Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman


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noch einmal die Hand. »Sollte eine Veränderung eintreten, rufen Sie mich bitte. Sie wird noch ein paar Stunden schlafen. Schlaf ist im Augenblick das wichtigste für sie.«

      Anita nimmt am Bett Oberschwester Magdas Platz. Während sie das schmale, leidend aussehende Gesicht mitleidig betrachtet, überlegt sie kühl und sachlich, wie sie sich in Zukunft Doktor Freytag gegenüber verhalten wird.

      *

      Sekundenlang verharren die beiden Ärzte auf der Schwelle des Ärztezimmers. Aus dem Lichtkreis der Leselampe löst sich eine Gestalt im weißen Kittel. Dicke Augengläser blitzen im Schein der Stehlampe auf. Fast gleichzeitig kommt es von ihren Lippen:

      »Herr Professor Becker?« Becker hat die Hände in die Taschen seines Kittels vergraben.

      »Ja, ich bin noch einmal zurückgekommen«, sagt er und kommt in die Mitte des Zimmers. »Waren Sie noch einmal bei der Patientin auf Zimmer 64?«

      Zuerst ist Romberg ein wenig betroffen, doch dann hat er sich schnell wieder gefaßt. Wann wäre der Professor einmal um diese Zeit im Krankenhaus aufgetaucht? Höchstens bei Fällen, die er sich eigens zur Operation vorbehalten hat.

      »Wir kommen soeben von ihr.« Romberg wirft einen schnellen Seitenblick auf die neben ihm stehende Ärztin. Auch in ihren Zügen glaubt er Erstaunen zu bemerken. Ruhig spricht er weiter. »Ich halte es doch für Blind-darmentzündung und möchte schnellstens operieren.«

      »Ich auch«, erwidert der Professor. »Ich werde operieren. Sie können beide assistieren.«

      Ohne eine Erwiderung abzuwarten, geht er aus dem Raum. Jetzt treffen sich die Blicke der beiden Ärzte. Sie zucken die Schultern und schließen sich dem Professor an.

      In wenigen Minuten läuft der Apparat auf Hochtouren, und alles wird zur Operation vorbereitet. Die Patientin, eine noch junge Frau, hat eine Beruhigungsspritze bekommen. Sie liegt blaß, aber gefaßt auf dem Operationstisch. Die Ärzte nehmen ihre Plätze ein, und der Professor beginnt die Operation.

      Romberg macht alle Handreichungen wie im Traum. Er sieht nur die Hand des Professors, die sicher arbeitet. Knapp fallen seine Befehle. Fast lautlos spielt sich der Vorgang im Operationssaal ab, weil jeder Griff hundertmal getan ist und jeder weiß, welche Handreichungen er zu machen hat.

      Es ist wie sonst bei den Operationen – und doch ganz, ganz anders. Eine unheilvolle Stille, die mit ungeheurer Spannung geladen ist.

      Die Patientin liegt bereits wieder auf der fahrbaren Trage. Die OP-Schwester überwacht den Abtransport.

      »Danke«, sagt der Professor kurz und verschwindet in den Waschraum.

      Wie in stiller Übereinkunft zögern Romberg und Sybilla, und als sie später den Waschraum betreten, ist er bereits leer.

      Neben Romberg steht Sybilla und läßt das Wasser über die schöngeformten Hände laufen. Langsam wendet sie Romberg den Kopf zu.

      »Komisch«, sagt sie leise. »Seit wann nimmt der Professor eine einfache Blinddarmoperation selbst vor?«

      »Das frage ich mich auch die ganze Zeit«, erwidert Romberg. Er greift zu dem Handtuch. Seine Züge sind schärfer denn je und auch verschlossener als gewöhnlich.

      Sybilla spürt ihr Herz bis zum Halse herauf klopfen. Da ist sie wieder, diese eiskalte Höflichkeit, hinter der das nackte Mißtrauen steht. Sie ahnt, was in Romberg vorgeht, und blickt von ihm weg auf ihre Hände. Immer wieder läßt sie den Wasserstrahl darüber laufen. Professor Becker scheint das Vertrauen zu seinem Oberarzt verloren zu haben. Mein Gott! Was soll daraus werden? Sie hat deutlich die Spannung während der Operation gespürt, auch die eiserne Beherrschung, die Romberg geübt hat.

      Was wird werden, wenn seine Nerven einmal versagen?

      Sie verlassen gemeinsam den Waschraum, und als sie jetzt das Ärztezimmer betreten, ist es leer. Anscheinend hält sich Professor Becker in seinem Zimmer auf.

      Romberg durchmißt den Raum; reißt den Vorhang zur Seite und öffnet das Fenster. In tiefen Zügen atmet er die Nachtluft.

      »Es ist doch Mißtrauen«, stößt er heftig hervor und dreht sich gleichzeitig Sybilla zu, die aus großen Augen zu ihm aufsieht. »Jetzt könnte ich einen guten Rat von Ihnen brauchen, Doktor Sanders. Sie müssen es doch auch gespürt haben.«

      Sybilla schluckt ein paarmal heftig. »Einen guten Rat«, wiederholt sie und nickt eifrig. »Ich würde mit dem Professor sprechen.«

      Langsam kommt er auf sie zu und legt seine Hände auf ihre Schultern. Sie spürt seinen Atem, zieht den diskreten Duft in sich ein, der von ihm ausströmt. Sie beginnt leicht zu zittern. Nicht einmal die Krankenhausluft stört sie, die seinen Händen anhaftet. Alles was von ihm kommt, empfindet sie schön und erregend und merkwürdig. Romberg empfindet im gleichen Augenblick dasselbe von ihr. Ihre Nähe erregt und verwirrt ihn. Noch mehr der Blick ihrer schönen, jetzt traurigen Augen.

      Mit aller Gewalt unterdrückt er den Wunsch, sie fest an sich zu ziehen, seinen Kopf auf ihr Haar zu legen. Alles, was er eben noch sagen wollte, scheint er vergessen zu haben.

      Er hält sie ein wenig von sich ab. »Warum tragen Sie eigentlich diese häßliche, unkleidsame Frisur? Sie haben selten schönes Haar.«

      Ihre Augen weiten sich vor Staunen, und dann gleitet ein Lächeln über ihren schöngeschwungenen Mund, das sich immer mehr vertieft, bis es sich zu einem warmen Lachen,von ihren Lippen löst.

      Gottlob – die wahnsinnige Spannung ist zerrissen – muß sie denken, und sie lacht noch einmal auf, dunkel und freudig, so daß er verblüfft ist.

      »Mein Gott«, sagt er, seinen Ärger unterdrückend, »was gibt es dabei zu lachen?«

      »Ich freue mich, daß ich es bin, die Sie von Ihren finsteren Gedanken abgelenkt hat – und wenn es sich um meine unkleidsamen Haare handelt und ich somit der simple Blitzableiter bin. Wenn es Sie beruhigt, werde ich in meiner nächsten Freizeit einen Friseur aufsuchen und mich schön machen lassen.«

      »Ja – das sollten Sie tun«, erwidert er und läßt sie brüsk los. Er nagt an seiner Unterlippe, wie stets, wenn er unschlüssig ist. »Und was meinen Sie, Doktor Sanders, sollte ich den Herrn Professor fragen? Fragen, was er gegen mich hat und mich mit einer nichtssagenden Höflichkeit abwimmeln lassen?«

      »Vielleicht wartet Professor Becker sogar auf Ihren Besuch?«

      »Woraus schließen Sie das?« Spannung liegt hinter seinen Worten.

      Sie zuckt mit der Achsel. »Ich weiß nicht, ein Gefühl, nichts sonst.«

      Er beginnt eine ruhelose Wanderung durch das Zimmer, von ihren vor Erregung verdunkelten Augen verfolgt. Ausgerechnet in dieser Stunde, da er sein ganzes Denken auf den unhaltbaren Zustand konzentriert, muß er persönliche Dinge berühren. Ja, ihr kommt es vor, als sei eine Wand vor ihnen zusammengebrochen.

      Er fragt sie um Rat. Er bemerkt ihre Person und hat damit einen menschlichen Ton angeschlagen. Ja, er hat ihr sogar ein Kompliment über ihr Haar gemacht.

      Aber sie versucht unter allen Umständen, das glückhaft schlagende Herz zur Ruhe zu zwingen. Jetzt geht es nicht um sie und ihre Liebe zu ihm. Jetzt geht es um ihn und seine schwer-erarbeitete Existenz.

      Sie muß ihm helfen! Aber wie? Die Gedanken hetzen hinter ihrer Stirn. Sie ist ratlos wie noch nie, aber sie verfolgt jede Bewegung Doktor Rombergs mit Unruhe.

      Als er sich mutlos in einen der Sessel wirft, kommt Leben in sie. »Mir kommt ein Gedanke«, stößt sie erregt hervor. »Bitte, warten Sie hier.«

      Ehe er noch weiter fragen kann, hat sie schon die Tür hinter sich ins Schloß gleiten lassen. – Doktor Sybilla Sanders versucht auf dem Weg zu Professor Beckers Zimmer ganz ruhig zu werden. Sie legt sich alles zurecht, was sie ihm sagen will, und als sie endlich vor dem Chef steht, weiß sie kein einziges Wort mehr.

      »Nun, Doktor Sanders?« Professor Becker legt die Fachzeitschrift aus der Hand, in der er soeben gelesen hat, und weist mit einer einladenden Geste auf den Sessel ihm gegenüber.