musste sie sich eingestehen, dass ihr Alexanders breite Schultern und sein warmes gewinnendes Lächeln gefielen. Abgesehen von den langen Beinen, die in lässigen Jeans steckten. Einen Kontrolleur hatte sie sich anders vorgestellt. Nicht so locker und humorvoll.
»Warum nicht?«, nahm Alexander ihre Frage nicht ernst und lachte gut gelaunt. »Aber vielleicht sollten Sie mir vorher Ihren Namen und Ihren Status verraten, damit ich weiß, ob ein Bestechungsversuch überhaupt Sinn macht.«
Diese Charmeoffensive war unwiderstehlich.
»Annemarie Wendel«, stellte sich Wendy förmlich vor. Die Erfahrung mit Edgar von Platen hatte sie ein wenig sicherer im Umgang mit Männern gemacht, und sie stellte erleichtert fest, dass sie mit Dr. Gutbrodt scherzen konnte, ohne dunkelrot anzulaufen. »Ich bin die Herrscherin über die Termine!«
»Dr. Nordens rechte Hand also.«
»Das haben Sie völlig richtig erkannt«, sagte eine Stimme im Hintergrund, und lächelnd tauchte Daniel Norden an der Empfangstheke auf. »Ohne meine gute Wendy wären wir hier allesamt verloren.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, antwortete Dr. Alexander Gutbrodt so warm, dass Wendy nun doch verlegen wurde.
Der Kontrolleur schickte ihr noch einen kurzen Blick, ehe er sich Dr. Norden zuwandte. »Haben Sie einen Moment Zeit für mich?«
Daniel sah Wendy an, die wiederum den Terminkalender inspizierte.
»Den nächsten Patienten kann Danny übernehmen. Sie haben eine halbe Stunde«, gab sie grünes Licht für ein Gespräch zwischen Dr. Gutbrodt und ihrem Chef.
»Ich sagte Ihnen ja, dass ohne Wendy nichts geht«, erklärte Dr. Norden auf dem Weg ins Sprechzimmer lächelnd. »Sind Sie schon fündig geworden?«, wechselte er dann das Thema und schloss die Tür hinter Alexander.
»Fündig geworden?«
»In der Behnisch-Klinik.« Nachdem er seinem Gast Kaffee angeboten und sich selbst eine frische Tasse eingeschenkt hatte, nahm Daniel am Schreibtisch Platz. Aufmerksam musterte er sein Gegenüber und versuchte, Dr. Gutbrodt einzuschätzen. Er machte einen sympathischen Eindruck. Sein Blick war offen und ehrlich. Aber die Falten zwischen seinen Augen verrieten, dass im Ernstfall nicht mit ihm zu spaßen war.
»Nein, bis jetzt nicht«, beantwortete der Prüfer die Frage des Arztes wahrheitsgemäß.
»Aber Sie hoffen natürlich, auf einen Missstand zu stoßen, nicht wahr?«, sagte Dr. Norden seinem Besucher auf den Kopf zu.
Der penible Mann, der ebenfalls einmal Medizin studiert hatte und dann die Seiten gewechselt hatte, lächelte.
»Das kommt auf die Klienten an. Im Falle von Frau Dr. Behnisch hätte ich ehrlich gesagt keinen großen Spaß daran. Sie ist mir viel zu sympathisch, ihre Klinik und das Wohl der Patienten liegt ihr viel zu sehr am Herzen, als dass ich dort etwas entdecken möchte.« Gut gelaunt zwinkerte er Daniel zu. »Aber keine Sorge, es gibt genügend schwarze Schafe, die den Qualitätsmaßstab nicht einhalten.«
»Und die müssen Sie finden?«
»Ja. Sehen Sie, letzten Endes geht dieses Thema doch uns alle an. Irgendwann brauchen wir alle selbst einen Arzt und sind froh, wenn wir uns guten Gewissens in die Hände eines geprüften und zertifizierten Mediziners begeben können.«
Daniel stellte seine Tasse zurück auf den Tisch.
»Besonders beliebt machen Sie sich bei manchen Kollegen mit dieser Kontrolle aber sicher nicht, oder?«
Der Kontrolleur lächelte unbekümmert.
»Es ist wie überall, wo überprüft und kontrolliert wird. Einige wünschen mir Pest und Cholera an den Hals. Oder einen schlimmen Unfall.«
»Und ich dürfte Sie dann wieder heilen und zusammenflicken«, erwiderte Daniel das Lächeln. »Glücklicherweise wirken Sie noch völlig unversehrt. Bevor ich mich demnächst möglicherweise um Ihre Gesundheit kümmern muss, sagen Sie mir, was ich im Augenblick für Sie tun kann.«
Die von Wendy genehmigte halbe Stunde war schon zur Hälfte vorbei. Es wurde Zeit, über die wesentlichen Dinge zu sprechen, selbst wenn Daniel noch länger mit dem sympathischen Alexander Gutbrodt hätte plaudern können.
*
Als Annemarie Wendel am Abend nach Hause gekommen und die Stufen zu ihrer Wohnung hinaufgestiegen war, stutzte sie. Auf der Fußmatte vor ihrer Tür lag ein wunderschöner Strauß roséfarbener Lilien. Einen Augenblick lang tauchte Dr. Alexander Gutbrodts gut geschnittenes Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf, und sie hob die edlen Blumen auf, um nach einem Kärtchen zwischen den Blüten zu suchen. Sie ärgerte sich über ihr unvernünftiges Herz, das sofort schneller zu schlagen begonnen hatte. Ich will keinen Mann!, erinnerte sie sich selbst an das, was sie sich ernsthaft vorgenommen hatte.
Tatsächlich fand sie eine kleine Botschaft zwischen den Blüten.
»Für meine einzigartige Anna-Maria! Von Edgar«, las sie mit verächtlicher Stimme und ihre Stimmung erhielt augenblicklich einen empfindlichen Dämpfer. »Das ist doch unfassbar! Dieser Mann ist wie einer dieser Bälle an der Gummischnur«, erinnerte sich Wendy an das Kinderspielzeug, das sie erst im vergangen Jahr auf einem Markt wiederentdeckt hatte. »Er springt davon, aber man kann trotzdem sicher sein, dass er immer wieder zurückkommt.« Seufzend schloss Wendy die Wohnung auf und stellte die Blumen in die Vase. »Ihr armen Dinger könnt schließlich nichts dafür, dass dieser Ganove sie gekauft hat.«
Wäre dieser von Platen doch nur dort geblieben, wo er hergekommen war.
Immerzu baute er Luftschlösser, die meist hinter ihm und manchmal auch noch vor seinen Augen eines nach dem anderen in sich zusammenstürzten und nichts als Chaos hinterließen. Das Schlimme daran war, dass er offenbar nicht aus seinen Fehlern lernte. Selbst Wendy, die nur kurz das Vergnügen gehabt hatte, hatte bereits erkannt, dass ihm seine großen Geschäfte, die er äußerst wortreich und vielversprechend ankündigte, die meiste Zeit nichts als Ärger einbrachten. Edgar von Platen war ein Chaot.
»Ein gut aussehender, charmanter Chaot!«, murmelte sie versonnen vor sich hin.
Aus diesem Grund war Wendy auch auf ihn hereingefallen. Als sie ihn noch nicht näher gekannt hatte, hatte er sie mit seiner weltmännischen Art zutiefst beeindruckt. Überzeugend hatte er den erfolgreichen Geschäftsmann gemimt. Doch nachdem sie ihm mehrfach Geld geliehen und die größte Summe davon nicht mehr zurückbekommen hatte, war sie zu der Überzeugung gekommen, dass er ein Blender war, dass er es niemals zu etwas bringen würde. »Mit ihm zusammen zu sein, ist ein teures Vergnügen«, stellte sie ernüchtert fest und schaltete den Herd an, um die Suppe vom Vortag aufzuwärmen. »Jeder, der ihm ein freundliches Lächeln schenkt und auf seine Sprüche hereinfällt, wird um eine entsprechende Summe erleichtert.« Nachdenklich rührte Wendy im Topf.
Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass er angerufen hatte. Und noch viel weniger, dass er bei ihrer Wohnung gewesen war. Wenn Wendy ehrlich zu sich selbst war, hatte sie Angst davor, dass er wiederkommen würde. Sie tauchte einen Löffel in die Suppe um zu prüfen, ob sie schon heiß war.
Im selben Moment klingelte es. Vor Schreck ließ Wendy den Löffel fallen. Klatschend landete er im Topf und rote Spritzer verteilten sich über den Herd, die weißen Fliesen dahinter und über ihre Bluse.
*
An diesem Abend hatte Dr. Alexander Gutbrodt eine Verabredung mit seinem Schwager Bernd. Für den Mediziner handelte es sich dabei mehr um eine Pflichtübung. So souverän er im Geschäftsleben und auch in den meisten Bereichen seines Privatlebens war, so schuldig fühlte er sich dieser Familie gegenüber, die schon lange nicht mehr die seine war.
Vor langer Zeit war der Bruder seiner Frau einmal sein Freund gewesen. Doch Alexander war sich nicht sicher, ob diese Zeiten nicht längst vorbei waren.
»Hallo, Bernd«, begrüßte er den Mann mit dem schütteren Haar und dem bleichen rundlichen Gesicht, der schon am Tisch saß. Er war das genaue Gegenteil seiner Schwester, und einen Augenblick taumelte Arianes Gesicht durch Alexanders Kopf. Wie um