hatte er eine Anekdote von seinen weiten Reisen zu erzählen gewusst, und Wendy hatte mit offenem Mund und stumm vor Ehrfurcht gelauscht.
»Es war einfach wunderbar«, antwortete sie auf seine Frage, obwohl sie im Nachhinein nicht mehr wusste, was sie überhaupt gegessen hatte, so fasziniert hatte sie dem munteren Plauderton ihres Begleiters gelauscht. »Das Beste, was ich je gegessen habe.« Sie fühlte sich wie eine Prinzessin in einem Märchen und wünschte sich, dass dieser Traum nie mehr aufhörte. Die ganze Nacht, ach was, den Rest ihres Lebens hätte sie an diesem Tisch sitzen und Edgars sonorer, aufregender Stimme lauschen können.
Edgar lachte belustigt auf und streckte die Hand nach der ihren aus. Es war eine kleine Hand mit kurzen wulstigen Fingern, die nicht recht zu seinem übrigen, elitären Äußeren passen wollte. Doch dafür konnte er ja schließlich nichts.
»Habe ich Ihnen schon gesagt, wie wundervoll Sie sind, Anna-Maria?«, fragte er, und sie kicherte wie ein Teenager.
»Schon mehrfach. Dabei tue ich doch gar nichts Besonderes.«
»Das ist es ja gerade«, geriet Edgar unversehens ins Schwärmen. »Sie sind so natürlich. So schlicht, aber ergreifend.« Einen Augenblick lang lauschte er dem Nachhall seiner Worte. Dann nickte er zufrieden. »Ein gelungenes Wortspiel, finden Sie nicht?«
Nicht zum ersten Mal an diesem Abend lobte er sich selbst, was Wendy auch zuvor schon unangenehm aufgefallen war. Doch sie hatte Lebenserfahrung genug, um zu wissen, dass es keine perfekten Menschen gab. Wenn das Edgars einziger Fehler sein sollte, so wollte sie ihm den gerne gönnen. Schließlich waren solche Eigenheiten das Salz in der Suppe.
»Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß wie mit Ihnen«, gestand sie errötend.
Das entsprach durchaus der Wahrheit und die Tatsache, dass er ihr von seinem geschäftlichen Misserfolg erzählt hatte, den ihm ein Münchner Geschäftsfreund eingebrockt und durch den er viele tausend Euro verloren hatte, ließ ihr Herz weit werden vor Bewunderung. Was für ein Mann, der auch zu seinen Misserfolgen stehen konnte!
Während Wendy darüber nachdachte, verblasste das Lächeln auf Edgars Gesicht, und er beugte sich vor, einen bedeutungsvollen Ausdruck in den Augen. Ihr blieb fast das Herz stehen vor Aufregung.
»Wenn es nach mir ginge, wäre das hier erst der Anfang, meine liebe Anna-Maria«, raunte er ihr über den Tisch in einem Tonfall zu, der ihr Herz beben ließ. »Noch nie habe ich mich in Gesellschaft einer Frau so wohlgefühlt wie mit Ihnen.« Er seufzte glücklich. »Ist das nicht ein einzigartiges Glück, dass wir dasselbe empfinden?«
»Oh ja. Das ist großartig.« Wendy war hingerissen und schwebte im siebten Himmel, als der Ober kam und die Rechnung präsentierte, die Edgar nach Nachtisch und Digestif bestellt hatte.
Sie warf einen scheuen Blick auf das schwarze edle Ledermäppchen und wollte sich nicht vorstellen, welch horrende Rechnung sich darin verbarg. Bewundernd sah sie zu, wie Edgar es souverän zu sich zog und aufschlug.
»Dieses Festmahl ist jeden Cent wert!«, murmelte er und griff in die Innentasche seines Sakkos, um sein Portemonnaie herauszuholen.
»Ist es sehr teuer?«, erkundigte sich Wendy schüchtern, die Fingerspitzen auf der Unterlippe wie ein kleines Mädchen.
»Für Sie ist das Kostbarste gerade gut genug.« Er lächelte sie über den Rand seiner Brille souverän an. Nebenbei öffnete er die Börse und wollte die Kreditkarte herausziehen. Doch seine Finger griffen ins Leere. »Nanu?« Irritiert sah er genauer hin.
»Stimmt was nicht?« Fixiert, wie sie auf ihn war, hatte Wendy sofort gemerkt, dass etwas passiert war.
»Meine Kreditkarte ist weg.« Edgar hatte sich kerzengerade aufgesetzt. Er hielte das Portemonnaie unter die gedimmte Lampe und begann, darin zu wühlen. »Und nicht nur die goldene Eurocard. Auch die Visa und die Barclays Card sind weg. Ganz zu schweigen von meiner Bankkarte«, murmelte er, das blanke Entsetzen im Gesicht. Wieder und wieder durchsuchte er die Börse, dass ihm schon die anderen Gäste neugierige Blicke zuwarfen. Es war ihnen förmlich anzusehen, dass sie einen Skandal witterten und sich heimlich schon die Hände rieben. »Sie müssen mir in der Klinik gestohlen worden sein«, gab Edgar seine Suche schließlich auf und sah Wendy resigniert an.
»Ausgeschlossen!«, entfuhr es ihr, und sie schüttelte energisch den Kopf. »Nicht in der Behnisch-Klinik. Da gibt es so etwas nicht.«
Schlagartig schoben sich Edgars graue Augenbrauen zusammen wie zwei drohende Gewitterwolken.
»Wollen Sie mir etwa Lügen unterstellen, Anna-Maria?«, zischte er ihr so wütend zu, dass sie erschrocken zusammenzuckte.
»Nein, nein, natürlich nicht!«, beeilte sie zu versichern. »Aber es könnte doch sein, dass Ihnen die Karten woanders abhandengekommen sind.«
Zu ihrer Erleichterung entspannte sich Edgar von Platens Miene wieder. Nun wirkte er nur noch verzweifelt und ratlos.
»Ich kann Ihnen beweisen, dass ich sie vor meinem Klinikaufenthalt noch hatte. Im Hotel liegt eine Abrechnung. Ich zeige sie Ihnen.«
»Aber nein, das ist doch nicht nötig. Ich glaube Ihnen auch so«, versicherte Wendy schnell.
Doch Edgar schien sie gar nicht zu hören. Offenbar waren seine Gedanken schon weitergewandert.
»So eine Schande. Was mache ich denn jetzt? So viel Geld habe ich nicht dabei, dass ich die Rechnung bar begleichen könnte.«
Wendy, der die unverhohlen neugierigen Blicke von den anderen Tischen langsam aber sicher peinlich wurden, überlegte nicht lange.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bezahle mit meiner Kreditkarte.« Sie griff nach ihrer Handtasche, die über der Stuhllehne hing.
Von dieser Idee schien Edgar noch weniger angetan zu sein.
»Wie sieht denn das aus? Ich lade Sie großspurig ins beste Restaurant der Stadt ein und kann dann noch nicht einmal die Rechnung begleichen«, murmelte er zutiefst betroffen und sah sie so verzweifelt an, dass sie fast lachen musste.
»Glücklicherweise leben wir in modernen Zeiten, in denen auch eine Frau Rechnungen bezahlen darf.« Sie öffnete den geblümten Geldbeutel, ein Geschenk ihrer Tochter Sabine, und zog das Plastikkärtchen heraus.
»Das kann ich niemals wiedergutmachen.« Mit großen Augen sah Edgar ihr dabei zu, wie sie das Ledermäppchen zu sich zog und die Kreditkarte zu der Rechnung schob.
Als sie einen Blick auf die Summe erhaschte, entglitten ihr kurz die Gesichtszüge.
»Sie bekommen das Geld auf Heller und Cent zurück. Das verspreche ich Ihnen hoch und heilig!« Als der Ober den Tisch mitsamt Wendys Kreditkarte verlassen hatte, streckte Edgar von